Seit genau einem Jahr tobt Krieg in der Ukraine. Doch die baden-württembergische Wirtschaft bringt sich schon für die Zukunft in Stellung – beim Neuaufbau der ukrainischen Wirtschaft wollen deutsche Unternehmen beteiligt werden.
Ein Ende der Kriegskatastrophe in der Ukraine ist nicht in Sicht, da wird in Deutschland schon die Zukunft ins Visier genommen: Was kann die Wirtschaft zur Erholung des geschundenen Landes beitragen? Viel, wie sie selbst versichert.
Ungeachtet des wirtschaftlichen Desasters für die Ukraine ist der gemeinsame Handel mit minus sieben Prozent 2022 weniger stark eingebrochen, als dies zu erwarten gewesen wäre. „Licht am Ende des Tunnels“ macht schon der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft aus. Die deutschen Unternehmen seien ausnahmslos im Land geblieben – sie versuchten, Lieferketten stabil zu halten, hielten die Produktion aufrecht und kümmerten sich um die Belegschaften. „Ich kenne kein relevantes Unternehmen, das sich zurückgezogen hat – selbst wenn Produktionsstätten zerstört oder okkupiert wurden“, sagt der Geschäftsführer Michael Harms. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass kaum ein Maschinenbauunternehmen zum Beispiel mit eigener Montage in der Ukraine vertreten ist.
Als deutscher Handelspartner ist die Ukraine eher ein Zwerg
Für Baden-Württemberg zeigen sich schlechtere Zahlen als im Bund: Laut dem Statistischen Landesamt sind voriges Jahr die Einfuhren aus der Ukraine von 268 auf 240 Millionen Euro um 10,6 Prozent gesunken – in der Rangliste der deutschen Handelspartner bedeutet dies einen Rückfall von Rang 55 auf 61. Die Ausfuhren gingen gar von 598 auf 513 Millionen Euro um 14,2 Prozent zurück – was einen Abstieg von Platz 45 auf 49 zur Folge hatte. Mit Masse werden Fahrzeugteile, Metalle und Maschinen geliefert – in erster Linie für die Landwirtschaft.
Das soll deutlich mehr werden. Die Wirtschaftsministerin gibt den neuen Takt vor: „Die Wirtschaft in Baden-Württemberg ist innovativ und lebt in hohem Maße gesellschaftliche Verantwortung“, sagte Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) unserer Zeitung. Ihr Haus unterstütze interessierte Unternehmen gerne dabei, mit Partnern in der Ukraine in Kontakt zu treten – auch in der Frage des Wiederaufbaus. Aus ihrer Sicht könnten die Bereiche Energiewirtschaft, Gesundheitswirtschaft, Umwelttechnik und Maschinenbau im Fokus von Kooperationsbemühungen stehen. „Unsere Unternehmen können mit neuesten Technologien unterstützen und der Ukraine damit einen künftigen Wettbewerbsvorteil beim Wiederaufbau verschaffen.“ Dazu müsse der Blick auch nach vorne gerichtet werden. Im Bund und in Europa sei zu überlegen, „wie wir den Wiederaufbau der Ukraine mit unseren Unternehmen in sicheren, verlässlichen, transparenten und effizienten Strukturen organisieren“. In Gesprächen mit den Firmen spüre sie eine große Bereitschaft, sich zu beteiligen.
Deutsche Unternehmen sehen sich für Wiederaufbau sehr gut aufgestellt
Auch der Ost-Ausschuss sieht eine gute Perspektive. Die deutsche Wirtschaft sei als Technologieführer „sehr gut aufgestellt“, wenn es etwa um eine grüne Neuausrichtung des ukrainischen Energiesystems gehe. Auch als Abnehmer für grünen Wasserstoff sei es „perfekt“ geeignet. Bei Investitionsgütern, modernen Techniken, in der Bauwirtschaft – überall könne Deutschland etwas liefern.
Nun engagieren sich in diesem Konflikt auch andere Partner sehr stark, weil sie auf wirtschaftliche Erfolge dank internationaler Hilfsgelder hoffen, vor allem die USA oder Polen. Vorsicht, mahnt da der Ost-Ausschuss: „Es kann nicht sein, dass die Aufträge nach politischer Loyalität vergeben werden“, sagt Harms. „Wir brauchen faire und transparente Ausschreibungsbedingungen sowie gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für alle Unternehmen.“ Nötig sei aber auch die Förderung des lokalen Unternehmertums, um den Wirtschaftskreislauf in der Ukraine in Schwung zu bringen. „Da sind wir mit sehr konkreten Vorschlägen mit der Bundesregierung im Gespräch.“
Nach Angaben des Maschinenbauverbandes VDMA ist der Export des deutschen Maschinenbaus in die Ukraine 2022 um 42,6 Prozent auf 632 Millionen Euro eingebrochen. Bestimmte Absatzmärkte, etwa in der Industrieregion Mariupol, seien im vorigen Jahr ja komplett weggefallen, erläutert die Osteuropa-Expertin Monika Hollacher.
Für die Zukunft sei das Interesse im Maschinenbau an der Ukraine riesig. „Wir gehen davon aus, dass nach Friedensschluss jede Menge Aufbauarbeit zu leisten ist – dafür werden dann auch die Mittel da sein.“ So gehe es jetzt schon mal darum, die Strukturen aufzubauen – über Jahre würden Milliardenbeträge benötigt, die nicht teilweise versickern dürften. „Je enger sich das Land mit der EU verflechtet, desto mehr kann das eine Option werden: die Ukraine als verlängerte Werkbank oder Produktionsstandort auch für den Maschinenbau“, sagt Hollacher.
Anlass zur Zuversicht bot auch die Mitte Februar ausgetragene Messe „Rebuild Ukraine“ in Warschau. Mit dabei: eine Delegation des Stuttgarter Wirtschaftsministeriums und einige Südwest-Firmen. Alle deutschen Vertreter seien sich dort einig gewesen, dass man schon nach vorne schauen müsse, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Zudem habe sich gezeigt, wie wichtig jetzt die Kontakte auf kommunaler Ebene seien. So habe die Delegation mit Gesandten der mittelukrainischen Stadt Winnyzja gesprochen, die seit 2022 eine Partnerschaft mit Karlsruhe hat. Auch die langen Kontakte zwischen Freiburg und Lviv könnten gute Anknüpfungspunkte für konkrete Projekte sein.