Nach dem Spiel zwischen Dänemark und Belgien wurden 4000 Fans zum Test aufgefordert. Foto: imago images/Panoramic International/Nico Vereecken

Die gut gefüllten Stadien haben bei der Fußball-Europameisterschaft nach mehr als einem Jahr mit Geisterspielen endlich wieder richtige Fußball-Atmosphäre erzeugt - aber zu welchem Preis? 

London - Fast 100 infizierte Finnen nach der Rückkehr aus St. Petersburg, Massentests in Dänemark wegen eines Infektionsortes im Stadion: Bei der EM-Party feiert das Coronavirus fleißig mit. Das paneuropäische Turnier könnte sich tatsächlich wie von einigen Experten befürchtet als Superspreader-Event erweisen.

Und die größte Gefahr droht erst jetzt: Ein fast volles Wembley-Stadion. „Das ist ein Brandbeschleuniger für die Delta-Variante, die uns derzeit diese großen Probleme macht“, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“. 

45.000 gegen Deutschland in Wembley zugelassen

Lauterbach hält es „weder epidemiologisch noch symbolisch“ für eine kluge Entscheidung, dass die UEFA „an dem Ort, an dem derzeit die gefährlichste Variante mit der höchsten Inzidenz in ganz Europa vorherrscht“, Fußballspiele vor 60.000 Zuschauern durchführen wolle. So viele Fans sind ab den Halbfinals im Wembley-Stadion erlaubt, für das Achtelfinale am kommenden Dienstag (18.00 Uhr/ARD und MagentaTV) gegen Deutschland werden 45.000 Zuschauer zugelassen. 

Deutsche Fans werden darunter aber kaum sein, die Behörden sowohl in Deutschland als auch in England rücken von ihrer verpflichtenden Quarantäne bei der Einreise nicht ab. „Fans mit Eintrittskarten, die zu einem Spiel reisen, das vor dem Ende der Quarantänezeit stattfindet, wird der Zutritt an der Grenze nicht gestattet“, teilte die deutsche Botschaft in Großbritannien mit.

Sonderregeln für Politiker

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) flog dagegen am Freitag nach London, um den britischen Premierminister Boris Johnson zu treffen. Sie muss jedoch anders als reisende Fußball-Fans oder übrige Touristen nicht in Quarantäne, weil für politische Delegationen Sonderregeln gelten. 

Das Nachfrage nach den 10.000 Tickets, die dem Deutschen Fußball-Verband (DFB) zur Verfügung stehen, dürfte sich aufgrund der grassierenden Delta-Variante im Königreich ohnehin stark in Grenzen halten. Vom Auswärtigen Amt wurde Großbritannien als Virusvarianten-Gebiet eingestuft, „vor allen nicht notwendigen, touristischen Reisen“ wird explizit gewarnt.

Steigende Zahlen in Russland

Nicht grundlos - wie neueste Zahlen der britischen Gesundheitsbehörden bestätigen: Am Freitag traten demnach 35.204 neue Corona-Fälle mit der Delta-Variante auf, das ist eine Steigerung von 46 Prozent gegenüber der Vorwoche.

Doch nicht nur England birgt als Fan-Ziel ein Risiko in der Pandemie. Finnische Behörden teilten mit, dass fast 100 Finnen nach der Rückkehr aus St. Petersburg, wo zwei Vorrundenspiele des EM-Neulings stattgefunden hatten, positiv getestet worden seien. In Russland steigt die Zahl der Neuinfektionen seit Tagen rasant an, und die meisten finnischen Fans verzichteten bei ihrer EM-Party in der Zarenstadt auf die gängigen Hygienemaßnahmen. 

Massentests nach Dänemark-Spiel

In Dänemark wurde das Vorrundenspiel Dänemark gegen Belgien (1:2) als Infektionsort für drei Corona-Erkrankte ausgemacht. Da die Behörden eine deutlich größere Dunkelziffer befürchten, forderten sie 4000 Fans aus bestimmten Blöcken zu einem PCR-Test auf.

Dass die UEFA trotz der Pandemie-Lage von Final-Ausrichter England eine Aufstockung der Zuschauerplätze gefordert und damit auch Erfolg hatte, ruft Kritiker auf den Plan. „Ich halte das für Populismus und kann nur von Reisen zu den Spielen abraten“, Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebunds, der Passauer Neuen Presse. 

Doch auch die Engländer sollten den Stadionbesuch meiden, findet Lauterbach. Auf der Insel seien „sehr viele Fans nur ein einziges Mal geimpft worden“, was gegen die Delta-Variante keinen ausreichenden Schutz gewährleiste. 

Im offenen Wembley-Stadion selbst könnten „so gut wie keine Ansteckungen stattfinden“, sagte Aerosol-Forschers Gerhard Scheuch zwar. Problematisch seien aber die An- und Abreise, die geschlossenen Logen und der Toiletten-Gang: „Das sind die Spots, wo es dann krachen kann.“