Thomas Alva Edison versucht mit Wildwest-Methoden Mitbewerber zu verdrängen. Foto: imago/Ronald Grant

Vor allem die skrupellose Gier des Erfinders Thomas Alva Edison bringt die Filmindustrie nach Hollywood. Unter den Ersten dort ist auch Carl Laemmle aus Oberschwaben.

Der Coup ist so dreist wie erfolgreich: Mit vorgehaltener Pistole zwingen zwei maskierte Räuber den überraschten Mitarbeiter eines Telegrafenbüros, ein Haltesignal für einen herannahenden Zug abzusetzen. Danach springen sie mit ihren Komplizen an Bord und brechen in den Postwagen ein. Doch der Sheriff sitzt schon im Sattel und es kommt zu einer finalen Verfolgungsjagd. Kurzum: Als die Edison Manufacturing Company 1903 „Der große Eisenbahnraub“ in die US-Kinos bringt, erlebt das Publikum zwölf Minuten Hochspannung.

 

Das liegt nicht nur daran, dass nur drei Jahre zuvor Butch Cassidy und Sundance Kid einen ähnlichen Überfall tatsächlich begangen hatten. Es liegt auch an der neuartigen Technik des Filmschnitts. Den nutzt der einfallsreiche Regisseur Edwin S. Porter, um mit parallelen Handlungen die Dramatik zu steigern. Vor allem lässt er in der Schlussszene Justus D. Barnes sein Schießeisen direkt in die Kamera und damit aufs Publikum halten – und abdrücken. Die Einstellung wird zur Kultsequenz: Noch bis 1986 wird sie jeder Folge der ZDF-Serie „Western von gestern“ vorangestellt.

Thomas Alva Edison, der Chef der Edison Manufacturing Company, ist Ende des 19. Jahrhunderts einer der wichtigsten Erfinder. 1093 Patente wird er bis zu seinem Tod 1931 anmelden. Anfang der 1890er-Jahre hat Edison bereits New York elektrifiziert, den Phonographen, die Glühlampe mit Kohlefaden und den elektrischen Stuhl erfunden. 1891 schraubte sein Angestellter William K. L. Dickson den ersten Kinetographen zusammen. Die Kamera kann bis zu 48 Bilder pro Sekunde auf Zelluloid belichten.

In den Universal Studios können Besucher heute hinter die Kulissen des Films blicken. / Foto: Dr.Martin Wein

Auf seinem Laborgelände in West Orange lässt Edison das erste kommerzielle Filmstudio der Welt errichten. Die Mitarbeiter nennen den Schuppen liebevoll „Black Maria“, weil alle Wände mit schwarzer Teerpappe ausgekleidet sind. So will Dickson bei den Aufnahmen einen maximal hohen Kontrast erzielen. Das Dach lässt sich aufklappen, denn künstliches Bühnenlicht gibt es noch nicht. Auf der Bühne werden bis 1901 Hunderte kurzer Filmsequenzen von Zirkuskunststücken oder Boxkämpfen belichtet und dann landesweit verkauft. Verliehen werden Filme erst später. „Der Große Eisenbahnraub“ ist eines der ersten längeren Projekte des Studios und ein kommerzieller Riesenerfolg – für Produktionskosten von lediglich 150 Dollar.

Aber die Konkurrenz schläft nicht. Auch andere Tüftler entwickeln Kameras und Filmmaterial. Neue Studios treten auf den Plan. Edison fühlt sich zusehends um den wirtschaftlichen Erfolg betrogen. 1908 gründet er mit seinem Ex-Mitarbeiter Dickson und weiteren Partnern deshalb die Motion Picture Patents Company (MPPC).

Als klassisches Oligopol soll sie weitere Akteure aus dem Markt halten, indem sie hohe Lizenzgebühren für alle Filmproduktionen verlangt. Weil auch Eastman Kodak als wichtigster Hersteller von Zelluloidfilmen dazugehört, führt an der MPPC praktisch kein Weg vorbei. Und ihre Interessen vertritt sie mit allen Mitteln. Der Trust zieht unabhängige Nutzer seiner Patente oder anderer Technik nicht nur konsequent vor Gericht. Edison scheut auch nicht davor zurück, Schlägertrupps anzuheuern, um Dreharbeiten zu behindern und die Ausrüstung zu zerstören.

Kein Wunder, dass die unabhängigen Filmpioniere, die sich fast alle in Edisons Umfeld oder im nahen New York angesiedelt haben, das Weite suchen. Unfreiwillig weist David Wark Griffith ihnen den Weg. Der Farmerssohn aus Kentucky hat mit einer ersten Filmregie für „The Adventures of Dollie“ kürzlich Dicksons Aufmerksamkeit erregt. Der schickt ihn 1910 los, um einen weiteren der inzwischen beliebten Westernfilme zu drehen.

Mit seinem Tross reist Griffith quer durchs Land und beginnt in Hollywood zu drehen. Die Landgemeinde mit ein paar Hundert Einwohnern wird damals gerade ein Stadtteil von Los Angeles, um an dessen Wasserwerk angeschlossen zu werden. Das verlässlich gute Wetter mit wenig Wechseln in der Lichtstimmung ist für Außendrehs ideal. Vor allem aber gibt es viel Platz in einer attraktiven, unverbauten Landschaft. Griffith, der später zu den wichtigsten frühen Regisseuren des US-Kinos zählen wird, ist von Hollywood derart angetan, dass er in der Gegend bleibt.

Als die Ergebnisse im fernen New York auf die Leinwände kommen, macht Griffiths Vorbild schnell Schule. Als Erster packt der ehemalige Fahrradhändler David Horsley seine Sachen. Im Frühjahr 1911 verlegt er zusammen mit seinem Bruder den Sitz seiner kleinen Nestor Motion Picture Company an die Ecke Sunset Boulevard und Gower Street in Hollywood. In den kommenden Monaten folgen ihm 15 unabhängige Studios. Die Betreiber schätzen dabei nicht nur das gute Wetter und die maximale Entfernung nach New York, sondern auch die Grenznähe. Kommen Vertreter der verhassten MPPC in die Stadt, kann man sich kurzerhand nach Mexiko absetzen.

Carl Laemmle aus Laupheim gehört zu den unabhängigen Filmproduzenten, die von der Ostküste nach Hollywood umziehen. Foto: Imago/piemags

Unter den Neuankömmlingen ist auch der deutschstämmige Carl Laemmle aus Laupheim. 1905 ist der Kaufmann und Textilfabrikant mit einem ersten „Nickelodeon“ – man zahlt dafür einen Nickel, eine Fünf-Cent-Münze, Eintritt – ins Filmgeschäft eingestiegen. Vier Jahre später hat seine Independent Moving Pictures Company mit eigenen Aufnahmen begonnen. Nach dem Umzug an die Westküste fasst Laemmle verschiedene Kleinbetriebe wie den der Horsley-Brüder unter dem Dach seiner Universal Pictures zusammen und weist damit den Weg in die Zukunft. Die setzen jetzt auf aufwendiger produzierte Spielfilme mit komplexer Handlung und binden erste Stars vertraglich an sich.

Die Geschichte Laemmles und anderer jüdischer Studiogründer in Hollywood wird neuerdings in der Ausstellung „Hollywoodland“ im Academy Museum of Motion Pictures in Hollywood nachgezeichnet.

Das Monopol von Edison und Co, die als Ingenieure diesen Trend nicht erkennen, ist damit faktisch aufgehoben. Als der Supreme Court der USA 1912 ihr Patent zur Filmherstellung annulliert, ist ihre Macht gebrochen. Fünf Jahre später wird das Oligopol der MPPC verboten.