Finanzminister Lindner (links) stellt mit Bundeskanzler Olaf Scholz die Pläne der Regierung zum Kampf gegen die Energiekrise vor. Im Zentrum steht ein 200-Milliarden-Euro-Hilfspaket, das allerdings in der EU auf Kritik stößt. Foto: AFP/JOHN MACDOUGALL

Das Berliner 200-Milliarden-Hilfspaket wird von vielen EU-Partnern als unsolidarischer Alleingang wahrgenommen. Vor allem ärmere Länder fühlen sich überrumpelt.

Der deutsche „Doppel-Wumms“ sorgt für reichlich Aufregung in Europa. Freude löst das 200 Milliarden Euro schweren Hilfspaket, das die Bundesregierung zur Abfederung der Energiepreise plant, bei den Nachbarn allerdings keine aus – im Gegenteil. Scharfe Kritik am „deutschen Alleingang“ kommt etwa aus Italien, das sich wegen des eigenen Schuldenberges im Staatshaushalt einen solchen Schritt nicht leisten kann. „Angesichts der gemeinsamen Bedrohungen unserer Zeit können wir uns nicht aufteilen je nach Möglichkeiten unserer Haushalte“, schickt Ministerpräsident Mario Draghi eine deutliche Botschaft in Richtung Berlin.

Italien bekommt kein russisches Gas mehr

Verstärkt wird die Aufregung in Rom noch dadurch, dass Russland am Samstag seine Gaslieferungen an Italien vorerst eingestellt hat. Der russische Konzern Gazprom habe mitgeteilt, dass er kein Gas mehr durch Österreich liefern könne, teilte der italienische Versorger Eni mit. Das russische Gas kommt normalerweise an dem italienisch-österreichischen Grenzort Tarvisio in Italien an und wird von dort verteilt. Gazprom habe notwendige Verträge nicht unterzeichnet, teilte das österreichische Klimaschutz- und Energieministerium in Wien mit. Es geht demnach um technischen Anpassungen im Marktmodell, die jeden Oktober zu Beginn des Gaswirtschaftsjahres in Kraft treten und zuvor vertraglich vereinbart werden müssen. Deshalb seien die notwendigen Anmeldungen für den Transport von russischem Gas nach Italien von österreichischer Seite nicht angenommen worden, hieß es.

Die zentrale Kritik an Deutschland ist, dass durch das 200-Milliarden-Hilfspaket die in diesen Zeiten dringend benötigte Solidarität zwischen den Staaten unterminiert werde. Die deutschen Unternehmen hätten dadurch einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil im Vergleich zur Konkurrenz in den ärmeren EU-Mitgliedstaaten.

Großer Unmut regt sich auch in Belgien

Großer Unmut regt sich auch in Belgien, das unter hohen Staatsschulden ächzt und bereits vor sozialen Unruhen im eigenen Land wegen der hohen Energiepreise gewarnt hat. Man fühle sich an die Bankenkrise erinnert, schreibt ein Kommentator in der Tageszeitung „De Standaard“. Auch damals habe jeder Mitgliedstaat plötzlich begonnen, seine eigenen Banken zu retten. „Im Nachhinein hat sich das nicht immer als die beste Strategie erwiesen“, lautet die Kritik. „Die Wiederholung der Fehler von damals könnte das Vertrauen in Europa ernsthaft beschädigen.“ Auch der luxemburgische Energieminister Claude Turmes monierte das deutsche Vorgehen, es gebe ein „wahnsinniges Rennen zwischen Regierungen“, sich gegenseitig mit Entlastungspaketen zu übertrumpfen.

Für größtes Unverständnis sorgt, dass Deutschland zur Bekämpfung der Krise den Vorschlag eines europaweiten Preisdeckels blockiert hat, der von 15 Regierungen offensiv gefordert wird - darunter auch Italien, Belgien und Frankreich. In Berlin wird argumentiert, dass die Gefahr bestehe, dass gar kein Gas mehr nach Europa fließe, wenn keine Marktpreise mehr gezahlt würden. Italiens Noch-Premier Draghi ist der Meinung, dass man in dieser fundamentalen Energiekrise dieses Risiko eingehen müsse. Doch Deutschland bleibt hart.

Die EU wird die Gaspreisbremse prüfen

Die Europäische Kommission hat bereits angekündigt, die von der Bundesregierung angekündigte Gaspreisbremse genau zu prüfen. Die Kommission sei „wachsam“, schrieb Binnenmarktkommissar Thierry Breton auf Twitter und man werde sich das deutsche Vorhaben „in den kommenden Tagen sehr genau anschauen“. Und man müsse sich überlegen, so Breton weiter, was man den EU-Mitgliedstaaten anbieten könne, die sich solche Milliardenpakete zur Unterstützung der eigenen Wirtschaft nicht leisten können.

Vieles deutet inzwischen darauf hin, dass die Kommission über ein neues Schuldenpaket nachdenkt, um die Mitgliedstaaten zu unterstützen – ähnlich dem Corona-Wiederaufbaufonds. Der sollte zwar einmalig sein, doch angesichts der Krise könnte dieses Versprechen in den nächsten Wochen gebrochen werden. Der deutsche „Doppel-Wumms“ dürfte für die klammen Staaten wie Italien ein willkommenes Argument sein, einen solchen Wiederaufbaufonds 2.0 mit neuem Nachdruck zu fordern.

Die Bundesregierung muss sich rechtfertigen

Die Bundesregierung wird in diesen Tagen gleich zwei Mal die Gelegenheit haben, den anderen Staaten ihr Vorgehen zu erklären. Eine eher unangenehme Aufgabe hat in diesem Fall Finanzminister Christian Lindner. Er wird am Montag auf dem Treffen der Eurogruppe in Luxemburg erläutern müssen, weshalb er noch vor kurzem vehement gegen die Aufnahme von Schulden im Kampf gegen die Energiekrise war. Offensichtlich fürchtete er damals eher ein Anziehen der Inflation, als eine sich abzeichnenden Rezession. Ein durch Schulden finanziertes Ankurbeln der Nachfrage, wie durch das geplante 200-Milliarden-Paket, wäre dann allerdings der völlig falsche Weg.

Am Freitag kommen dann die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem informellen Gipfel in Prag zusammen. Im Zentrum der Beratungen steht das gemeinsame Vorgehen gegen die rasant steigenden Energiepreise. Ausführlich diskutiert wird dann sicherlich auch die Frage, was Solidarität in der Krise bedeutet.