Geht mit Wehmut: Fünf Jahre lang stand Hans-Peter Villis an der Spitze des Energiekonzerns EnBW. Ende September packt er die Koffer. Foto: Leif Piechowski

Fünf Jahre lang stand Hans-Peter Villis an der Spitze des Energiekonzerns EnBW. In wenigen Tagen tritt er ab – „ohne sich etwas vorzuwerfen“, wie er sagt. Die EnBW sieht er auf Kurs.

Karlsruhe - Fünf Jahre lang stand Hans-Peter Villis an der Spitze des Energiekonzerns EnBW. In wenigen Tagen tritt er ab – „ohne sich etwas vorzuwerfen“, wie er sagt. Die EnBW sieht er auf Kurs.

Herr Villis, wie weit sind Sie mit dem Koffer- und Kistenpacken?
Noch ist gar nichts passiert. Mir fehlt die Zeit, weil ich bis zum letzten Tag im September hier arbeiten werde. Aber jetzt am Wochenende fangen wir an, ich muss ja meine Wohnung hier in Karlsruhe auflösen.

Wie viel Wehmut geht mit?
Ich habe hier fünf Jahre gerne gearbeitet, die EnBW ist ein tolles Unternehmen mit wunderbaren Mitarbeitern und einem sehr guten Vorstandsteam. Insofern gehe ich mit großem Stolz, aber auch Wehmut. Aber wenn man einen solchen Job antritt, muss man immer wissen, dass er endlich ist.

Grün-Rot hat Ihnen das Leben nicht leichtgemacht: Sind Sie froh oder traurig zu gehen?
Seit meiner Entscheidung vor knapp einem Jahr, meinen Vertrag nicht mehr zu verlängern, habe ich viele positive Signale erhalten. Viele haben mir gesagt, dass ich einen guten Job in schwierigen Zeiten gemacht habe. Freunde, aber auch Experten der Energiebranche und der Kapitalmarkt selbst haben meine Leistung gewürdigt. Ich habe mir keine unternehmerischen Fehlentscheidungen vorzuwerfen. Insofern kann ich mit geradem Rücken aus dem Unternehmen gehen.

Die Regierung sieht das anders. Sie hat Sie als Atomkraftlobbyist kritisiert und Ihnen nicht zugetraut, die EnBW grün umzubauen.
Das hat mich schon getroffen und auch traurig gemacht, weil es nicht stimmt. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich dieses Unternehmen gerne weitere fünf Jahre geführt und weiter in die Energiewende begleitet hätte. Aber wenn Sie nicht das uneingeschränkte Vertrauen aller Gesellschafter, und zwar ohne Ausnahme haben, geht das in den schwierigen Zeiten der Energiewende nicht, da hätte es sonst dauerhaft zu großen Gegenwind gegeben. Aber nochmals: Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Nehmen Sie als Beispiel die Kapitalerhöhung von 820 Millionen Euro, für die ich mich eingesetzt habe und der schließlich auch beide Anteilseigner zugestimmt haben. Damit ist die Zukunft der EnBW auf lange Zeit gesichert.

Versteht die Landesregierung denn etwas von Energiewirtschaft?
Mit Umweltminister Untersteller haben wir sehr intensive und gute Gespräche geführt.

Die Katastrophe von Fukushima – war das Ihr Anfang vom Ende als EnBW-Chef?
Ich habe mich vor Fukushima für eine Laufzeitverlängerung starkgemacht, dazu stehe ich auch heute noch. Aber Kernkraft ist jetzt kein Thema mehr, also muss man Verantwortung übernehmen für das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Ich stehe voll und ganz hinter der Energiewende, sage aber auch: Man muss einen machbaren Kurs fahren und darf den Menschen nichts vormachen. Die Umstellung von der Atomkraft zur Energiegewinnung aus Sonne, Wasser und Wind geht nicht von heute auf morgen. Im Übrigen bin ich als EnBW-Chef auch dazu verpflichtet, die Arbeitsplätze von Tausenden qualifizierten Mitarbeitern bei der EnBW zu sichern. Deshalb braucht es auch einen verantwortungsvollen Umgang beim Rückbau der Kernkraftwerke, und niemand sollte vergessen, dass der Reaktor in Neckarwestheim noch zehn Jahre am Netz ist.

"Die Mitarbeiter warten ab, welche Ergebnisse die Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern bringen werden"

Vielleicht hätten Sie in der Vergangenheit mehr darauf aufmerksam machen sollen, was Sie im Bereich erneuerbare Energien tun?
Vielleicht. Aber es ist auch immer die Frage, was man wahrnehmen will. Manchmal hatte ich bei einigen das Gefühl, dass man einfach ausgeblendet hat, dass wir seit vielen Jahren massiv in die erneuerbaren Energien investiert haben. Nehmen Sie den Offshore-Windpark EnBW Baltic I in der Ostsee oder das Wasserkraftwerk in Rheinfelden. Oder dass wir in Leutkirch eine nachhaltige Stadt entwickelt haben oder seit Sonntag die erste Kilowattstunde in der Türkei aus einem Laufwasserkraftwerk erzeugen. Das sind schon tolle Erfolge, auf die ich auch stolz bin.

Dennoch: Um fit für die Zukunft zu werden, muss die EnBW jährlich 750 Millionen Euro sparen. Wie viel ist schon eingespart?
Die Maßnahmen beginnen zu wirken. Wir haben bis Ende 2011 bereits 190 Millionen Euro realisiert und machen weiter sehr gute Fortschritte. Daran hatten auch die Mitarbeiter ihren Anteil, die auf Lohnerhöhungen verzichtet haben. Wir wussten auch schon vor Fukushima, dass wir die hohen Margen bei der Stromerzeugung der Jahre bis 2008 nicht werden halten können. Daher war Sparen früh Pflicht.

Die EnBW will 1600 Stellen abbauen. Bisher wollen aber nur wenige freiwillig mitmachen.
Die Verhandlungen laufen, und sie gehen etwas länger, weil wir die Leute nicht rausschmeißen. Die Mitarbeiter warten ab, welche Ergebnisse die Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern bringen werden. Das ist verständlich.

Um Geld einzunehmen, müssen Sie Firmenteile verkaufen. Bisher klappt das wohl nicht so ganz. Müssen Sie Ihre Strategie ändern?
Wir hatten ein Angebot für die österreichische EVN, haben die Anteile aber nicht verkauft, weil der damalige Preis unserer Meinung nicht dem inneren Wert des Unternehmens entsprach. Die Beteiligungsverkäufe laufen aber. In Summe planen wir 1,5 Milliarden Euro aus Desinvestitionen. Bisher haben wir bereits rund 500 Millionen Euro realisiert, indem wir Anteile an einer Tochter in der Schweiz reduziert und uns von Anteilen in Polen getrennt haben.

Der Netzverkauf wird aber seit Monaten heiß diskutiert. Die Politik hat hier Druck gemacht.
Es ist vom Management nichts in Richtung Verkauf oder teilweisen Verkauf der Stromnetze beschlossen. Wir wissen jedoch, dass viele mögliche Investoren Interesse haben. Ein Verkauf muss aber immer Sinn machen – strategisch und finanziell. Auch hier haben wir überhaupt keinen Druck. Dies gilt auch für die Gasnetze. Die besitzen wir ja zusammen mit dem italienischen Energiekonzern Eni, mit dem wir uns über die Zukunft und strategische Optionen austauschen.

Beim Gas ist es ihnen gelungen, einen langfristigen Liefervertrag mit Russland an Land zu ziehen. Was bedeutet das für die EnBW?
Wir haben dreieinhalb Jahre verhandelt und am Schluss Erfolg gehabt. In Zukunft können wir rund 30 Prozent unseres Gases von einem russischen Lieferanten beziehen, und das zu wettbewerbsfähigen Preisen. Der Vorteil ist, dass wir bei den Mengen sehr flexibel einkaufen können. Wir können also viel kaufen, wenn Gas günstig ist, und brauchen dann nicht so viel abzunehmen, wenn es teuer ist. Zusätzlich haben wir zuletzt Speicherkapazitäten aufgebaut, so dass wir jetzt in großem Stil mit dem Gas handeln können. Das wird sich positiv auf den Gewinn auswirken.

Wie viel denn?
Ich denke, dass alle zufrieden sein können.

"Zusammen mit der Bundesnetzagentur haben wir Vorsorge getroffen"

Wie sicher ist die Versorgung im Winter?
Ich erwarte keine Blackouts. Zusammen mit der Bundesnetzagentur haben wir Vorsorge getroffen. Außerdem wird nach derzeitigem Stand das Bundeswirtschaftsministerium die Versorger verpflichten, eine Notreserve an Kraftwerken vorzuhalten. Alte Kraftwerke dürften dann also nicht mehr vom Netz. Wenn diese Maßnahmen umgesetzt werden, wird es keine Probleme geben. Zu Engpässen kann es in extrem kalten Wintern aber nach wie vor kommen.

Im Moment steht die EnBW in juristischen Auseinandersetzungen mit dem russischen Geschäftsmann Andrej Bykow. Er behauptet, die EnBW habe Scheinverträge mit ihm geschlossen, um dem Unternehmen Zugang zu russischem Gas zu verschaffen. Was wussten Sie über die Vorgänge?
Ich hatte bis 2009 keine Kenntnis davon. Als ich es dann erfahren habe, bin ich dem zusammen mit meinen Vorstandskollegen nachgegangen. Prüfer von KPMG haben das untersucht. Der Aufsichtsrat wurde informiert. In meinem ersten Jahr als EnBW-Chef haben wir ein Gasprojekt aufgesetzt, in das unter anderem auch Herr Bykow teilweise eingebunden war. Es ging um die Erschließung eines russischen Gasfelds. Nach wirtschaftlicher Bewertung haben wir uns letztendlich dann entscheiden, das Projekt nicht weiterzuverfolgen. Damals hatten wir aber noch keinen Grund, an Herrn Bykow zu zweifeln.

Unregelmäßigkeiten sind aber nicht erst 2009 aufgetaucht, sondern schon in einem Revisionsbericht 2004. Hätte man damals nicht schon reagieren müssen?
Da bin ich der falsche Ansprechpartner. Bekanntermaßen bin ich im Oktober 2007 zur EnBW gekommen. Als mir die Vorgänge zur Kenntnis gelangt sind, habe ich die notwendigen Schritte eingeleitet.

Zurück zum Anfang. Sie kehren zum 1. Oktober ins Ruhrgebiet heim. Was nehmen Sie außer Wehmut und Stolz mit?
Ich habe in den letzten fünf Jahren viel gelernt. Nicht nur hier im Beruf, sondern auch privat über die Mentalität der Menschen in Baden-Württemberg. Ich habe den badischen Wein schätzen gelernt, mit dem schwäbischen Trollinger habe ich mich weniger anfreunden können. Total begeistert bin ich vom schwäbischen Kartoffelsalat. Ich stamme ja aus einer Bergarbeiterfamilie, und bei meiner Mutter gab es zu Weihnachten immer Bockwürste mit Kartoffelsalat. Das habe ich sehr gerne gegessen, aber der hiesige Kartoffelsalat ist schon klasse.

Aber wo verdienen Sie künftig Ihre Brötchen? Der Posten als Aufsichtsratschef beim VfL Bochum wird Sie kaum ausfüllen.
Da haben Sie recht, das ist ja auch nur ein Ehrenamt. Aber ich bin seit 45 Jahren Fan des Vereins. Da war es selbstverständlich für mich, die Aufgabe zu übernehmen.

Und jenseits des Fußballplatzes?
Es gibt drei bis vier Angebote, was ich beruflich künftig mache. Noch ist nichts entschieden, das werde ich die nächsten Monate in Ruhe mit meiner Familie beraten. Aber es kann gut sein, dass es wieder etwas in der Energiewirtschaft sein wird.