Abenteuer: Bärbel Gerhardt und Johan de Vries fahren durch Zentralasien / Dort gilt als arm, wer Rad fährt

Empfingen. Tausende Kilometer haben sie schon in den Beinen: Die leidenschaftlichen Radler Bärbel Gerhardt aus Empfingen und ihr Partner Johan de Vries sind seit August mit ihren Fahrrädern durch Zentralasien und den nahen Osten unterwegs. Es ist schon ihre zweite Tour: Von 2012 bis 2014 sind sie 26 000 Kilometer durch alle möglichen Länder der Welt geradelt. Im Interview erzählt Bärbel Gerhardt von Eindrücken ihrer aktuellen Tour, von männerdominierten Gesellschaften und Mitleid für Radfahrer.

Frau Gerhardt, wie viele Kilometer sind Sie und Ihr Partner seit Ihrer Abreise im August schon gefahren?

Mehr als 7500 Kilometer. Wir haben sieben Länder besucht: Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Oman, wo wir uns gerade befinden. Mitte Februar werden wir zurück nach Dubai radeln, wo wir wieder bei Freunden unterkommen.

Vor der Abfahrt haben Sie von einem offenen Ende der Tour gesprochen. Ist das noch aktuell?

Bisher ist die Reisedauer noch immer offen. Wir bleiben unterwegs, solange wir Spaß am Reisen und Radeln haben.

Damals hatten Sie vor, von Dubai nach Madagaskar zu fliegen und dann durch den Süden Afrikas zu radeln. Was ist aus diesem Plan geworden?

Der hat sich leider zerschlagen. Madagaskar haben wir aus zwei Gründen fallen lassen: Zum einen wäre es gerade Regenzeit, was zum Fahrradfahren nicht ideal ist, zum Anderen gibt es Reisewarnungen, da es immer wieder zu bewaffneten Raubüberfällen kommt. Wir sind ganz von Afrika abgekommen und werden wohl die Monate März und April in Thailand verbringen, um dann im Mai unsere Reise in Alaska fortzusetzen.

Alaska? Droht da nicht ein Kälteschock nach rund 30 Grad in Thailand?

Ganz sicher werden wir die ersten Wochen fast erfrieren. Aber zunächst freuen wir uns nach sechs Monaten in sehr trockenen Ländern mit kargen Landschaften jetzt auf Thailand, ein etwas grüneres und warmes Land. Wir müssen vor Alaska und Kanada nochmals auftanken und Urlaub machen.

Wie war es, sich wieder ans permanente Radeln und das Leben aus den Satteltaschen zu gewöhnen?

Das ging dieses Mal viel einfacher, da wir das einfache Leben ja bereits kannten. Allerdings war die Reise bisher deutlich schwieriger als das, was wir auf der letzten Tour erlebt haben. Wir waren von Anfang an in einer komplett anderen Kultur unterwegs, haben viel gezeltet und mussten oft auf nährreiches Essen verzichten. Viele Straßen waren unbefestigt – das macht das Vorankommen in den Bergen sehr schwer. In den größeren Städten gönnten wir uns oft ein besseres Gasthaus, um uns von den Strapazen zu erholen.

Wie haben Sie die politische Situation in den islamisch geprägten Ländern erlebt?

Mittlerweile ist die politische Lage in den sogenannten ›Stan-Ländern‹ (enden auf -stan) sehr stabil. Die meisten von ihnen versuchen, den Tourismus anzukurbeln. Überall spürt man noch den Einfluss der Russen und manch einer sehnt sich nach den alten Zeiten: In Tadschikistan hat es anscheinend früher auch im abgelegenen Pamir-Gebirge fließend Wasser und Strom in den Dörfern gegeben. Heute ist das nicht mehr der Fall.

Haben Sie bei der Tour durch so abgelegene Gegenden gefährliche Situationen erlebt?

Gefährlicher als in abgelegenen Gegenden ist es für uns Radfahrer in der Stadt, wegen des Verkehrs. In Dubai kamen wir zum Beispiel erst nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Zoll und mussten noch durch die Stadt radeln, die fast ausschließlich aus mindestens zweispurigen Autobahnen besteht. Wir mussten eine dreispurige Ausfahrt überqueren. Das war ziemlich gruselig.

In Ihren bereisten Ländern ist es ungewöhnlich, dass eine Frau Rad fährt. Wie reagieren die Leute auf Sie?

In den Stan-Ländern konnte ich ohne größere Probleme noch in kurzen Hosen radeln. Die Menschen sind an Reise-radler gewöhnt. Verschleiern musste ich mich erst im Iran. In unseren ganzen zwei Monaten im Iran haben wir vielleicht drei oder vier iranische Frauen auf dem Rad gesehen.

Da waren Sie ja wirklich eine Seltenheit.

Grundsätzlich sind wir immer aufgefallen, alleine dadurch, dass in diesen Ländern nur derjenige Fahrrad fährt, der sich kein Auto leisten kann. Immer wieder mussten wir nett gemeinte Angebote ablehnen, doch im Auto mitzufahren. Wir haben viel Bewunderung, aber auch Unverständnis geerntet.

Hier wird wegen der Flüchtlinge gerade viel über das Frauenbild im arabischen Raum diskutiert – wie erleben Sie das?

Zu Beginn war diese Situation der Frauen auch für mich befremdlich. Ich musste mich erst einmal daran gewöhnen, dass mir Männer in der Regel nicht zuhören, sie mir nicht die Hand zur Begrüßung geben und eigentlich immer nur Johan alles organisieren kann. Männer, die mich direkt angesprochen haben, hatten immer andere Dinge im Sinn.

Wie haben Sie darauf reagiert, dass Sie nicht ernst genommen wurden? Haben Sie sich zurückgehalten oder versucht, sich trotzdem einzubringen?

Beides. Oftmals genieße ich es sogar nach einem anstrengenden Tag, dass Johan den Alleinunterhalter spielen muss und ich mich nicht zu unterhalten brauche. In den Gesprächen spielt mir Johan aber oftmals den Ball zu, indem er dann sagt, dass ich das besser erklären könne. Dann wird mir schon auch zugehört. Wir haben auch bei sehr konservativen Familien übernachtet. Dort haben die Frauen erst gegessen, wenn Männer und Gäste fertig waren. Aber auch diese Frauen hatten ihren Spaß untereinander und ich hatte nicht das Gefühl, dass sie sich unterdrückt fühlten. Wir haben oft erlebt, dass im Haus die Frau der Boss ist und der Mann die Lebensmittel-Einkäufe erledigt. Ich denke, dass wir im Westen einfach akzeptieren müssen, dass es andere Kulturen und Sitten gibt, die nichts mit Unterdrückung oder Diskriminierung der Frauen zu tun haben.

Sie haben ja auch Schleier getragen, hat der sie gestört?

Meistens. Beim Radeln war es bei hohen Temperaturen sehr lästig, da der komplette Hals bedeckt ist und ich dann noch mehr geschwitzt habe. Es hat gedauert, bis ich wusste, wie ich ihn am besten um den Kopf binde, ohne dass er wegweht. Später hat mich der Schal nur noch beim Einkaufen genervt, da eine Hand immer damit beschäftigt war, den Schal festzuhalten. Ich habe viele Frauen gefragt, ob sie die Verschleierung nicht störe, aber keine fand das auch nur im Entferntesten schlimm. Und ich kann das auch nachvollziehen: Wenn man ab dem Alter von neun Jahren den Schleier trägt und es nicht anders kennt, dann kommt man sich ohne mit Sicherheit nackt vor.   Die Fragen stellte Lena Müssigmann.

Weitere Informationen: http://2cycletheworld.wordpress.com

  Anzahl der Länder

7 Länder in 6 Monaten

  Geradelte Kilometer

Über 7500 Kilometer und

über 45 000 Höhenmeter

  Plattfüße

11 Stück – davon 7 an Johans Rad, 4 an Bärbels

  Pässe

Die beiden haben 29 Pässe bezwungen, wovon fünf über 4000 Meter hoch waren

  Längste Tagesetappe

129 Kilometer lang

  Tempo

Die höchste Tages-Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei 22 km/h, die niedrigste bei 7 km/h

  Längste Zeit im Sattel

Am längsten Radlertag saßen die beiden 8 Stunden und 52 Minuten im Sattel – von Sary-Tash in Kirgisistan nach Karakul in Tadschikistan