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In der neuen IHK-Einzelhandelsstudie trumpft Backnang mit seiner fast sensationellen Anziehungskraft aufs Umland auf. Schlusslicht unter den Städten der Region ist Ditzingen im Kreis Ludwigsburg.

Stuttgart - Hier die Siegerpose, dort die Hoffnung auf bessere Zeiten: In der neuen IHK-Einzelhandelsstudie trumpft Backnang mit seiner fast sensationellen Anziehungskraft aufs Umland auf. Schlusslicht unter den Städten der Region ist Ditzingen im Kreis Ludwigsburg.

179 Städte und Gemeinden gibt es in der Region Stuttgart. Und wer ist an der Spitze der Einzelhandelsstandorte? Backnang! Oberbürgermeister Frank Nopper nimmt diesen "meisterlichen ersten Platz, noch vor Ludwigsburg, Göppingen und Sindelfingen", natürlich "mit Begeisterung" auf.

Der Sieger Backnang

Als Gradmesser für die Anziehungskraft des Einzelhandels gilt die sogenannte Zentralitätskennziffer: Bei 100 ist die Kaufkraft-Bilanz ausgeglichen, bei einem höheren Wert fließt mehr Geld herein als hinaus. Wie eben in Backnang, dessen Kennziffer bei 184,8 liegt. Zum Vergleich: Knapp dahinter liegt Ludwigsburg mit 179,3, Sindelfingen erreicht 151,1, Stuttgart kommt auf 129,2. Nach einem dritten Platz vor vier Jahren und einem zweiten Platz vor drei Jahren hat Backnang sich nunmehr an die Spitze vorgearbeitet, freut sich OB Nopper. Besonders bemerkenswert findet er, dass sogar Ludwigsburg und Sindelfingen mit ihren großen Breuninger-Einkaufszentren überflügelt werden konnten.

Backnang ist also ein "beeindruckender Umsatzmagnet", wie es in der Studie heißt. Doch warum? "Wir sind ein ausgeprägtes Mittelzentrum mit einer traditionell gewachsenen Struktur", sagt Frank Nopper. Das bedeutet, dass Backnang als "urbaner Vorposten vor dem ländlichen Raum" ein großes Hinterland mit vielen kleinen Gemeinden hat, deren Bürger sich in Richtung der 36.000-Einwohner-Stadt orientieren. Zudem liegt Backnang zwar "im Speckgürtel rund um Stuttgart", so Nopper, "aber anders als Ludwigsburg oder Sindelfingen eben im zweiten Ring". Deshalb spürt Backnang die Stuttgarter Sogwirkung nicht so sehr - anders als etwa Waiblingen, das gerade mal 15 Kilometer von Stuttgart entfernt ist und dessen Bürger gleich mit zwei S-Bahn-Linien zum Oberzentrum gelangen können. Mit der Folge, dass in Waiblingen die Zentralitätskennziffer bei 95,4 liegt, also mehr Geld abfließt als hereinkommt.

Verantwortlich für die positive Bilanz in Backnang sind vor allem große Geschäfte, etwa das frühere Wohnland an der B 14 im Stadtteil Waldrems sowie der neue Gartenbaumarkt, der größte der Firma BayWa in ganz Deutschland. Dort sind 100 Mitarbeiter beschäftigt, durch den Übergang vom Wohnland auf die neue Optiwohnwelt gab es auch in Waldrems eine Zunahme um fast ein Drittel auf 150 Beschäftigte. Von jener "dramatischen Abwärtsspirale", in der lokale SPD-Politiker noch vor gut einem Jahr die gesamte Backnanger Geschäftswelt wähnten, spricht niemand mehr. Dies ist auch am einst als "glatter Fehlschlag" beurteilten Industriepark Lerchenäcker vor der Toren der Stadt erkennbar. Mittlerweile ist mehr als die Hälfte der Grundstücksfläche verkauft, 800 Arbeitsplätze sind entstanden.

Der Erfolg beschert der Stadt finanzielle Vorteile. "Das stabilisiert die Gewerbesteuereinnahmen", sagt OB Nopper. Zumindest ist so viel Geld vorhanden, dass der Gemeinderat den Weg für ein 15 Millionen Euro teures Hallenbad neben dem bestehenden Mineral-Freibad geebnet hat. Den diesjährigen Ansatz in Höhe von 17,5 Millionen Euro an Gewerbesteuern wird Backnang - anders als viele andere Städte - "auf jeden Fall erreichen".

Die Profiteure

Geht der Aufschwung in Backnang auf Kosten des Hinterlands? Die Vermutung liegt nahe, wird aber von Verantwortlichen im Murrtal nicht geteilt. "Natürlich haben wir ein latentes Strukturproblem am Rande der Region", sagt Murrhardts Bürgermeister Gerhard Strobel. Andererseits hätten Gutachten in jüngerer Zeit gezeigt, dass keine Kaufkraft abfließe. Klaus Lang, stellvertretender Vorsitzender des örtlichen Bunds der Selbständigen, verweist darauf, dass sich Murrhardt gerade bei der Zentralitätskennziffer leicht von 73,5 auf 77 verbessern konnte. "Wir haben natürlich immer wieder kleinere Geschäfte, die dichtmachen, aber es gab auch Neueröffnungen", sagt Lang. Mehr Leerstände als früher habe man jedenfalls nicht, und "letztendlich hat es ja der Verbraucher selbst in der Hand, ob er in Zukunft noch in der eigenen Stadt einkaufen kann". Wer den Tante-Emma-Laden um die Ecke nur aufsuche, um samstagmittags noch schnell die Schlagsahne für den Kuchen zu kaufen, müsse sich nicht wundern, wenn der Laden irgendwann zumache.

Ähnlich sieht es auch der Bürgermeister des 15 Kilometer nordöstlich von Backnang gelegenen Großerlach. "Insgesamt profitieren wir von Backnang", sagt Christoph Jäger, "so haben in den Lerchenäckern auch etliche Großerlacher Arbeit gefunden." Schwierig sei die Versorgung der älteren Bevölkerung in den Dörfern. In Großerlach hätte der letzte örtliche Bäcker mit einer Lebensmittelgrundversorgung fast schon zugemacht. "Mit viel Überzeugungskraft" habe er den Besitzer aber zu Investitionen bewegen können, sagt Jäger, "und es hat sich für ihn gerechnet, der Laden läuft. Für Großerlach war es fünf vor zwölf, aber die Leute haben das noch rechtzeitig gemerkt und gehandelt."

Der Verlier Ditzingen

Die Stadt mit der geringsten Anziehungskraft für Kaufwillige in der gesamten Region ist Ditzingen. Die Zentralitätskennziffer beträgt 31,5. Das bedeutet, dass weniger als ein Drittel der Kaufkraft aller Ditzinger tatsächlich in der 24.500-Einwohner-Stadt bleibt. Oder: 68,5 Prozent der Bürger geben ihre Euro lieber woanders aus. Anders als Backnang liegt Ditzingen nur einen Steinwurf von der Stuttgarter Gemarkung entfernt. Mit der S6 ist man in 18 Minuten am Hauptbahnhof, mit dem Auto in zehn Minuten am Breuningerland oder bei Ikea in Ludwigsburg. Obwohl sich die Stadt in den vergangenen zehn Jahren gemacht hat, ist das Ergebnis für Michael Makurath also keine Überraschung. Zumal der Oberbürgermeister noch einen speziellen Grund nennt: "Das liegt insbesondere an unserer Situation im Lebensmitteleinzelhandel."

Das Städtchen an der Glems, das auch als Standort der erfolgsverwöhnten Firma Trumpf kontinuierlich an Einwohnern gewinnt, verfügte jahrelang nur über einen sogenannten Vollsortimenter, der alle Waren des täglichen Gebrauchs anbietet. Der Markt war zu klein für die Stadt. Ansonsten gibt es einen Aldi am Stadtrand, der fast näher an Weilimdorf als an Ditzingen liegt, und zwei weitere Discounter in den Stadtteilen Hirschlanden und Heimerdingen.

In Ditzingen selbst lehnten Verwaltung und Gemeinderat immer wieder Baugesuche von Lebensmittelunternehmen in Randgebieten ab, weil man unbedingt einen großen Supermarkt im Zentrum haben wollte. "Wir haben viele, die zu Fuß in der Stadt einkaufen und auf einen Vollsortimenter warten", verteidigt der OB die Strategie. Wer weniger mobil ist - und das werden immer mehr -, wird es ihm und dem Gemeinderat danken. Gleichzeitig musste man aber zusehen, wie nebenan in Gerlingen ein riesiger 7800-Quadratmeter-Markt auf der grünen Wiese hochgezogen wurde und wie im Leonberger Stadtteil Höfingen ein Supermarkt und ein Discounter am Ortsrand entstanden.

Michael Makurath glaubt, im Jahr 2011 die Früchte nachhaltiger Kommunalpolitik ernten zu können. Anstelle des kleinen Rewe-Markts, der keine 300 Meter von der zentralen Marktstraße entfernt liegt, will Edeka einen 3000-Quadratmeter-Markt errichten. An der Marktstraße selbst entsteht zurzeit ein Wohn- und Geschäftsgebäude mit einem Drogeriemarkt. Und auf dem ebenfalls zentralen Areal zwischen S-Bahnhof und alter B295 investiert die Stadt nächstes Jahr 2,6 Millionen Euro in das alte Bahngelände.

Zusammen mit der Umgestaltung der Marktstraße, in die bereits 1999 und 2000 rund 1,5 Millionen Euro geflossen sind, glaubt der Oberbürgermeister seine Stadt auf einem guten Weg: "Wir sind froh, dass unsere Beharrlichkeit letztlich zum Erfolg führt." Und künftig wieder mehr Kaufkraft in Ditzingen bleibt.