Wurde in Hirsau beinahe ein Kind entführt? (Symbolfoto) Foto: © epiximages - stock.adobe.com

Die Geschichte von Entführern, die in weißen Lieferwagen ihr Unwesen treiben, ist beinahe so alt wie das Internet. Meist handelt es sich um Gerüchte. Nun sorgt ein Fall für Aufsehen, der sich in Hirsau zugetragen haben soll. Und sicher ist: Es liegt eine Anzeige vor.

Calw-Hirsau - Ein weißer Transporter mit abgeklebten Kennzeichen hält am Samstag in Hirsau an. Zwei maskierte Männer versuchen, einen Elfjährigen zu entführen. Der Junge wird verletzt, kann aber entkommen. Diese Darstellung wird derzeit im Internet verbreitet. Doch was steckt dahinter?

Auf Nachfrage unserer Redaktion stellt sich heraus: "Der Kriminalpolizei in Calw liegt ein entsprechender Anzeigevorgang vor", teilt Christian Koch, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Pforzheim, mit. "Derzeit werden sämtliche hierzu vorliegenden Erkenntnisse überprüft." Aufgrund der laufenden Ermittlungen könne die Polizei jedoch zum aktuellen Zeitpunkt keine weiteren Informationen preisgeben. Noch ist also unklar, was sich tatsächlich "unweit von einer zu dieser Zeit viel befahrenen Straße", so der Sprecher, in Hirsau zugetragen hat. Eines steht indes fest: Es liege die Aussage eines Elfjährigen vor.

In gewisser Hinsicht ist dieser letzte Umstand in der Tat überraschend. Denn seit Jahren kursieren vor allem in sozialen Medien im Internet immer wieder Meldungen von weißen Lieferwagen, die angeblich wahlweise Kinder entführen, Katzen fangen oder ähnlich Finsteres im Schilde führen. Häufig weiß die Polizei von nichts. Handelt es sich also nur um falsche Gerüchte, die vor allem durch das Internet zu trauriger Berühmtheit gelangten?

Ursprung der Meldungen oft unklar

Grundsätzlich, so führt Polizeisprecher Koch aus, sei es "schwierig, Meldungen in sozialen Medien nach deren Wahrheitsgehalt zu klassifizieren". Gerade wenn diese oft weitergeleitet wurden und der eigentliche Ursprung nicht mehr genau nachzuvollziehen ist. "Ungeprüfte Weiterleitungen – sogenannte Warnmeldungen – sind daher kritisch zu betrachten."

Wie oft derartige Entführungsmeldungen die Runde machen, dazu liegen der Polizei indes keine Daten vor. Denn eine "quantitative Zählung (und Unterscheidung nach ›wahr‹ und ›falsch‹) findet nicht statt", heißt es vonseiten der Polizei.

Weitere Fälle mit einem weißen Transporter

Fakt ist: Geschichten vom weißen Transporter gibt es immer wieder. Erst am Montag wurde in Eutingen-Göttelfingen über einen ähnlichen Fall berichtet. Schon vor einer Woche begannen hier die Warnmeldungen durch einen Kettenbrief.

Vor rund einem Jahr gab es eine Meldung aus Schömberg. Im dortigen Ortsteil Bieselsberg soll ein Kind von einem Mann aus einem weißen Transporter angesprochen und sogar mit einem Kuscheltier angelockt worden sein. Damals habe sich das Kind laut Polizei richtig verhalten und sei weggerannt. Wie Koch auf aktuelle Nachfrage erklärte, verlief der Fall im Übrigen im Sand, da im Laufe der Ermittlungen "keinerlei Straftatbestand" gefunden worden sei.

Im Juni 2021 kursierten im Internet Meldungen von einem weißen Lieferwagen in Langenbrand und Altburg. Und im Jahr 2014 machten in Nagold Erzählungen über Entführungsversuche mit Transportern die Runde – damals hieß es, dass Kinder und Jugendliche auf offener Straße gekidnappt und an die Organmafia verkauft würden.

Nichts als Panikmache?

Sind all diese Geschichten also nichts als Panikmache? Pauschal lässt sich das nicht sagen. Das zeigt ein Fall aus Leipzig. Dort war im Juni 2017 eine Zwölfjährige von einem Mann in einem Transporter mit abgeklebten Scheiben verschleppt und vergewaltigt worden. Dem Mädchen gelang es damals, mit dem Handy einen Notruf abzusetzen; die Polizei befreite sie nach mehreren Stunden aus der Gewalt des Entführers. Ende 2017 wurde der Mann vom Landgericht Leipzig unter anderem wegen schwerer Vergewaltigung, schweren sexuellen Missbrauchs des Kindes sowie Freiheitsberaubung zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und elf Monaten verurteilt.

Grundsätzlich, so hatte eine Polizeisprecherin bereits vor rund einem Jahr auf Anfrage unserer Redaktion erklärt, nehme die Polizei "Meldungen über verdächtiges Verhalten gegenüber Kindern sehr ernst". Eltern sei einerseits geraten, "nicht in Panik zu verfallen", wenn gewisse Meldungen kursieren, andererseits aber wachsam zu sein und die eigenen Kinder ernstzunehmen. Im Zweifelsfall sei es am Besten, sich an die Polizei zu wenden – auch, um sich zu "erkundigen, ob ein entsprechender Sachverhalt dort bekannt ist".

Info: Polizei gibt Ratschläge

Eine wahrhaft schreckliche Vorstellung: Das eigene Kind wird entführt. Wie kann eine solche Situation verhindert werden? Die Polizei gibt Verhaltenstipps für Kinder und Eltern, die sich Sorgen machen:

Verhaltenstipps für Kinder:

  Gehe mit Freunden oder Klassenkameraden zusammen!

  Benutze immer den gleichen Weg! Denn hier kennst du dich aus.

  Sage laut und deutlich, wenn du etwas nicht willst. Auch Erwachsenen darfst du sagen "Lass mich in Ruhe!"

  Trete auf keinen Fall zu nahe an ein Auto heran. Sage dem Fahrer: "Ich darf nicht mit Fremden sprechen, fragen Sie bitte einen Erwachsenen".

  Wenn du dich bedroht fühlst, darfst du laut schreien und zu anderen Personen laufen, um Hilfe zu holen.

  Weglaufen ist nicht feige.

  Im Notfall darfst du IMMER den Notruf wählen! Die Polizei hat die Nummer 110. Du kannst sie über ein Handy oder die Telefonzellen anrufen.

  Wenn dir etwas ganz komisch vorkommt, zum Beispiel auf dem Schulweg, dann erzähle es deinen Eltern oder deinem Lehrer oder deiner Lehrerin – am besten sofort!

Verhaltenstipps für Eltern:

  Sprechen Sie mit Ihrem Kind klare Verhaltensregeln ab, haben Sie ein offenes Ohr für Unsicherheiten oder Ängste. Machen Sie ihm klar: Es darf "Nein!" sagen, wenn ein fremder Erwachsener ihm zu nahe kommt. Kinder haben Rechte. Nein zu sagen, gehört dazu.

  Machen Sie mit Ihrem Kind aus, welchen Schulweg es nimmt. Vielleicht zeigen Sie ihm Geschäfte, in die es im Notfall laufen kann.

  Vereinbaren Sie mit anderen Eltern genau, wer Ihr Kind aus Schule oder Kindergarten abholen darf. Ihr Kind sollte wissen, dass es nur mit diesem – möglichst kleinen – Personenkreis mitgehen oder mitfahren darf. Ohne Ausnahme!