Seit einigen Wochen machen Klimaaktivisten mit einer Serie von Gemälde-Anklebe-Aktionen auf sich aufmerksam. Was treibt die jungen Menschen an?
Im ersten Moment ist es sehr unangenehm, sagt Jakob Beyer. Er sei davor sowieso immer super aufgeregt, erst nach einer Aktion lege sich die Spannung. Der 29-Jährige erzählt von etwas, was seit einigen Wochen und Monaten immer wieder für Aufsehen sorgt: Klimaaktivisten wie er kleben sich an unersetzliche Gemälde in Museen und Galerien – um einen konsequenten Wandel im Umgang der Menschheit mit der Klimakrise zu erreichen.
Zuletzt klebte Beyer mit einer Hand am Rahmen des Gemäldes „Sixtinische Madonna“ von Raffael, das in der Staatlichen Kunstsammlung in Dresden hängt. Seine Mitstreiterin Maike Grunst steht an diesem Tag neben ihm. Beide tragen Jeans und ein weißes T-Shirt, auf dem in schwarzen Buchstaben „Letzte Generation“ steht und die Aufforderung: „Stoppt den fossilen Wahnsinn!“ Das ist auf Jakob Beyers T-Shirt in Rot gedruckt.
Die „Letzte Generation“ entsteht aus Hungerstreik-Aktion
Es ist nicht seine erste Aktion im Kampf gegen die Klimakrise, oder Klimakatastrophe, wie er sagt. Straßenblockaden, Containern, in Stadien rennen, um Sportevents zu stören – Jakob Beyer hat schon einige erste Sekunden von Protestaktionen miterlebt. Gewöhnt daran hat er sich scheinbar nicht. „Erst mal ist es super unangenehm. Wir verursachen ja eine Störung, bei der Aktion in Dresden musste die Gemäldegalerie geräumt werden. Das heißt, die Leute sind natürlich verärgert. Und das ist nicht unser eigentliches Anliegen“, erklärt er.
Jakob Beyer kommt ursprünglich aus Berlin und ist vor Kurzem nach Leipzig gezogen. Seit Oktober 2021 ist er Teil der Klimaaktivismus-Gruppe „Letzte Generation“, die im Vergleich zu „Fridays for Future“ radikalere Protestformen für ihren Kampf gegen die Klimakrise wählt. Entstanden ist sie 2021 aus einer Hungerstreik-Aktion vor der Bundestagswahl. Durch Vorträge wird Beyer auf die Gruppe aufmerksam und beginnt bald, sich zu engagieren.
„Sixtinische Madonna“ ganz bewusst ausgewählt
Das Gemälde in Dresden habe die Gruppe ganz bewusst für ihr Anklebe-Unterfangen ausgewählt, erzählt Beyer – wegen des Symbolcharakters des Bildes. Im Zentrum befindet sich Maria, mit dem kleinen Jesus auf dem Arm. „Man sieht in den Blicken der beiden, dass sie mit Furcht in die Zukunft schauen. Es ist wie ein Symbolbild für das, worauf wir gerade zusteuern. Wir bewegen uns nämlich gerade in der ganzen Welt auf den absoluten Klimakollaps zu und blicken deshalb auch mit Furcht in die Zukunft“, erklärt Beyer.
Es geht aber wohl auch darum, mit der Bekanntheit des Werkes Aufmerksamkeit zu erzielen. „Wir führen grundsätzlich immer Aktionen durch, bei denen wir davon ausgehen, dass sie Menschen im Alltag mit der Klimakatastrophe konfrontieren“, sagt Beyer. „Und wir müssen auch Druck auf die Regierung ausüben, sodass wir nicht mehr ignoriert werden können.“ Konkret verlangt die „Letzte Generation“ schnelle Maßnahmen von der Bundesregierung, um die Erhitzung der Erde bestmöglich zu reduzieren. „Wir haben nur noch zwei bis drei Jahre und steuern gerade auf eine drei bis vier Grad heißere Welt zu“, meint Beyer.
Der Erfolg der Gruppe liegt in medialer Aufmerksamkeit
Um das zu vermeiden, will die „Letzte Generation“ zwei Forderungen durchsetzen: Ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf der Autobahn sowie die Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets. Einfach und schnell umsetzbar, wie Beyer findet. „Beim 9-Euro-Ticket haben wir ja auch gesehen, dass es super angenommen wurde. Zudem würde es Millionen Tonnen CO2 einfach einsparen“, sagt er. Sobald die Bundesregierung sich dazu bekenne und auf die Forderungen eingehe, würde die „Letzte Generation“ ihre Aktionen sofort beenden. Doch auf Straßenblockaden oder Ähnliches reagiere die Politik nicht. Deshalb sehe sich die „Letzte Generation“ gezwungen, auch das Festkleben an den Gemälden durchzuführen.
Im Vergleich zu Klimagruppen wie „Fridays for Future“ hat sich die „Letzte Generation“ in ihrem Aktivismus radikalisiert. Laut dem Protestforscher Philipp Gassert von der Uni Mannheim liegt die Besonderheit darin, dass Aktionen wie Straßenblockaden verstärkt mediale Aufmerksamkeit schaffen. Darin sieht der Historiker den Erfolg der Gruppe „Letzte Generation“.
Gotteshäuser könnten bei zukünftigen Protestaktionen eine Rolle spielen
Auch die Klimagruppe selbst hat das Potenzial der Gemälde-Anklebe-Aktionen längst erkannt. „Gerade die in Dresden hat lokal aber auch international viel Resonanz erzeugt“ sagt Beyer. Darauf folgten Aktionen bei Werken wie dem „Bethlehemitischer Kindermord“ von Rubens in der Alten Pinakothek in München, die „Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe“ von Nicolas Poussin im Frankfurter Städel Museum und unlängst die Kartoffelbrei-Attacke auf ein Monet-Gemälde in Potsdam.
Eine weitere Radikalisierung der Gruppe schließt Philipp Gassert nicht aus. „Das kann dann passieren, wenn sich ein schneller Fortschritt hinsichtlich politischer Maßnahmen nicht einstellt“, erklärt der Professor. Vorstellbar sei, dass beispielsweise Gotteshäuser bei den Protestaktionen zukünftig miteinbezogen würden. „Sakrale Orte haben wie Museen eine bestimmte Aura, eine gewisse Heiligkeit, die nicht verletzt werden darf“, meint der Historiker. Darin liege ein Reiz für radikale Protestaktionen. Auch Vergleiche mit extremistischen Gruppen aus der deutschen Vergangenheit scheut der Historiker nicht. Er hält es für möglich, dass sich Einzelne nach Vorbild der Roten Armee Fraktion (RAF) von der betonten Gewaltfreiheit der „Letzten Generation“ abwenden.
Aktivisten argumentieren, dass sie letztlich die Kunst schützen
Jakob Beyer ist sich der Radikalität der Aktionen durchaus bewusst. „Wir wissen, dass wir damit potenziell Gesetze übertreten. Man muss das ein bisschen abwägen. Im Endeffekt versuchen wir, damit durchzusetzen, dass unser Recht auf Leben geschützt ist“, argumentiert er. „Wir müssen jetzt so handeln, als würde unser Leben gerade davon abhängen. Und deswegen denke ich, dass es durchaus legitim ist, ein kleineres Gesetz zu brechen, weil man damit ein größeres Recht durchsetzen kann“, führt er aus.
Angesichts der Klimakatastrophe versuche man letztlich, die Kunst durch die Aktionen zu schützen. „In einer Welt, in der wir nicht mehr täglich die grundlegenden Ressourcen zur Verfügung haben, wird Kunst nicht mehr relevant sein“, erklärt der 29-Jährige. Auf einem toten Planeten werde es irgendwann mal auch keine Kunst mehr geben. Freude habe ihm die Aktion in Dresden zwar nicht bereitet. Dennoch wisse man danach zumindest, dass man gerade das Beste versucht habe.
Der immaterielle Wert von Kunst ist nicht zu unterschätzen
Wie Museums- und Galerieleitungen in Baden-Württemberg das einschätzen, muss offen bleiben. Keines der angefragten Kunstmuseen in Baden-Württemberg will sich zu den Positionen der Klimaaktivisten äußern. Da schwingt wohl auch die Befürchtung mit, selbst zur Zielscheibe einer solchen Aktion zu werden. Eine, die Stellung bezieht, ist Renate Reifenscheid, Präsidentin des deutschen Nationalkomitees des Internationalen Museumsrates (ICOM Deutschland). „Wir haben Verständnis für Aktionen zugunsten des Klimaschutzes“, betont die Direktorin eines Museums. Allerdings sehe man seitens des ICOM Deutschland keinen glaubhaften Zusammenhang zwischen Kultur- und Klimaschutz, zumal die aktuelle Welle von Aktionen im Grunde auf mutwilligen Akten der Zerstörung beruhe.
„Vandalismus kann auch keine echte Form des Protestes sein, vor allem dann nicht, wenn die Kunstwerke von besonderem nationalem oder auch internationalem Wert sind“, meint Reifenscheid. Insbesondere diese Werke seien eng mit der Entwicklung der Kulturen verknüpft. „Sie zu beschädigen oder zu vernichten ist ein Verbrechen an der Menschheit“, sagt Reifenscheid. Der immaterielle Wert von Kunst sei nicht zu unterschätzen. „Menschen finden dadurch andere Zugänge zu den komplexen Lebenswelten in Vergangenheit und Gegenwart, vor allem emotional“, mahnt sie.
Das Vertrauen in Kunstmuseen ist erschüttert
So sei die Betrachtung eines Van-Gogh-Gemäldes in einem Museum für viele eine nachhaltige Bereicherung. Auch ohne Vorbildung würde man unmittelbar Zugang zu den Werken finden. Ein glaubhafter Aktivismus dürfe sich deshalb nicht zum Schaden von nicht Involvierten auswirken. „Kunstmuseen sind Orte des Bewahrens und Schützens. Umso verstörender ist es, wenn sie vor solch spontanen Aktionen nicht gesichert sind, da sie grundsätzlich für alle offenstehen und als sichere Orte gelten. Dieses Vertrauen wird erschüttert“, sagt Reifenscheid. Die Kunst müsse verstärkt beschützt werden. „Das bedeutet für Museen unweigerlich mehr Personal, mehr technische Überwachung bis hin zu verschärften Einlasskontrollen“, zählt sie auf.
Welche Folgen die Dresdner Gemälde-Aktion für Jakob Beyer hat, ist noch unklar. Post von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft hat er noch keine bekommen. Folgenlos, das weiß er selbst, wird die Aktion jedoch nicht bleiben.