Was ist das für ein Mann, der in jedem zweiten Gespräch von Schauspielern als Wunschregisseur genannt wird? Der Stars wie Edgar Selge und Joachim Król nach Stuttgart lockt? Der von klugen Intendanten wie Ulrich Khuon gefördert und von dem Stuttgarter Opernchef Jossi Wieler mit herzlichster Umarmung begrüßt wird? Der schon jetzt, in ersten Abschiedsfeuilletons, für seine ungeheure Energie gelobt wird und für das Pensum des ganzen Hauses, das stets am Rande des überhaupt Machbaren Erstaunliches geleistet habe.

Also jetzt schon mal ein Treffen mit Armin Petras, der von Sommer an das Schauspiel Stuttgart leiten wird. Dann kommt auch noch Tagesaktuelles dazu. Die von Wolfgang Thierse neu entfachte Debatte um die scheinbar Berlin belagernden Schwaben. Und die Sache mit Petras’ Inszenierung von „Demenz, Depression und Revolution“, einem Stück von Petras’ Alter Ego Fritz Kater. Es geht da im Mittelteil um einen nicht namentlich genannten Torwart. Passagen aus dem Buch über Nationaltorwart Robert Enke, der sich das Leben genommen hat, seien ohne Absprache verwendet worden, die Witwe legte Einspruch ein. Und so begrüßt einen Claudia Nola, Sprecherin des Theaters, mit Bedauern im Ton, das Theater habe entschieden, vorerst nicht nur den Mittelteil, sondern das ganze Stück nicht zu spielen.

Possen

Possen

Armin Petras empfängt in seinem Büro in einem Nebengebäude des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Graue Mütze, T-Shirt, Jacke, wacher, klarer Blick. Auf dem Schreibtisch jede Menge Papierkram, viele Bewerbungen. Eine Stunde Zeit hat er, statt um Abschied und Neuanfang geht es erst mal um die aktuellen Verwerfungen. Was die Schwabenposse betrifft, muss man ihn nicht lange um einen Kommentar bitten – „dazu möchte ich, der ich mich durchaus selbst als Berliner fühle, nur dies sagen: In Berlin gibt es zu viele Menschen, die die Größe der Stadt mit ihrer eigenen Größe verwechseln.“

Heikler ist da schon die Enke-Sache. Juristen verhandeln in diesen Tagen, ringen um gütliche Einigung. Petras zieht die Augenbrauen in die Höhe, lächelt ein bisschen müde. Er erzählt, wie froh alle nach der Uraufführung waren, über kontroverse, auch begeisterte Rezensionen, gerade was den umstrittenen Teil betrifft. „Wir waren auf Wolke 7“, sagt Petras. „Und sind umso trauriger, dass wir diesen Fehler gemacht haben. Schuld ist dabei nicht der Autor oder der Regisseur, sondern der Intendant. Wir versuchen, das gutzumachen, und hoffen, das Stück wieder spielen zu können.“

Fußball

Fußball

Man kann das in der Tat nur hoffen. Burn-out, Depression, Versagensängste sind in dem Teil „Schwarzer Hund“ sprachlich dicht gefasst und kein bisschen despektierlich. Themen sind das außerdem, die Gesellschaft und Künstler umtreiben. Und die im Theater längst angekommen sind. Der Ex-Stuttgarter Intendant Friedrich Schirmer hat davon gesprochen, Intendant Staffan Holm hat in Düsseldorf hingeworfen und lässt sich wegen Depressionen behandeln. Petras: „Es ist schon spannend: Das Theater ist einerseits ein Bereich größter Freiheitsgrade – andererseits herrscht ein enormer Druck.“ Spardruck bei gleichzeitiger Anforderung, die Auslastungszahlen mögen stimmen und das Haus möge mit Preisen und Festivaleinladungen glänzen. Parallelen zwischen dem Hochleistungsgeschäft Fußball und Theater sind deutlich. Und der ungewöhnlich viel arbeitende Petras? Kennt zumindest das Getriebensein. „Ja, es gab Zeiten mit zu vielen Inszenierungen in einem Jahr. Das ist vorbei.“

Er sei ruhiger geworden, sagt er, doch sein Pensum ist enorm. Mehrere Inszenierungen in Berlin, eine erste Operninszenierung in Basel, im Mai eine Arbeit an den Münchner Kammerspielen – er hat die Intendanz in Stuttgart vorzubereiten, und der Dramatiker Fritz Kater fordert auch Zeit. Wird alles anders: „Nur drei Arbeiten in der Saison“, alle in Stuttgart. Was nicht heißt, dass er sich ausruhen will. „Gemütlich? Wird es nicht, keine Angst“ Mit der Reduktion hält er es ähnlich wie Opernintendant Jossi Wieler, den er besonders schätzt: „Er ist als Mensch das Gegenteil von mir. Er ist leise, gebildet, vornehm, bürgerlich, intellektuell.“ „Intelligent“ wollte er erst sagen, korrigiert sich – das sei er schon selbst auch – und lacht. „Ich bin eher sportlich, aggressiv, vorlaut.“

Menschen

Menschen

Und ein Enthusiast: Auf Fragen nach Lust auf Nichtstun schaut er ehrlich irritiert. Das ist es, was die Menschen an ihm lieben. Der Mann ist neugierig. Auf Menschen, auf alles Neue, Fremde. Auch der Intendant Petras ist kein Dogmatiker, der bei anderen immer nur die eigene Haltung sucht. Von „Naturtalent Antu Romeo Nunes“, der ironisch Bedingungen des Theatermachens reflektiert, ist er so begeistert wie von dem psychologisch raffiniert arbeitenden Jan Bosse und dessen „Abenden wie Seide“. Zu erleben sind in Stuttgart zudem jede Menge Charismatiker: Fritzi Haberlandt und Julischka Eichel, fest ins Ensemble kommt Peter Kurth. „Schauspieler mit so einer Präsenz gibt es vielleicht fünf im deutschsprachigen Theater.“ Kein Widerspruch. Der hohe Anspruch bedeutet auch Härte: Nur die durch lange Anwesenheit unkündbar gewordenen Schauspieler bleiben. Petras: „Wir bilden ein neues Ensemble.“ Dies sei keine Missachtung des guten Ensembles von Intendant Hasko Weber. „Wir haben den Auftrag, das bestmögliche Theater zu machen, und müssen uns überlegen, welches die Menschen sind, mit denen uns das gelingen kann.“ Petras ist seit 20 Jahren an Dutzenden Stadttheatern unterwegs, da gibt es künstlerische Weggenossen, mit denen er weitergehen will.

Themen

Themen

Mit welchen vier Stücken er am 25. Oktober das bis dahin hoffentlich fertig sanierte Haus eröffnen will? So viel schon: „Ich habe ja gesagt, es sei eine fremde Gegend für mich. Es ist ein Zitat Heiner Müllers, der gegen Ende seines Lebens sagte, er interessiere sich nur noch für Fremdheit und Schönheit. Ich bin nicht am Ende meines Lebens, hoffe ich“, sagt Petras und klopft auf die Holztischplatte, „aber darum geht es mir. Wir werden die Spurensuche, die wir am Gorki betrieben haben, fortsetzen, nur nicht mehr konzentriert auf die neuen Bundesländer.“

Sondern? „Die politische Situation machen wir selbstverständlich zum Thema. Was ist das für eine neue, andere Bürgerlichkeit, die sich entwickelt?“ Während seiner Stuttgartbesuche, erzählt Petras, sei er im Frühstücksraum auch häufig Chinesen und Indern begegnet. „Wie stark die Region von der Globalisierung geprägt ist, wird sich ebenso am Spielplan zeigen wie unsere Spurensuche vor Ort. Denken Sie an die Romantiker. Und an den mythisch besetzten Schwarzwald“, sagt Petras, und die hellen Augen glänzen, „Hauff zum Beispiel ist für mich eine großartige literarische Entdeckung.“ Und Russen kommen. „Es gab lange keinen Gorki, keinen Dostojewski und wenig Tschechow. Wir haben große Lust, das zu machen.“

Die West-Ost-Themen, die sein Werk geprägt haben, sind durch? „Sagen wir so, für mich als Regisseur gibt es Wege, die ausgeschritten sind.“ Aber ganz ohne Wehmut geht es nicht. Die Stunde ist um. Gleich wird zum letzten Mal Fritz Katers Erfolgsstück „Heaven / zu Tristan“ gespielt. „Wir werden eine Kanne Tränen vergießen“, prophezeit Armin Petras und behält recht. Nach drei Stunden atemlos aufregenden Spiels heftiger Jubel. Die Schauspieler lächeln, doch ein bisschen zu sehr glänzen die Augen von Fritzi Haberlandt, zu nachdenklich ist die Miene von Peter Kurth. Der Abschied hat begonnen.