Irgendetwas ist immer. In unserem Elternratgeber diskutieren Mütter und Väter mit Expertinnen Probleme, die in den besten Familien vorkommen. Heute fragt Corinna, wie sie reagieren soll, wenn ihre Dreijährige es sichtlich genießt, sich zwischen den Beinen zu reiben.
Das erste Mal, als Corinna ihrer Tochter Lina dabei zusah, war es ein kleiner Schock: Die Dreijährige saß auf dem Sofa und rieb sich selbstvergessen mit ihrem Stoffhasen zwischen den Beinen. Etwas peinlich berührt, versuchte die Mutter ihre Beobachtung zu ignorieren. Doch als sich Lina immer häufiger die Scheide rieb – nicht nur auf dem Sofa, sondern auch in der Küche, nach dem Essen oder beim gemeinsamen Spiel mit ihren Puppen –, tauchte bei Corinna die Frage auf, ob Linas Verhalten noch normal sei. „Ich bin nicht prüde“, sagt die 34-Jährige, die ihren wahren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Aber ich kenne solch ein Verhalten nicht und habe das auch noch nie bei anderen Kindern in Linas Alter beobachtet.“ Mit anderen Müttern darüber sprechen mag sie nicht – „das ist ja doch irgendwie unangenehm“.
Ist ein solches Verhalten bei kleinen Kindern noch normal?
Hätte sie es mal getan. Wahrscheinlich wäre Corinna überrascht, wie vielen Eltern es ähnlich ergeht: Denn, dass Kinder um das dritte Lebensjahr herum anfangen, ihren Körper zu entdecken, sich an Penis und Klitoris berühren, weil ihnen das ein gutes Gefühl bereitet, ist ein völlig normaler Entwicklungsschritt, bestätigt die Erziehungsexpertin Christa Wanzeck-Sielert aus Kronshagen, Schleswig Holstein. „Und es ist ebenfalls völlig normal, dass Kinder Dinge immer wieder ausprobieren, wenn sie merken, dass es ihnen Spaß macht.“
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Linas etwas verstärkter Umgang mit der kindlichen Selbstbefriedigung sei also kein Grund zur Beunruhigung, erklärt die Erziehungswissenschaftlerin, die verschiedene Projekte im Bereich sexuelle Bildung und sexueller Missbrauch geleitet hat und auch als Supervisorin in Kitateams tätig ist.
Wie erkläre ich, warum es sich nicht offensichtlich befriedigen soll?
Stillschweigend ertragen müssen die Eltern den Forscherdrang ihres Kindes in Sachen Lust nicht – erst recht nicht, wenn das Verhalten den Eltern unangenehm ist. „Man kann das durchaus ansprechen“, sagt Christa Wanzeck-Sielert. Sie rät zu folgendem Gesprächsbeginn: „Du, ich merke, dass es Dir Freude macht, Deinen Penis oder Deine Scheide zu berühren. Das ist auch vollkommen in Ordnung. Aber ich würde es schön finden, wenn Du dazu in Dein Zimmer gehen würdest. Ich finde es nicht so gut, wenn Du das in der Küche oder im Wohnzimmer machst.“
Wichtig ist, dabei dem Kind zu vermitteln, dass es sich um nichts Verbotenes oder Falsches handelt. Denn dieses schöne Gefühl gehört zum Intimbereich des Kindes, den es zunehmend lernen muss zu schützen. „Das Signal muss lauten: Das Verhalten ist okay, aber es gibt Orte, wo es anderen peinlich ist, dabei zuzusehen“, sagt Christa Wanzeck-Sielert. Denn Kinder haben sehr feine Antennen: Sie nehmen einen gelassenen Umgang mit ihren intimen Berührungen ebenso wahr wie eventuelle Unsicherheiten ihrer Bezugspersonen. Beides kann ihren Umgang mit ihrer eigenen Sexualität beeinflussen, so die Expertin.
Kommt diese sexuelle Neugier zu früh?
Wenn Lina merkt, dass sie sich selbst Befriedigung verschaffen kann und darf, ist dies für ihre Selbstwahrnehmung ungeheuer wichtig: „Kinder lernen so, mit ihrem Körper in Beziehung zu treten“, sagt Wanzeck-Sielert. Sie wollen damit herausfinden, was sich angenehm oder unangenehm anfühlt. Gleichzeitig steckt dahinter der Forscherdrang, sich selbst besser kennenzulernen: Wie sehe ich überhaupt aus? Wie unterscheide ich mich von anderen? Daher sind in diesem Alter „Doktorspiele“ auch sehr beliebt.
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Corinnas Sorge, das Verhalten ihrer Tochter Lina könne ausarten und zu stark sexualisiert werden, ist unbegründet: Linas spielerischer Umgang mit ihrer Sexualität habe nichts mit der Selbstbefriedigung im Erwachsenenalter zu tun, betont Wanzeck-Sielert. „Die Lust der Kinder ist sehr stark auf sich selbst bezogen, da stecken keine sexuellen Fantasien dahinter.“
Können schon Kleinkinder übergriffig werden?
Grenzverletzungen – etwa dass Kinder Altersgenossen zwischen die Beine fassen – können vorkommen. Sie passieren dann aber meist im spielerischen Überschwang, sagt Wanzeck-Sielert. Dann müssen Eltern eingreifen und dem Kind klarmachen, achtsamer miteinander umzugehen. „Keineswegs sollte dies dazu führen, den Mädchen und Jungen künftig sexuelle Erfahrungsräume zu verwehren“, warnt die Diplompädagogin. Keineswegs sollte dies dazu führen, den Mädchen und Jungen den Eindruck zu geben, alles was unterhalb des Bauchnabels passiert, ist tabu.
Grundsätzlich können Eltern sehr entspannt auf diese Phase reagieren – auch wenn es zu dem von Corinna geschilderten „Worst Case“ komme: „Ich hatte Besuch von Bekannten, Lina saß am Boden und spielte mit ihren Stofftieren“, erzählt Corinna. Irgendwann habe die Dreijährige angefangen, für alle gut sichtbar ihre Scheide zu reiben und laut zu atmen. „Da wusste ich einfach nicht weiter.“
Wie reagieren, wenn andere dabei zusehen?
Christa Wanzeck-Sielerts Rat dazu klingt zwar einfach, erfordert aber ein gewisses Maß an Souveränität: „Klären Sie die Situation auf“, sagt sie. Etwa mit dem Satz: „Meine Tochter entwickelt gerade ihren Forscherdrang und entdeckt ihren eigenen Körper.“ Dann solle sich die Mutter dem Kind hinwenden und es freundlich daran erinnern, dass man doch besprochen habe, dafür in das eigene Zimmer zu gehen. „Meist ist dann die Spannung raus – und das Thema erledigt.“
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Unsere Kleinkindexpertin: Christa Wanzeck-Sielert
Ratgeberin
Christa Wanzeck-Sielert, geboren 1951, ist Diplom-Pädagogin und Supervisorin in Schulen, Kindertagesstätten, pädagogischen Einrichtungen. Sie war Lehrbeauftragte an der Uni Flensburg und hat Erzieherinnen sowie Lehrkräfte zum Thema Sexueller Missbrauch und Sexualerziehung fortgebildet.
Autorin
Zum Thema kindliche Sexualität, Sexualerziehung und sexuelle Gewalt hat die Erziehungsexpertin mehrere Fachbücher und Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht.