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Am 26. November 2008 überfielen Terroristen das Hotel Taj Mahal in Mumbai und andere Nobelherbergen der Millionenstadt. Eine Frau aus Schwäbisch Gmünd erinnert sich.

Mumbai - Am 26. November 2008 überfielen Terroristen das Hotel Taj Mahal in Mumbai und andere Nobelherbergen der Millionenstadt. Fast 200 Menschen starben. Eine Frau aus Schwäbisch Gmünd erinnert sich an jene dramatischen Stunden.

Es sieht aus, als sei nie etwas passiert. Draußen vor dem Hotel klappern die Pferdekutschen mit den Touristen vorbei, ein paar Meter weiter bieten Händler ihren Krimskrams an - von der faltbaren Postkarte über Riesenluftballons bis zu falschen Uhren. Gleich gegenüber am Hafen, neben dem majestätischen India Gate, legen die Fähren an. Im Minutentakt spucken sie Menschen aus. Alltag in einer Stadt, die offiziell 18 Millionen Bewohner hat, inoffiziell aber über 25 Millionen. Ein paar Musiker an der Kaimauer spielen fürchterlich schiefe Töne auf ihren selbst gebastelten Instrumenten und verdienen sich damit ein paar Rupien. Mumbai im November 2009: Die Stadt am Indischen Ozean, die niemals schläft, wirkt so wach wie eh und je.

Und doch sind die Spuren von damals, als der Terror für einige Tage den Tourismus verdrängte, noch zu sehen. Am Taj Mahal, das zu den "Leading Hotels of the world" und damit zur ersten Kategorie der Hotels auf dieser Erde gehört, stehen Baugerüste. Es wird gesägt, gebohrt, gehämmert. Manche Wunden in der altehrwürdigen Nobelherberge sind mit Holzbalken und dicken Steinplatten verdeckt - auch die legendäre Harbour Bar. Sie war einer der bekanntesten Treffpunkte dieser Stadt. Hier saßen Geschäftsleute aus aller Welt am Abend zusammen und stießen mit Whiskey on the rocks auf ihre Deals an. Hier traf sich die indische und britische Oberschicht zum Plaudern.

Bis zum Abend jenes 26. November 2008. Birgit Zorniger, in Schwäbisch Gmünd aufgewachsen, aber schon damals mit dem Ziel vor Augen, "in der Welt herumzukommen", ist gerade auf dem Internationalen Flughafen von Mumbai gelandet. Endstation eines Kurzurlaubs. Natürlich hätte die Vizechefin des Taj Mahal mal wieder in die alte Heimat Baden-Württemberg jetten können, bei der Mutter die Spätzle genießen, Schulfreunde besuchen, in der Konditorei des Onkels zum Naschen vorbeischauen. Aber die weite Welt ist ihr Zuhause. Also fliegt sie lieber für ein paar Tage zu einer guten Freundin nach New York. Dorthin also, wo die internationale Karriere der gelernten Hotelfachfrau begann, wo sie nur 18 Monate arbeiten wollte und am Ende 15 Jahre blieb. Doch in diesem Moment, da sie das Flugzeug verlässt und wieder indischen Boden betritt, ist die Erholung schnell verflogen. Die Hotelmanagerin schaltet ihr Handy ein - und erfährt von den Schießereien. Was tun? Sie telefoniert und telefoniert und entscheidet, erst einmal am Flughafen zu bleiben: "Wir haben die ankommenden Gäste umgebucht", erinnert sich die 45-Jährige.

Niemand weiß in jenem Moment, wie groß das Chaos wirklich ist. Irgendwann aber hält es Birgit Zorniger nicht mehr aus. Sie bricht auf Richtung Innenstadt. Die Fahrt zum Taj Mahal gleicht einem Himmelfahrtskommando. Denn die pakistanischen Islamisten haben mehrere Luxushotels, ein jüdisches Zentrum, den Hauptbahnhof, ein Kino und ein Café überfallen. Was sie wollen, wie viele Opfer es schon gibt, wo ihre Blutspur noch hinführt? Keiner weiß das. Aber schnell wird klar: In Mumbai, dieser Weltstadt der Kulturen, herrscht Krieg. Die Terroristen machen gezielt Jagd auf Ausländer. Überall steigen Rauchwolken auf, Explosionen sind zu hören. Schließlich nähert sich Birgit Zorniger dem Hotel. Der Wille, die Gäste und Kollegen zu retten, verdrängt die Sorge um die eigene Sicherheit. Scharfschützen liegen in Position, das ganze Viertel ist abgeriegelt. Im Taj Mahal, diesem architektonischen Meisterwerk, diesem Treffpunkt von Prinzen, Präsidenten und anderen Prominenten wie Mahatma Gandhi, Yehudi Menuhin, David Rockefeller und Prince Charles wüten mindestens vier Kämpfer, ausgerüstet mit Massen von Munition. "Die haben sich den Weg freigeschossen", erzählt Zorniger rückblickend und ergänzt mit leiser Stimme: "Ich habe Bilder gesehen, die sollte man nicht sehen."

Was sie damit meint, wird erst Tage später sichtbar. Die Terroristen haben aus der Hotelküche, der Harbour Bar, den Sälen, den Restaurants ein Schlachtfeld gemacht. Sie werfen Granaten, schießen um sich, zünden Etagen an. Am Ende sterben allein in diesem Fünf-Sterne-Hotel 31 Menschen. Und doch gelingt es Zorniger mit ihren Mitarbeitern, in dem 60 Stunden dauernden Nervenkrieg eine noch größere Tragödie zu verhindern. "Wir haben viele Leute auf verschlungenen Wegen aus dem Hotel rausgeholt."

Wer einmal im Taj Mahal seine Zimmernummer vergessen hat, weiß, was das bedeutet. Die Flure und Zimmerfluchten in dem altehrwürdigen Gebäude aus dem Jahr 1903 gleichen einem Labyrinth. 500 Angestellte und rund 700 Gäste sind im Moment des Überfalls irgendwo im Hotel. "Man kann sich nicht vorstellen, was die Leute durchgemacht haben", erzählt Zorniger über jene Stunden, die für die Betroffenen zur Hölle werden. Die Etage mit den Suiten wird von den Terroristen komplett verwüstet - fast scheint es so, als entlade sich auf diesem Stockwerk der ganze Hass gegen die westliche Welt und ihre Geschäftemacher. Mancher Manager, der sonst über Menschen und Millionen verfügt und dabei die Werte vor der Bürotür vergisst, rennt um sein Leben. Oder versteckt sich irgendwo in den Kleiderschränken. Es sind Augenblicke, die Birgit Zorniger nicht vergessen wird und die sie doch niemals wird richtig erklären können: "Wir konnten uns nicht hängen lassen, sondern haben nur noch funktioniert."

Angst? Dafür fehlt die Ruhe. Nachdenklichkeit? Dafür fehlt die Zeit. Erst am dritten Tag, da ein Spezialkommando der indischen Polizei die letzten Terroristen überwältigt hat und die Rauchschwaden aus den Hotelfenstern dünner werden, wird das ganze Ausmaß des Angriffs sichtbar. Viele Überlebende, etliche Mitarbeiter weinen. Mancher braucht psychologische Hilfe, andere stürzen sich in die Aufräumarbeiten. "Die Zusammenarbeit war für viele eine Therapie", erinnert sich die resolute Hotelmanagerin. Aber die Ereignisse sind eingebrannt im Unterbewusstsein - und werden lebendig, wenn sie abends in ihrer Wohnung zur Ruhe kommt: "Ich habe das Telefon klingeln hören, obwohl es nicht läutete."

Doch in der internationalen Geschäftswelt, im Big Business, gibt es nicht viel Platz, vor allem keine Zeit für Gefühle. Und so wird, nicht mal vier Wochen nach dem Attentat, das Hotel am 21. Dezember 2008 zumindest teilweise wieder geöffnet. Nun, ein Jahr nach den Angriffen, kommen die Erinnerungen zurück. "Wir müssen irgendwie über den ersten Jahrestag hinüberkommen", sagt Zorniger mit dieser Mischung aus Hoffnung und Skepsis in der sonst so festen Stimme. Immer wieder hat sie sich im Rückblick gefragt: "Was hätten wir besser machen können, wo hätten wir anders reagieren müssen, wen hätten wir doch noch retten können?"

Es sind jene Fragen, auf die es bekanntlich keine Antworten gibt. Mancher Stammgast ist inzwischen zurückgekehrt, andere brauchen noch Zeit, wieder andere haben gezielt für diesen 26. November erstmals wieder ein Zimmer gebucht. Für die rund 1600 Mitarbeiter wird es eine Gedenkfeier im kleinen Kreis geben, dazu wird eine Tafel enthüllt mit den Namen der 31 Toten. "Wir wollen keine Pilgerstätte einrichten, aber dieses fürchterliche Ereignis wird Teil unserer Geschichte bleiben. Das müssen wir respektieren", weiß Zorniger, die seit fast sieben Jahren in dem Hotel arbeitet. Stück für Stück sollen in den nächsten Wochen die renovierten Restaurants und Säle wiedereröffnet werden, irgendwann nächstes Jahr wird es auch wieder Schlüssel für die Suiten geben. Dann kann das Haus wie einst mit seinem kompletten 565-Betten-Angebot werben.

Und was macht Birgit Zorniger an diesem Donnerstag? Vielleicht wird die Schwäbin nach der Gedenkfeier hinaus gehen vor das Hotel, durch die Sicherheitsschleusen hindurch und vorbei an den bewaffneten Polizisten, die seit dem Attentat verstärkt vor dem Taj Mahal patrouillieren. "Wir haben sichtbare und unsichtbare Sicherheit", sagt sie, wohl wissend, dass es eine hundertprozentige Sicherheit nie geben kann, "weil wir ein gastfreundliches, offenes Haus sind". Vielleicht wird sie über die Straße hinüber ans Ufer des Ozeans gehen, einen Moment innehalten und dabei mit der Heimat telefonieren, mit ihrem Bruder, dem Co-Trainer des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart. Gut möglich, dass sie dann zu später Stunde in der Harbour Bar vorbeischaut. "Das ist die älteste Bar in Mumbai mit der Lizenz 001", erzählt Zorniger. Jetzt, zum Jahrestag des Anschlags, wird die Bar wiedereröffnet. Das hat etwas von diesem Jetzt-erst-recht-Effekt. "Dieser 26. November war für uns alle wie der nine eleven", zieht Zorniger in einer Mischung aus Englisch und Deutsch eine Parallele zu den Terroranschlägen im Jahr 2001 in New York. Womit klar wäre: Die Wunden mögen verheilen, die Narben aber bleiben. Auch in Mumbai.