Der Wolf: ein Dauer-Streitthema. Foto: dpa

Schutz von Rinderherden laut Experte kaum möglich - oder nur mit "Riesenaufwand".

Empfingen - "49 Tiere im vergangenen Jahr sind eine klare Ansage", findet Wolfsexerte Friedrich Nolentius. Der Wolf fühlt sich wohl im Nordschwarzwald – und wird wohl noch eine Weile bleiben. Und wie so oft ist auch hier des einen Freud des anderen Leid.

Mit dem Wolf verbindet Friedrich Großhans vor allem zwei Dinge, erzählt der bei der Fachtagung "Wolf und Weidetierhaltung" des Landesbauernverbands am Mittwoch in Wiesenstetten: Dass die Kinder seines Ururgroßvaters Martin nicht alleine zur Schule gehen konnten und dass ebendieser Urgroß- vater seinen Lehensbauernhof aufgeben musste. "Ich bin Zeuge, wie es geht, wenn Wildtiere die Herrschaft übernehmen."

Es herrscht viel Unsicherheit

Und noch eine dritte Sache verbinde er mit dem viel diskutierten Thema: "dass viele Leute, die sich als Experten aufspielen eigentlich gar keine sind." Da sei es kein Wunder, dass auf dem Gebiet viel Unsicherheit herrsche. Um Abhilfe diesbezüglich zu schaffen, hat der Landesbauernverband in Kooperation mit den Bauernverbänden Calw, Freudenstadt und Zollernalb vier Experten in das gut gefüllte Dorfgemeinschaftshaus eingeladen.

Den Anfang macht Felician Schäfer, ein "junger Praktiker aus dem Zollernalbkreis", wie Ariane Amstutz, Pressesprecherin des Landesbauernverbands ihn vorstellt. Schäfer lebt und arbeitet in Schömberg-Schörzingen auf der Schwäbischen Alb, wo er mit seiner Familie einen Mutterkuhbetrieb mit etwa 65 Kühen betreibt. Er sei "quasi aufgewachsen bei Mütterkühen und zwischen Kälbern", meint Amstutz. Also definitiv einer, der sich mit der Nutztierhaltung auskennt – und leider auch damit, was die Wiederausbreitung des Wolfes in Baden-Württemberg für Landwirte bedeuten kann.

Den größten Profit mache sein Mutterkuhbetrieb – wie die meisten anderen auch – durch die direkte Vermarktung des Fleisches. Das bedeute vor allem eines: "Wir sind auf die Kälber angewiesen – und da können wir keinen Wolf gebrauchen, der uns den kleinen Profit auch noch kaputtmacht." Erschwerend komme dazu, dass es beim Eindringen eines Wolfs in eine Nutztierherde nicht nur zum offensichtlichen Schäden – dem Verlust eines gerissenen Tiers –, sondern auch zu erheblichen Sekundärschäden komme. Auch die Tiere, die den Angriff unbeschadet überstünden, seien danach aufgewühlt – und die Zusammenarbeit mit aufgewühlten Tieren "klappt nicht".

"Unsere Vorfahren haben sich schon etwas dabei gedacht, als sie den Wolf vor 150 Jahren ausgerottet haben", ist Schäfer sich sicher. Schließlich sei der Wolf nicht nur Viehzüchtern ein Dorn im Auge – auch wenn es die städtische Bevölkerung vielleicht noch nicht realisieren würde. Mann müsse sich im Klaren sein: Es seien in aller erster Linie die heimischen Landwirte, die dafür sorgen würden, dass die Schwäbische Alb und der Schwarzwald als Naherholungszentren so gefragt seien. "Und da frage ich mich, ob es den Urlaubern, die sich für den Wolf einsetzten, auch noch gefallen würde, wenn sie sich ihren Radweg mit einem teilen müssten."

Angst vor einem Angriff

Tatsächlich ist die Angst davor, selbst Opfer eines Wolfangriffs zu werden, da, wie sich in der Podiumsdiskussion nach den vier Fachvorträgen zeigt. Doch Friedrich Noltenius, Wildtierbeauftragter in Sachsen und Experte für Wolf und Naturschutz, kann die besorgten Zuhörer beruhigen. Als Jäger sei er schon mehreren Wölfen begegnet, "und diese Gleichgültigkeit gegenüber mir war ehrlich gesagt beleidigend". Er könne zwar verstehen, dass gerade Menschen, die nur sehr selten mit dem Wolf in Berührung kämen, ein gewisses Maß an Angst hätten. Bei allem angemessenen Respekt müsse man sich aber eines klar machen: "Über 1,40 Meter groß, geht auf zwei Beinen – der Mensch passt nicht wirklich ins Beuteschema des Wolfes."

Trotzdem dürfe eines nie in Vergessenheit geraten: Die Sicherheit derjenigen, die in Gebieten leben würden, in denen auch Wölfe heimisch sind, stehe grundsätzlich an erster Stelle. Der Wolf sei zwar eine streng geschützte, nicht aber eine gefährdete Art, gibt er zu bedenken. Es sei daher rechtens, Wölfe dort, wo sie erheblichen Schaden anrichten würden, zurückzudrängen. "Wolf unbegrenzt ist keine Alternative" – deshalb müsse man darüber diskutieren "ob und wie viel Wolf im ›Ländle‹ geht".

Noltenius stellt in diesem Zusammenhang auch einen Grundgedanken dar, dem er folgen würde. Dieser Grundgedanke stammt aus einem Leitfadens des Bundesamts für Naturschutz mit dem Titel "Leben mit Wölfen – Leitfaden für den Umgang mit einer konfliktträchtigen Tierart in Deutschland" und lautet: "Für Deutschland ist ein pragmatischer Ansatz zu verfolgen, der eine Schadensminderung verfolgt. Das heißt, Wölfe können sich entsprechend ihrer eigenen Habitatansprüche ausbreiten und werden überall dort toleriert, wo das Ausmaß der wolfsverursachten Schäden und Konflikte mit vertretbarem Aufwand gering gehalten werden kann."

Bei Konflikten werde der Wolf sich nämlich nicht von alleine zurückziehen, ist Noltenius sich sicher. Denn – im Gegensatz zur landläufigen Meinung – brauche der Wolf keine weitläufigen Rückzugsgebiete. "Er kommt sehr viel besser mit der Nähe zu uns klar als wir mit der Nähe zu ihm." Noltenius, der "Wolf und Naturschutz aus anderer Sicht" betrachten will und sich von Anfang an geweigert habe, dem Mainstream zu folgen, erinnert sich noch an seine ersten Berührungspunkte mit einem Wolf im Frühling 2010: "Für mich als Jäger, aber auch für die Weidetierhalter war das ein Unterschied wie Tag und Nacht."

Den Baden-Württembergern empfiehlt er, in konstruktiven Gesprächen aufeinander zuzugehen, um "zu einem etwas anderen Umgang mit dem Wolf zu kommen, bevor die Situation unerträglich wird". Denn flächendeckender Herdenschutz sei weder finanziell noch arbeitstechnisch für die heimischen Landwirte realisierbar. Und trotzdem müsse man einen Weg finden, die Anzahl der von Wölfen gerissenen Tiere, die 2018 bei 2515 lag, einzudämmen.

Vierlitzige Zäune empfehlen sich

Möglichkeiten, eine Nutztierherde vor dem Wolf zu schützen und dafür eventuell staatliche Fördergelder zu bekommen, stellt anschließend Micha Herdtfelder von der Forstlichen Versuchsanstalt Freiburg vor. Fast der ganze Nordschwarzwald werde gefördert, erklärt er zunächst und veranschaulicht das Gebiet mit Hilfe einer Karte. Für Schaf-, Ziegen und Gatterviehhalter gebe es einen 90 prozentigen Zuschuss für Zaunmaterial. Für Pferde und Rinder gebe es eine solche Unterstützung noch nicht. Der Grund: Das Risiko, dass ein Wolf ein Pferd oder ein Rind reißt, sei im Vergleich zu anderen Nutztieren sehr gering – "das ist eine der wenigen guten Nachrichten, die ich allen Rinderhaltern heute überbringen kann."

Wegen dieses geringen Risikos sei die Empfehlung des Landes – und auch seine persönliche: Rinder nicht präventiv schützen, denn das sei ein "Riesenaufwand". Erst wenn bekannt werde, dass ein Wolf im Gebiet vergleichbare Tiere reißt, solle man seine Zäune vermehrt absichern. Dann empfiehlt Herdtfelder vierlitzige Zäune mit einer Mindesthöhe von 90 Zentimetern, noch besser aber 105 bis 120 Zentimetern. Und vor allem eines sei wichtig: ein guter Bodenabschluss, weil der Wolf sich durch jede noch so kleine Spalte zwischen Boden und Zaun quetschen würde.

Besonders schutzbedürftig seien Kälber – vor allem während der ersten vier Lebenswochen – sowie schwächere Tiere. Denn diese würden die Wölfe, die hohe Risiken scheuen, besonders oft reißen. Dieses Wissen um Risikofaktoren müssten die Viehhalter jetzt in ihre Arbeit einbeziehen: "Sie wissen, an welchen Stellschrauben Sie drehen müssen und was machbar ist."

Entschädigungsfonds für Nutztierhalter

Und was, wenn trotz aller Vorsicht und aller Maßnahmen ein Wolf den Zaun überwindet und ein Tier reißt? Auch dann gebe es Hilfe vom Land, beruhigt Herdtfelder die Anwesenden. Für solche Fälle existiere ein Entschädigungsfonds für Nutztierhalter, aus dem die betroffenen Landwirte im Falll eines Risses finanzielle Entschädigungen beziehen können. Momentan – und für Rinder- und Pferdehalter auch in Zukunft – gehe das noch ganz problemlos. Wer Schäfe oder Ziegen hält, bekommt ab Sommer diesen Jahres nur dann Geld, wenn er die in Baden-Württemberg vorgeschriebene Mindestsicherung eingehalten habe.

Gerade dann – wenn es aus dem Entschädigungsfonds kein Geld gebe – sei der Versicherungsschutz zentral, erklärt Unternehmensberaterin Isabel Küperkoch. Sie unterscheidet zwei Arten des Versicherungsschutzes: der eine beziehe sich auf den Schaden, der an den eigenen Tieren entsteht, der andere auf den Schaden, der einem Dritten entsteht. Gerade was den Schtz der eigenen Tiere anbelangt "ist die Versicherungswirtschaft momentan noch zurückhaltend", erklärt sie. Ein Angebot sei eine sogenannte Tierversicherung. Das Problem: Diese springe zwar ein, wenn Tiere verletzt und getötet würden, sei aber eigentlich nur dafür gedacht, den Fortbestand der Herde zu sichern. Die Folge seien hohe Selbstbeteiligungen, welche die Schadenshöhe oftmals überträfen – "und das lohnt sich dann nicht".

Die meisten Versicherungen hätten aber mittlerweile reagiert und Nutztiere quasi als Gegenstand in ihre Inventarversicherungen aufgenommen. Bei solchen Inventarversicherungen würde die Versicherung aber nur unter zwei Voraussetzungen zahlen, gibt Küperkoch zu bedenken: Die Tiere müssen tot – nicht nur verletzt – sein, und es darf kein Anspruch auf Geld aus dem baden-württembergischen Entschädigungsfonds für Nutztierhalter bestehen.

Was die Schäden anbelangt, die Dritte erleiden, wenn ein Wolf in eine Herde eindringt, empfiehlt Köperkoch dringend eine Haftpflichtversicherung, "aus meiner Sicht die wichtigste Versicherung für ein Unternehmen überhaupt." Allerdings trage eine solche Versicherung den Eigenschaden, der beispielsweise durch Polizei- oder Feuerwehreinsätze entstehen kann, nicht. Diesen Schaden müsse man selbst tragen. "In der Regel sind das aber Einzelfallfragen", sagt Küperkoch abschließend. Deshalb sei eine Pauschallösung – wie beim Thema Wolf allgemein – fast unmöglich.