In bester Lage: Das Sanitätshaus Phillip schloss 2019. Seither steht der Laden leer. Foto: Alt

Obwohl mit der Hängebrücke und der Landesgartenschau ein Kapitel Rottweiler Geschichte gerade erst geschrieben wird, schaut man in Rottweil lieber aufs Gestern. Das ist vor allem beim Einzelhandel so. Doch der stöhnte auch schon in den 70ern.

Rottweil - Wer aktuell durch die Innenstadt schlendert, dem fallen die vielen Leerstände, vor allem jene in bester Lage auf. In der Oberen Hauptstraße und in der Hochbrücktorstraße wurden in den vergangenen Monaten einige Geschäfte aufgegeben und geschlossen. Hinter vorgehaltener Hand wird von dem einen oder anderen Hausverkauf gemunkelt, und davon, dass es im Rathaus an Visionen für Rottweils gute Stube fehle.

Einst große Vielfalt

"Du hast früher durch Rottweil laufen können und hast alles bekommen", erinnert sich Ute Mattes. Sie ist in Rottweil aufgewachsen. Wer mit ihr durch die Stadt läuft, bekommt zu nahezu jedem Haus eine Geschichte präsentiert. Hier ein Herrenausstatter, dort ein Fischladen, hier ein Milchgeschäft, dort ein Stoffladen. Spielzeuggeschäfte, Goldschmiede, Bekleidungsgeschäfte, Haushaltswaren, der erste Supermarkt. Kurz: In Rottweil muss das Angebot üppig gewesen sein, ehe die ersten großen Kaufhäuser auf die grüne Wiese gebaut wurden. Das empfindet auch Regine Aiple so, die sich gerne an den Affenschuster und den dortigen Schnürsenkelautomaten in Form eines Feuersalamander, dem Lurchi, erinnert. "Dort konnte man sich für 50 Pfennig rund um die Uhr Schuhbändel rauslassen. Das war für uns Kinder eine Attraktion." Heute ist in den Räumen das Zigarrengeschäft Prussak.

Handwerk stark vertreten

Neben den kleinen Geschäften gab es in Rottweil aber auch das Handwerk, das in der Innenstadt, wenngleich in zweiter Reihe, stark vertreten war. Die Namen – nostalgisch: Farben Fischinger, Plättles Nagel oder Rädles Bauer, die Rottweiler hatten für ihre Betriebe recht treffende Kosenamen.

Den ersten Rottweiler Supermarkt habe es in der Oberen Hauptstraße gegeben. "Dimmler hieß der", erinnert sich Aiple. Heute kaum zu glauben: Spielwarenläden gab es gleich drei – mit unterschiedlichem Angebot. Während bei Spielwaren Merz Fans der Märklin-Eisenbahnen fündig wurden, gab’s bei Huggers Baby-Ausstattung. Und Franz Rapp hatte von der Bibel bis zum Furzkissen so ziemlich alles im Angebot. Sein Haus gegenüber der Marienkapelle steht seit Jahren leer. Es steht zum Verkauf, scheint aber wie das Gasthaus zur Flasche schwer vermittelbar zu sein.

Doch baufällige Immobilien sind meist nicht der Grund, dass Läden leer stehen. Die Corona-Pandemie macht vielen Inhabern das Leben schwer. Dennoch wünscht sich Aiple etwa auch mehr Verantwortungsgefühl der Hausbesitzer: "Manche Ladengeschäfte werden lieber leer gelassen, bevor man mit der Miete runter geht".

Ladenschließungen schon früher ein Problem

Neu ist das Phänomen allerdings nicht. Ein Blick ins Archiv der Stadt zeigt, dass schon Mitte der 70er-Jahre vom "stillen Sterben der kleinen Läden" in Rottweil gesprochen wurde. Ein Artikel des Schwarzwälder Volksfreunds etwa befasst sich damit in seiner Ausgabe vom 2.4.1975. "In aller Stille stirbt in Rottweil ein kleines Geschäft nach dem anderen", heißt es da. Der Autor schreibt von herabgelassenen Rollläden, verschlossenen Türen, zugenagelten Pforten und Schaufenstern, in denen man statt einer Auslage allenfalls noch sein eigenes Spiegelbild erkennen könne. Ähnlich wie heute klagten die Besitzer damals: "Es ist schwer, die Geschäfte neu zu verpachten". Der romantische Krämerladen von einst habe dem Wandel nicht widerstehen können, schreibt der Autor. Gründe seien das Hereindrängen größerer Warenhäuser und Ketten, ein veränderter Kundengeschmack aber auch die beschränkten Verkaufsflächen in der Innenstadt, die die Fülle an Waren nicht mehr habe aufnehmen können.

Das "Sterben der kleinen Läden" allein der freien Marktwirtschaft anzulasten, schien dem Autor allerdings zu kurz gegriffen. Schon damals sei es darauf angekommen, dass die Stadt die Weichen so stellt, dass "Jedermann seine Chance bekommt". Der Nährboden müsse da sein.

Das sehen auch die Rottweilerinnen Aiple und Mattes so. Wenngleich es auch heute in der Innenstadt tolle Läden gibt, insgesamt hapere es an der Vielfalt. Dabei heraus komme ein Angebot wie man es in der Oberen Hauptstraße finde, während kleine, ansprechende Läden in die zweite oder dritte Reihe rückten.