Der Bundesliga-Profi steht in Spaniens Offensive vor dem Halbfinale gegen Frankreich nach Wochen als Joker voll im Fokus – und verkörpert die neue Zielstrebigkeit der Iberer wie kaum ein anderer.
Ist ein Kader stark und breit aufgestellt, sind Härtefälle unvermeidlich. Dani Olmo war ein solcher, ohne Wenn und Aber: Über Wochen musste sich der formstarke Offensivakteur im spanischen Mittelfeld mit der Jokerrolle begnügen, geduldig bleiben, auf seine Chance warten – bis die Türe in einem Moment aufging, in dem er wohl selbst nicht damit gerechnet hätte. Durch die frühe Verletzung von Pedri im EM-Viertelfinale gegen Deutschland war Olmo direkt ohne große Anlaufzeit gefordert. Und lieferte ab beim 2:1-Sieg seiner Mannschaft: als Torschütze, Vorlagengeber und Spieler des Spiels. Einer der schönsten Abende seiner Karriere sei das gewesen, ließ er im Anschluss in Stuttgart beglückt wissen.
Wirklich überraschend kam der starke Auftritt nicht. Der 26-Jährige hatte eigentlich nur dort weitergemacht, wo er in den Partien zuvor aufgehört hatte. Schon Olmos bisherigen EM-Einsätze – bis auf das bedeutungslose letzte Gruppenspiel gegen Albanien (1:0) allesamt als Einwechselspieler – waren von Zielstrebigkeit und präzisen Aktionen in engen Räumen geprägt. Es gab aber in der Startelf einfach kein Vorbeikommen an Rodri (Manchester City), Fabian Ruiz (Paris Saint Germain) und Pedri (FC Barcelona) im höchst prominent besetzten Mittelfeld der Iberer. Jetzt ist Olmo endgültig im Turnier angekommen und mittendrin im Rampenlicht. „Dani ist ein fantastischer Fußballer“, betont sein Trainer Luis de la Fuente: „Er fällt auf, aber er denkt mehr an das Team als an sich selbst.“
Ungewöhnlicher Weg über Dinamo Zagreb
Solche Lobeshymnen haben gerade in der Heimat für Olmo ungewohnten Klang. Noch während der EM berichtete der Profi von RB Leipzig vielsagend, dass er in Deutschland vermutlich ein gutes Stück bekannter sei als in Spanien. Das mag auch an seinem ungewöhnlichen Weg liegen – der erst einmal gewöhnlich begann für einen hochveranlagten spanischen Nachwuchsspieler: in La Masia, der berühmten Talentschmiede des ruhmreichen FC Barcelona. Mit neun Jahren kam Olmo in die dortige Akademie, war in der Folge mehrfach bester Torschütze seines Jahrgangs – und entschied sich dann mit 16 Jahren für einen doch überraschenden Schritt. Es ging nach Kroatien, zu Dinamo Zagreb.
Dort reifte Olmo fünf Jahre lang, holte sich abseits der großen Aufmerksamkeit Spielpraxis und Profihärte, war bei Fachleuten aber immer auf dem Radar. 2019 berief ihn der heutige Nationaltrainer de la Fuente ins Aufgebot für die U-21-EM. Zusammen gewannen die beiden den Titel im Finale gegen Deutschland, das gemeinsame Erlebnis prägt ihre Beziehung bis heute. „Als ich in Kroatien war, hat er mich angerufen und mir vertraut“, sagt Olmo über de la Fuente.
Kurz nach dem Erfolg mit der U 21 folgte dann aber doch der nächste Schritt, er führte Olmo für rund 30 Millionen Euro Ablöse zu RB Leipzig. In Sachsen ist er längst Schlüsselspieler, nach dreieinhalb Jahren stehen 29 Tore und 34 Vorlagen zu Buche – hätte ihn nicht die eine oder andere Verletzung ausgebremst, würden seine Statistiken für den Bundesligisten wohl noch ganz anders aussehen.
Stichwort Leipzig: Auf den ersten Blick passt diese fußballerische Sozialisation ja nicht wirklich zur spanischen Nationalelf, die Pressing- und Umschaltschule von RB war lange der Inbegriff des Gegenpols zur iberischen Passmaschine. Aber: De la Fuente aber hat dem Tiki-Taka längst einen neuen Anstrich verpasst, das spanische Spiel ist vertikaler, direkter, risikoreicher. Kaum jemand verkörpert dieses Element besser als Olmo, der Mittelfeldspieler mit dem großen Zug zum Tor.
Bei vielen internationalen Topclubs auf dem Zettel
Nun aber wird die neue offensive Wucht der Spanier einem echten Härtetest unterzogen. Im Halbfinale in München an diesem Dienstag (21 Uhr/ZDF) geht es gegen die Defensivkünstler vom Dienst, Frankreich hat in fünf Turnierspielen erst ein einziges Gegentor kassiert und wurde aus dem Spiel heraus noch überhaupt nicht bezwungen. „Es wird wieder ein Endspiel werden, weil Frankreich eben dieses Niveau hat“, sagt Olmo, der auch persönlich vorspielen wird.
Er kann die Leipziger per Ausstiegsklausel für rund 60 Millionen Euro verlassen und steht bei mehreren internationalen Topclubs auf dem Zettel – beim FC Barcelona ebenso wie bei Manchester City, wo er als Nachfolge-Kandidat von Kevin De Bruyne gilt. Das oberste Regal, das Olmo aber weder abschreckt noch ablenkt. „Ich habe meine Leute, die sich darum kümmern werden. Ich konzentriere mich nur auf das Halbfinale.“ In dem hat er nach seinem jüngsten Bewerbungsschreiben beste Startelfchancen.