Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Schäuble hat am Dienstagabend im Bürgersaal in Ottenheim über die aktuelle Lage der Nation – insbesondere die Energiekrise, Putins Krieg gegen die Ukraine, die Inflation sowie die Klimakrise – referiert. Foto: Goltz

Das Polit-Urgestein Wolfgang Schäuble hat am Dienstag einen Vortrag im voll besetzen Bürgersaal in Ottenheim gehalten. Er sprach über die Energiekrise, den Ukraine-Krieg, die Inflation sowie das Klima – seine größte Sorge ist aber eine ganz andere.

Ottenheim - Zur Vortragsveranstaltung mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Schäuble begrüße Kuno Hamm, Vorsitzender der CDU Schwanau, am Dienstag im Bürgersaal in Ottenheim und führte mit einer Anekdote in den Abend ein: "1972 kandidierte Schäuble erstmals für die Bundestagswahl, die am 19. November, genau vor 50 Jahren stattfand." Einige Tage zuvor sollte in Schwanau eine Wahlkampfveranstaltung für Schäuble im Gasthaus Adler in Ottenheim organisiert werden, so Hamm. "Die Organisatoren hatten Sorge, ob die Bestuhlung für rund 70 Personen ausreichen würde." Die Zuschauermasse sei dann aber sehr überschaubar gewesen: fünf Gäste insgesamt. Schäuble habe dies gelassen genommen und am Ende seines Vortrags bemerkt: "Aller Anfang ist eben schwer."

Das bunt gemischte Publikum am Dienstag lachte herzlich, bevor auch Bürgermeister Marco Gutmann den Bundestagsabgeordneten begrüßte und sein jahrzehntelanges politisches Wirken würdigte: "Der heutige voll besetzte Bürgersaal zeigt deutlich, welchen Stellenwert Ihre heimatverbundene und stets sachliche Politik bei den Bürgerinnen und Bürgern hervorruft."

"Ich habe gedacht, nachdem das in der ersten Legislaturperiode in Schwanau nicht so toll war mit dem Besuch, versuche ich es nach 50 Jahren einfach erneut", stieg Schäuble humorvoll in seinen Vortrag ein. In der sich anschließenden Stunde berichtete er über das aktuelle Weltgeschehen – ging unter anderem auf den Ukrainekrieg, die Pandemie und das Klima ein.

Ukraine-Krieg: "Oft werde ich gefragt, ob ich je geglaubt hätte, dass wir solch eine Situation, wie wir sie heute erleben müssen, noch einmal erleben würden. Und meine Antwort ist nein."Über die Zeiten der Kubakrise, "das Wunder der Deutschen Einheit", Helmut Schmidts und Michail Gorbatschows Wirken und den Nato-Doppelbeschluss erläuterte Schäuble die Entwicklung bis hin zum Ukraine-Krieg. "Wir haben es alle nicht geglaubt, dass Putin den Fall der Sowjetunion rückgängig machen wollte", räumt Schäuble ein. "Und jetzt haben wir diesen Krieg", fügte er an. Bedauerlicherweise käme hinzu, dass Europa immer weniger Einheit sei – "selbst die deutsch-französische Freundschaft wird derzeit mit atemberaubender Geschwindigkeit zertrümmert". Dagegen müsse man intensiv vorgehen. Trotzdem ist Schäuble nicht pessimistisch, dass "wir das mit der Ukraine hinbekommen ohne die große Katastrophe – die Atomwaffe". Man müsse auf ein "Unentschieden" kommen, Putin dürfe nicht gewinnen, aber auch nicht verlieren. Und dann wäre die Frage: "Was machen wir dann mit Putin? – Politik ist kompliziert."

Pandemie: "Auch hier haben wir nicht geglaubt, dass so etwas nochmal passiert", leitet Schäuble in die Thematik Pandemie über. Er selbst sei vier Mal geimpft und froh darüber, dass in kürzester Zeit ein Impfstoff entwickelt werden konnte, sodass sich nun die Lage entschärfe. "Ich glaube, die Pandemie ist nicht unüberwindbar für uns, wir sollten aber weiterhin Vorsicht walten lassen", rät er.

Inflation: "Schwieriger als die Pandemie ist, glaube ich, für uns die Inflation", so Schäuble und erntete mit der Aussage nickende Köpfe beim Publikum. Man müsse sich auf den geringeren Wohlstand einstellen und daran vorerst gewöhnen – "wir hier in Deutschland sind im Vergleich zu der Welt nicht arm", gab er zu bedenken. 

Klima: Dass die Menschen ökologisch über ihre Verhältnisse lebten, sei nicht von der Hand zu weisen. "Wir verbrauchen mehr, als die Natur in der Zeit regenerieren kann – reisen beispielsweise wie die Weltmeister." Man müsse sich vor Augen halten, dass "wir als Industrienation" am meisten an ökologischen Ressourcen verbrauchten – die Leidtragenden seien die armen Länder: Dürre, Hungersnot, Fluten – was wiederum die Migration bringe. "Wir sollten dafür sorgen, dass die Menschen in ihren Heimatregionen überleben können."

Größte Sorge: "Meine größte Sorge ist aber derzeit unsere Demokratie." Wenn die Menschen nicht mehr glaubten, dass die Demokratie die überlegene Staatsform sei, dann werde die Demokratie "vor die Hunde gehen". Sorgenvoll blickt er auf die geringe Wahlbeteiligung in Deutschland. Es bewege sich in eine gefährliche Richtung. "Die Demokratie ist kein Schnäppchenmarkt, mit der die Politik ständig Angebote machen kann. Politik kann überhaupt nichts anbieten, was die Bürger nicht bezahlen", macht Schäuble deutlich. Das Einzige, was die Politik den Bürgern anbieten könne, sei eine gerechte Verteilung, eine Ordnung, dass der Sozialstaat funktioniere. Und gerade im Hinblick auf den Wunsch anderer Länder, in Freiheit und Demokratie leben zu können, sei es "unsere Verpflichtung zu zeigen, dass das geht. Wir müssen uns engagieren, denn wir haben eine Verantwortung, die größer ist als nur für uns selbst", mahnt er. Aber die Hoffnung sterbe zuletzt – "das zeigt ja auch der SC Freiburg, wenn er in der 94. Minute noch gewinnt", lockerte er seinen Vortrag auf. Dann appellierte er abschließend an die Bürger mit lautem Ton: "Kümmern Sie sich um Schwanau, um die Demokratie im Land und im Bund und in Europa."

Diskussionsrunde

Abschließend hatten die Schwanauer Bürger noch Gelegenheit, Fragen an den Bundestagsabgeordneten zu richten. Einige Fragen drehten sich nochmals um den Ukraine-Krieg und die Inflation. Dann hätte ein Bürger gerne Schäubles Meinung zur "Strobl-Affäre" gewusst. Aufgrund der familiären Umstände, hielt er sich bei der Antwort kurz – "die Polizei-Affäre ist absurd." Weiter ging es um das Thema Rente und darum, dass die Politik oft zu kompliziert sei, wie ein Bürger findet. Die Politik sei bemüht, so Schäuble, "aber manches bleibt kompliziert".