Die Frage, wie man einfacher und umweltbewusster bauen und wohnen kann, stellen sich viele in diesem Land. Bloß, wie geht das: einfacher bauen? Der Münchner Architekt Florian Nagler kennt eine Antwort, die auch Stuttgarter Bauherren interessieren sollte.
Die Antwort ist simpel wie radikal. Sie lautet: Verzicht. Doch Verzicht üben ist schwieriger als es scheint, das gilt fürs Abnehmen wie fürs Planen und Bauen. Florian Nagler arbeitet seit 1996 als selbstständiger Architekt. 2001 gründete er mit Barbara Nagler das Büro Florian Nagler Architekten. Seit 2010 leitet er den Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren an der Technischen Universität München. Und der 57-jährige gebürtige Münchner arbeitet seit vielen Jahren interdisziplinär als forschender Praktiker an der Vereinfachung aller Prozesse und Vorgaben, die das Bauen unnötig erschweren und verteuern.
Regelwut zum Wohl der Baustoffindustrie?
Tatsächlich kann man von einem Regelungsdickicht sprechen. Planer müssen sich mit mehr als 3000 Baunormen herumplagen, die steigenden Ansprüche an Komfort, Sicherheit und Ökologie hätten ein sinnvolles Maß längst überschritten, beklagen vor allem Architektinnen und Architekten.
Hinter vorgehaltener Hand wird immer wieder der Vorwurf geäußert, bei der wachsenden Regelwut gehe es nur noch selten um eine Verbesserung der architektonischen Qualitäten eines Gebäudes, sondern darum, dass viele neue Richtlinien vor allem den Absatz von technisch anspruchsvollen Produkten der Baustoffindustrie sichern sollen.
Florian Nagler belässt es aber nicht beim Klagen, vielmehr zeigt der Architekt anhand realisierter Bauten, wie einfaches Bauen geht. Drei mehrgeschossige Häuser mit je acht Wohnungen sind in Varianten mit Massivholz, Dämmbeton und Ziegel errichtet worden, gefördert vom Bundesbauministerium. Gestampfter Lehm kam zum Einsatz, auf Dämmung wurde verzichtet.
Zu besichtigen sind diese Ikonen des einfachen Bauens auf einem ehemaligen Kasernengelände in Bad Aibling. Als ehrgeiziges Ziel hatte man sich gesetzt, die konstruktive Komplexität der Häuser so weit wie möglich zu reduzieren, Kosten für Ressourcen zu sparen.
Eine einfache Heizung und Lüftung wurde installiert. Immer stärker gedämmte, hermetisch geschlossene Häuser, deren Innenräume dann technisch aufwendig belüftet werden müssen, sind für Nagler nach Tausenden von Computersimulationen ein Irrweg. In Bad Aibling wohnen jetzt Menschen in asketisch anmutenden, günstigen Behausungen, die tatsächlich ein gutes Gewissen haben können.
Laut Florian Nagler hat jedes der Versuchshäuser „über eine Lebensdauer von 100 Jahren eine bessere graue Energiebilanz als ein konventionell gebautes Haus oder ein Niedrigenergiegebäude.“ Bei allen Gebäuden kam eine 30 Zentimeter starke Decke aus Stahlbeton zum Einsatz, die lediglich mit einem Teppichboden für den Schallschutz belegt wurde. Selbst bei den Wandstärken wurde gespart.
Wichtig ist bei Naglers Ansatz die Erkenntnis, dass traditionelle Bauformen noch heute wertvoll sind. „Ein Haus funktioniert einfach anders als ein Smartphone – und es sollte eine andere Lebensdauer haben“, findet Nagler.
Beim Besuch eines Einfamilienhauses für eine private Bauherrschaft am Ammersee erklärt einem Florian Nagler, der das Haus gezeichnet hat, höchstpersönlich, dass die Kurve oft kostengünstiger ans Ziel führt als die Gerade. Weniger abstrakt: Dass sich nicht nur außen an diesem „ruralen“ Haus, wie Nagler es nennt, Rundbögen statt gewöhnlicher Türen finden, sondern auch im Gebäudeinneren, ist keine exzentrische Romantik, sondern fällt in die Kategorie Lernen von den Alten. Schon die antiken Baumeister haben Viadukte und Gebäude mit Bögen entworfen; sie halten viel Spannung aus, und auch bei der Wandöffnung mit Beton-Rundbogen konnte so auf die Eisenarmierungen verzichtet werden.
Ein neuer Gebäudetyp muss her!
Von einer Entschlackung des bestehenden Normkatalogs hält Florian Nagler im Übrigen nichts, vielmehr müsse ein neuer Gebäudetyp her. Der mit vielen Architekturpreisen ausgezeichnete Planer engagiert sich deswegen bei einer Initiative der Bayerischen Architektenkammer. Ein Fachausschuss, dem auch Nagler angehört, plädiert für die Einführung einer Gebäudeklasse „E“. „E“ steht dabei für „einfach oder Experiment“. Um nachhaltige Gebäude einfach und bezahlbar zu bauen, sollte es erlaubt sein, die Normen zu verlassen.
Im Sommer 2023 hat das Bayerische Bauministerium die rechtlichen Vorgaben dergestalt angepasst, dass nun Abweichungen regelmäßig zugelassen werden sollen, insbesondere bei Vorhaben zur Erprobung neuer Bauformen. Das hat Modellcharakter für die ganze Republik. Der Erfolg des Gebäudetyps E hängt allerdings davon ab, ob es gelingt, auch im Zivilrecht Möglichkeiten für Abweichungen von den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu schaffen.