Alexander Zorniger feierte 2018 den dänischen Pokalsieg als Trainer von Bröndby IF. Foto: imago//Liselotte Sabroe

Alexander Zorniger trainierte von 2016 bis 2019 Bröndby IF und gilt als Kenner und Freund des dänischen Fußballs. Der Ex-VfB-Trainer spricht über die Chancen im Achtelfinale gegen Deutschland, die Mentalität und seine EM-Favoriten.

Das dänische Fußball-Nationalteam ist bei dieser EM noch sieglos und geht als Außenseiter ins EM-Achtelfinalduell in Dortmund gegen Deutschland (Samstag, 21 Uhr/ZDF). Wie schätzt der Dänemark-Kenner und Ex-VfB-Trainer Alexander Zorniger von Zweitligist SpVgg Greuther Fürth die Chancen ein?

 

Herr Zorniger, kann es sein, dass beim Duell Deutschland gegen Dänemark Ihre beiden Lieblingsteams aufeinandertreffen?

Definitiv. Deutschland ist mein Heimatland. Dänemark mein absolutes Lieblingsland.

Was begeistert Sie so sehr?

Die Leute. Wie sorgsam sie umgehen, mit sich selbst, mit den Mitmenschen. Das ist anders als in Deutschland.

Können Sie das beschreiben?

Es gibt weniger Neid, man freut sich mit seinen Mitmenschen einfach mit. Die Dänen mögen auch keine Hektik und keinen Stress, es gibt kein so großes Hierarchiegefälle.

Wirkt sich die Mentalität auf den Fußball aus?

Grundsätzlich orientiert man sich in Dänemark ja am englischen Fußball. Aber am ehesten wirkt sich die Mentalität dahingehend aus, dass die Dänen super gut darin sind, selbstständige Entscheidungen zu treffen. Schon die Kinder werden mit einer natürlichen Pädagogik früh in die Entscheidungsfindung mit einbezogen, wenn es zum Beispiel darum geht, welches Auto gekauft wird, wohin es in den Urlaub geht. Und noch etwas ist auffallend.

Bitte.

Die Dänen halten extrem zusammen, sie passen aufeinander auf. Ein gutes Beispiel war das Drama um Christian Eriksen bei der EM 2021 nach seinem Herzstillstand. In Deutschland hätte es nach zwei Wochen ein anderes Thema gegeben, in Dänemark bleibt das unvergessen.

Unvergessen bleibt auch der EM-Titelgewinn 1992, als Außenseiter Dänemark im Finale von Göteborg 2:0 gegen Deutschland gewann. Spielt das am Samstag irgendeine Rolle?

Nur dahingehend, dass es zeigt, dass im Fußball eben alles möglich ist. Ansonsten ist das kein Thema. Ich weiß nicht, ob die aktuellen Spieler beider Teams mehr als zwei, drei Namen aus der Aufstellung von 1992 nennen könnten.

Zum aktuellen Geschehen: In der Vorrunde reichte es für die Dänen nur zu drei Unentschieden...

...und es war wirklich nicht gut, was ich da gesehen habe. Das hatte sich schon beim letzten Vorbereitungsspiel vor der EM angedeutet, obwohl es da einen Sieg gegen Norwegen gab. Ein Däne fragte mich, ob die Mannschaft ins Finale kommt, ich konnte ihm wenig Hoffnung machen.

Hat Dänemark denn eine Chance, das Achtelfinale gegen Deutschland zu überstehen?

Wenn Deutschland so statisch spielt wie gegen die Schweiz, dann haben die Dänen eine Chance. Gegen große Nationen bringen sie immer Leistung. Sie haben ja auch eine Ansammlung von Spielern, die in europäischen Topligen am Ball sind. Wenn du nicht aufpasst, fressen sie dich auf.

Aber?

Spielt die deutsche Mannschaft wie in den ersten beiden Spielen, mit hohem Tempo, dann bekommen die Dänen große Probleme beim Umschaltspiel – und das DFB-Team gewinnt. Neben der Spielgeschwindigkeit wird Christian Eriksen ein entscheidender Faktor sein.

In welcher Hinsicht?

Er ist das dänische Äquivalent zu Toni Kroos, nur dass er noch mehr Ballkontakte hat. Ihm passen sich bei den Dänen alle an, alles steht und fällt mit ihm.

In den dänischen Medien wird der Spielstil von Kasper Hjulmand als langweilig und unsexy kritisiert.

Kasper hat ein gutes Standing, schließlich hat er Dänemark bei der EM 2021 ins Halbfinale geführt. Man kennt ihn ja in Deutschland aus seiner Zeit in Mainz. Er ist ein äußerst angenehmer Mensch, der in Dänemark viele junge Spieler hervorragend weiterentwickelt hat, zudem ein starker Kommunikator, ein moderner Leader.

Wie schätzen Sie das deutsche Team ein?

Sehr gut. Das allgemeine Auftreten gefällt mir, die Art, wie sich die Mannschaft präsentiert. Ich habe dies früher kritisch gesehen. Aber jeder konzentriert sich nun einzig und allein aufs Wesentliche – auf seine Leistung auf dem Platz. Und Julian Nagelsmann zeigt Mut, wie ihn nicht viele Trainer zeigen.

Bekommt die Abwehr gegen starke Gegner Probleme?

Das kann immer sein. Selbst die Franzosen bekommen Probleme, wenn sie nicht gut spielen. Und die Spielweise der Engländer finde ich viel zu statisch, dabei müssten sie eigentlich das Turnier gewinnen, kein Team hat so viele Spieler mit einem Marktwert von über 100 Millionen Euro in seinem Kader.

Wer wird Europameister?

Spanien oder Frankreich, aber ich hoffe, Deutschland.

Also drücken Sie am Samstag Ihrem Heimatland die Daumen, wie alle in der Familie?

Ich auf jeden Fall, mein Sohn hat im Urlaub ein Dänemark-Trikot bekommen, er wird sich schwer tun. Meine Frau drückt vielleicht einen Tick mehr den Dänen die Daumen und meine Tochter schaut das Spiel in ihrem Blumenkleid ganz neutral an.

Zur Person

Karriere
Alexander Zorniger wurde am 8. Oktober 1967 in Mutlangen geboren und wuchs in Schwäbisch Gmünd auf. Seine erste Trainerstation war von 2002 bis 2009 Normannia Gmünd, parallel dazu arbeitete er als Bereichsleiter Sport beim Württembergischen Tennis-Bund (WTB). Erst nach der Zeit in Gmünd setzte er voll auf die Karte Fußball. Los ging es als Co-Trainer beim VfB Stuttgart unter Markus Babbel, dann als Chefcoach bei der SG Sonnenhof Großaspach (2010 bis 2012) und daraufhin bei RB Leipzig (2012 bis 2015). Es folgte die Rückkehr zum VfB als Chefcoach. Trotz eines Dreijahresvertrags war die Zusammenarbeit aber nach nicht einmal fünf Monaten beendet. Weiter ging es in Dänemark bei Bröndby IF (2016 bis 2019) und bei Apollon Limassol/Zypern (2021/2022). Seit 2022 trainiert er den Zweitligisten SpVgg Greuther Fürth.

Persönliches
Zorniger ist verheiratet mit Kristina, einer Autorin, Bloggerin und Moderatorin. Das Paar hat die Kinder Liva (6) und William (4). (jüf)