Die zurzeit teuerste Bauruine der Republik soll 2017 doch noch eröffnet werden: Hamburgs Elbphilharmonie. Foto: dpa

Die Ursachen für das Millionen-Debakel beim Bau der Hamburger Elbphilharmonie sind bekannt. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses hat am Dienstag die Namen der Verantwortlichen genannt.

Hamburg - Es wird dunkel in Hamburg. Die Lichter der Elbphilharmonie spiegeln sich im Wasser des Sandtorhafens. Der Kaiserkai, an dessen Spitze der glänzende Bau steht, ist belebt. Auch auf der hellen Plaza der Elbphilharmonie auf dem alten Kaispeicher A genießt man die spektakuläre Aussicht und macht Erinnerungsfotos. Plötzlich öffnet sich das Gebäude, und der Blick wird frei auf den voll besetzten Konzertsaal, in dem ein Sinfonieorchester Sergej Prokofjews „Peter und der Wolf“ spielt. Nur die ruckartigen Bewegungen der Orchestermusiker passen nicht ganz zu den Tönen, die aus dem Lautsprecher kommen. Wir sind noch nicht im Jahr 2017, in dem die Elbphilharmonie eröffnet werden soll. Das harmonische Bild präsentiert sich ein paar Hundert Meter weiter im Miniatur-Wunderland, wo das Konzerthaus schon einmal im Maßstab 1:130 auf sechs Quadratmetern zu sehen ist.

Inzwischen sind in der größten Modelleisenbahn-Landschaft der Welt die Schwarzlichtröhren wieder ausgeschaltet und das Neonlicht an. Man kann sich in Ruhe Details anschauen. Wenn jemand auf den Knopf an der Absperrung drückt und sich das Gebäude auf der schmalen, der Elbe zugewandten Seite öffnet, wird man zum Voyeur, weil man die 45 Luxuswohnungen von innen betrachten kann. „Jetzt möchten wir das Ganze aber auch in echt sehen“, sagt einer der vielen Besucher. „Ob wir das noch erleben werden?“ Im Hintergrund erklingt die Melodie des Chorals „Wer nur den lieben Gott lässt walten“, der bekanntlich mit dem Vers endet: „Der hat auf keinen Sand gebaut“.

Die Elbphilharmonie jedoch ist auf Sand gebaut. Zu Beginn des spektakulären Projektes dachte man noch, die 1111 in den Elbschlick versenkten Stahlbetonpfähle, die den 1963 wiedererbauten Kaispeicher A trugen, würden auch die Last des darauf errichteten Konzerthauses aushalten: eine von vielen Fehleinschätzungen, die den Bau bereits seit der Planungsphase begleiten. 650 weitere Pfähle mussten 15 Meter tief in den Boden gerammt werden, der Kaispeicher wurde entgegen ersten Planungen vollständig entkernt. Aber nicht nur die Projektänderungen ließen die Kosten explodieren.

Zu wenig Kontrolle und Überforderung

Eine viel zu frühe Ausschreibung trotz unfertiger Planung, zu wenig Kontrolle und Überforderung vonseiten der Politik sowie ein chaotisches Nebeneinander von Baukonzern und Architekten nennt der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses. Die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft bestätigte am Dienstag entsprechende Berichte von „Spiegel online“ und „Bild“-Zeitung.

Das geheime Dokument, das einigen Medien zugespielt wurde und eigentlich erst im April veröffentlicht werden sollte, widmet den wichtigsten Akteuren eigene Kapitel und stellt miserable Zeugnisse aus. Demnach wollten alle Beteiligten das Prestigeprojekt unbedingt umsetzen, ohne den Steuerzahlern die wahren Kosten zu präsentieren. Vor allem die städtische Realisierungsgesellschaft (Rege) habe Risiken wissentlich verschwiegen und Kosten lange verheimlicht. Dem städtischen Projekt- koordinator für die Elbphilharmonie, Hartmut Wegener, attestiert der Abschlussbericht eine Mischung aus Unfähigkeit und Selbstherrlichkeit. Wegener habe es nicht vermocht, „die ursächlichen Probleme zu durchdringen“. Auch der spätere Geschäftsführer der Rege, Heribert Leutner, „wurde seiner Aufgabe als Bauexperte nicht gerecht“.

Die Politik hat es nach Einschätzung des Untersuchungsausschusses, der nur den Zeitraum bis Ende 2008 untersucht, vor allem versäumt, die Mitarbeiter der Rege effektiv zu kontrollieren. Hamburgs damaliger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) habe sich vor allem durch Desinteresse an unbequemen Details ausgezeichnet. Die ehemalige Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) habe „die Bürgerschaft nicht richtig und rechtzeitig über wichtige Umstände informiert“. Und der damalige Chef der Senatskanzlei, Volkmar Schön (CDU), der auch Aufsichtsratsvorsitzender der Rege war, sei seiner Verantwortung „nicht gerecht geworden“.

Visionen der Basler Architekten als Preistreiber

Visionen der Basler Architekten als Preistreiber

Über den Baukonzern Hochtief äußert der Bericht die Vermutung, das Unternehmen habe den Angebotspreis von Anfang an niedrig kalkuliert, um später Nachforderungen stellen zu können. Aber auch die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron und der Baukonzern Hochtief kommen in dem Abschlussbericht nicht gut weg. Weil fertige Baupläne nicht rechtzeitig vorgelegen hätten, sei es zur „chaotischen Situation einer aufwendigeren Planung parallel zum Bau“ gekommen. Die künstlerischen Visionen der Basler Architekten erwiesen sich als echte Preistreiber.

Der Hauptgrund dafür, dass die Gesamtkosten der Elbphilharmonie, die neben einem Konzertsaal auch noch über ein Luxushotel und 45 Apartments verfügt, von 348 Millionen (2006) auf 865 Millionen Euro stiegen, liegt aber in dem viel zu frühen Beginn des Baus bei zu geringer Planungstiefe.

Die schlechte Kommunikation zwischen Baufirma, Architekturbüro und Stadt führte schließlich zu einem fast zweijährigen Baustopp – nicht nur für Christoph Lieben-Seutter, den bereits 2007 bestellten Generalintendanten, ein Albtraum. Der Intendant, der 2007 vom Wiener Konzerthaus kam, pflegt einen ganz unverstellten, auch mal ironischen Umgang mit der Materie: „Als ich 2007 hierhergekommen bin, war die Elbphilharmonie der neue Gral – und ich der neue Messias. Da war mir schon klar, dass das so nicht bleiben wird.“

Alle Risiken übernimmt Hochtief

Besonders die mehrmalige Verschiebung der Eröffnung war für ihn als Planer eine Herausforderung. Die Saisons 2010/11 und 2012/13 hatte er schon als Eröffnungsspielzeiten geplant. „Die nächste Ankündigung muss sitzen, sonst wird man unglaubwürdig.“

Im Augenblick schaut man positiv in die Zukunft. Im am 23. April 2013 von der Hamburger Bürgerschaft beschlossenen Nachtrag 5, der die Stadt nochmals 256,6 Millionen Euro zusätzlich gekostet hat, wurde das fehlerhafte Projekt neu geordnet; seit Sommer 2013 wird wieder gebaut.

Vereinbart wurden ein Festpreis und konkrete Zwischentermine. Auch die Gesamtfertigstellung bis zum 31. 10. 2016 ist vertraglich festgelegt. Alle Risiken übernimmt dabei das Bauunternehmen Hochtief. Einen Gewinn macht die Firma nur noch, wenn sie früher mit der Arbeit fertig wird als geplant – kein schlechtes Vorzeichen für ein gutes Finale. Die größten baulichen Probleme wie die Absenkung des Dachs sind bewältigt. Nur über die Verkehrsanbindung und die Lenkung der Zuschauerströme müssen sich die Planer noch den Kopf zerbrechen.

Hemmschwelle für Konzertbesuch soll sinken

Die verbleibende Zeit nutzt Christoph Lieben-Seutter („Ich bin Intendant von zwei Konzerthäusern – eines lebendigen, funktionierenden und eines zukünftigen, noch virtuellen“), um in den sogenannten Elbphilharmonie-Konzerten, von denen die meisten in der rund 2000 Plätze umfassenden Laeiszhalle stattfinden, Festivalschwerpunkte zu setzen, neues Publikum anzulocken und Kinder- und Jugendprojekte voranzutreiben.

„Gerade in Hamburg wird klassische Musik immer noch verbunden mit reicher Oberschicht, verstaubt, alt – gegen dieses Image arbeiten wir tagtäglich an.“ Deshalb will man auch in der Elbphilharmonie ab 2017 bei selbst veranstalteten Konzerten sehr günstige Eintrittskarten anbieten, um die Hemmschwelle für einen Konzertbesuch niedrig zu halten. Seinen Vertrag hat Lieben-Seutter bis 2018 verlängert: „Ein Intendant, dessen Vertrag vor der Eröffnung abläuft, wäre ja auch ein bisschen absurd.“