Mit dem Siedle-Haus entsteht eine Attraktion mit überregionaler Strahlkraft. Das liegt nicht nur an den Kunstwerken großer Meister, die dort ausgestellt werden, sondern auch an der außergewöhnlichen Architektur. Die Bauarbeiten kommen voran.
Es ist „ein Herzensprojekt, das mein Mann und ich über viele Jahre verfolgt und geplant haben“, sagt Gabriele Siedle. Sie war von 2000 bis 2023 Geschäftsführerin Der Siedle OHG, eines weltweit agierenden Herstellers von Sprechanlagen. Seither ist sie vorsitzende Geschäftsführerin der Holding Horst Siedle GmbH und Co. KG sowie Vorständin der Familienstiftung. Außerdem gründete sie zusammen mit ihrem Mann bereits im Jahr 2003 die gemeinnützige Horst-und-Gabriele-Siedle-Kunststiftung.
Und das mit einer vorausschauenden Idee, die letztlich zum Bau des Siedle-Hauses führte. Denn die hochrangige Kunstsammlung von Horst und Gabriele Siedle ging mittlerweile komplett in den Besitz der Stiftung über. Darunter befinden sich Werke von Pablo Picasso, Marc Chagall, Henri Matisse, Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka und anderen namhaften Vertretern vor allem der Klassischen Moderne. Und viele dieser Werke werden dann im Ausstellungsraum des Siedle-Hauses der Allgemeinheit zugänglich gemacht, auch in wechselnden Ausstellungen, die auf Themen oder Künstler zugeschnitten sein können, erklärt Gabriele Siedle.
„Die umfangreiche Kunstsammlung, die mein 2019 verstorbener Mann und ich in über drei Jahrzehnten aufgebaut haben, soll hier ein museales Zuhause finden“, freut sich Gabriele Siedle auf die im Herbst dieses Jahres anvisierte Fertigstellung des Gebäudes in der Baumannstraße.
Der ursprüngliche Zeitplan hat sich verzögert. Beim Planungsbeginn 2019 sei noch von einer Fertigstellung im Jahre 2023 ausgegangen worden, erklärt Gabriele Siedle. Doch Corona-Pandemie, Lieferprobleme und die „Komplexität“ des Gebäudes hätten schließlich Geduld gefordert. „Das Bemühen aller und der sehr respektvolle Umgang miteinander waren spürbar“, spricht Gabriele Siedle allen am Bau Beteiligten ein großes Lob und Dankbarkeit aus.
Architektonisch eine Herausforderung
Architektonisch war das Gebäude eine Herausforderung. „Ein solche Gebäudehülle wurde bisher in dieser Form noch nie umgesetzt. Wir bewegen uns hier an der Grenze des technisch Machbaren“, meint Michael Eichmann vom Büro Hotz + Architekten. Das Büro aus Freiburg ist für die Umsetzung des Entwurfs verantwortlich. Der Entwurf selbst wurde von Architekt Arno Brandlhuber und seinem Architekturbüro Brandlhuber + in engem Austausch mit dem Ehepaar Siedle entwickelt. Nachdem Horst Siedle mit 80 Jahren im Jahr 2019 verstorben ist, verfolgt Gabriele Siedle (73 Jahre) allein die Umsetzung des Siedle-Hauses weiter.
In seiner äußeren Form erinnert das Museum an ein klassisches Schwarzwaldhaus. Überspannt wird es von einer 25 Meter breiten Holzkonstruktion und Dachflächen, die bis zum Boden reichen. Die Inspiration dazu gab ein Aquarell von Max Siedle, dem Vater von Horst Siedle. Es zeigt eines der typischen Schwarzwaldhäuser, die traditionellerweise „Raum geben für sehr vieles“, wie Brandlhuber erläutert.
„Ein kultureller Anziehungspunkt“
So beschränkt sich das Konzept für das Siedle-Haus nicht nur auf die Ausstellung hochwertiger Kunst. „Das Siedle-Haus soll ein kultureller Anziehungspunkt sein, der Impulse für die Region Furtwangen und darüber hinaus setzt“, so Gabriele Siedle. „In wechselnden Formaten und Veranstaltungen möchten wir einen lebendigen Austausch anregen und fördern – über Kunst und Kultur, über Design und Architektur, über gesellschaftliche Themen“, spannt sie den Bogen.
Diese Offenheit spiegelt sich auch im Erscheinungsbild des Gebäudes wider. Während sich das Dach wie eine hütende, schützende Instanz über das Siedle-Haus spannt, schafft eine umlaufende Glasfassade verschiedene Einsichten ins Innere. Das Siedle-Haus zeigt sich auf diese Weise transparent, offen und zugänglich.
Der Kern des Siedle-Hauses ist der Ausstellungsraum mit seiner Grundfläche von circa 13 mal 13 Metern und einer Höhe von 13 Metern. Der Kubus ist eine weitere architektonische Meisterleistung und selbst von künstlerischem Wert. Bei den Wänden handelt es sich um einen Abdruck der Außenfassade des Gebäudes Baumannstraße 4, das zuvor an dieser Stelle stand. Vor dessen Abriss wurden die Fassaden mithilfe sogenannter „fotogrammetrischer“ Scans erfasst. Es entstand ein detailliertes 3 D-Modell, das als Grundlage für die Herstellung der Abgussmatrizen diente und die charakteristischen Schindeln ebenso erkennen lässt wie jegliche Risse, Löcher oder Unebenheiten. So entsteht aus der Unvollkommenheit eine raumprägende Ästhetik.
Ausgewählte Kunstwerke in wechselnden Ausstellungen
Der Betonabguss des ehemaligen Wohnhauses Baumannstaße 4 stellt den architektonischen Kern des Siedle-Hauses dar. Hier sollen ausgewählte Kunstwerke der Sammlung in wechselnden Ausstellungen gezeigt werden. Im Erdgeschoss wird neben der Ausstellung auch die Verwaltung verortet. Das Untergeschoss bietet Raum für Technik und Lager.
Brandlhuber: „Wir hatten zum Beispiel eine frühere Version, die war wesentlich größer. Jetzt ist es ein fast intimer Ausstellungsraum, aber gleichzeitig mit einem großen Dach. Die Aufmerksamkeit ist nicht mehr ausschließlich auf den Zweck als Museum gerichtet, sondern auf das Haus im Haus und die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten. Deswegen ja auch der Name: Siedle-Haus.“
Mit der Kunst mehr vermitteln
Und Gabriele Siedle: „Wir wollten nicht ‘zeigen, was wir haben’, sondern haben den Auftrag gesehen, mit der Kunst weitaus mehr zu vermitteln. Wir wollten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Stadt und allen Leuten etwas zurückgeben.“ An dieser Vision habe sich nichts verändert. „Ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass ein Ort wie das Siedle-Haus in dieser schnelllebigen Zeit, in Zeiten der Unsicherheit, Halt geben kann.“ Das Siedle-Haus bringe eine Geschichte mit, „aber es ist vor allem offen für die Zukunft“.