Mit dem Hammer auf die Tastatur einhauen - in Gedanken hat unsere Autorin das schon häufig getan. Foto: CREATISTA/ Shutterstock

Auch wenn die Welt kurz vor dem Untergang steht, wenn nichts mehr sicher scheint - auf eines ist immer Verlass: schimpfende, wütende und allwissende Kommentatoren in sozialen Netzwerken geben ihren Senf ab.

Auch wenn die Welt kurz vor dem Untergang steht, wenn nichts mehr sicher scheint - auf eines ist immer Verlass: schimpfende, wütende und allwissende Kommentatoren in sozialen Netzwerken geben ihren Senf ab. Immer, überall und vor allem zu jeden Thema. Nicht einmal mehr lustige Tiervideos sind mehr vor den übellaunigen Gesellen sicher. "Tierquälerei" heißt es da plötzlich hundertfach, wenn ein schusseliger Hamster sich in seinem Rad überschlägt, weil er es mit der Laufgeschwindigkeit noch nicht so genau raus hat. Welche Schuld genau der Mensch dabei trägt - immerhin laufen Hamster freiwillig in dem Rad - wissen die Kommentatoren vermutlich nicht einmal selbst. Vielleicht hätte der Besitzer es seinem Tier erst erklären und demonstrieren müssen, bevor das Fellknäuel das Rad betritt. Ebenso verhält es sich bei Videos mit Kindern: Egal, was zu sehen ist - es handelt sich grundsätzlich um ein armes Kind, das ganz schreckliche Eltern hat. Die Verfasser der Kommentare hingegen würden es ja so viel besser machen. Sie wissen halt, wie's geht.

Aber zurück zum eigentlichen Thema. Jene Kommentatoren in sozialen Medien sind, neben gewissen anderen Eigenschaften, die man im Allgemeinen unter dem Wort "anstrengend" zusammenfassen könnte, vor allem eines: schnell. Und zwar nicht nur auf das Tempo bezogen, in dem sie sämtliche Beiträge auf Facebook & Co. innerhalb von Minuten mit ihren Kommentaren zukleistern. (Wo zur Hölle nehmen sie die Zeit her?) Sie sind schnell in ihren Urteilen. Zu schnell.

Da wäre zum Beispiel ein Unfall auf der Autobahn 81, bei dem ein Lkw unvermittelt auf die linke Spur gewechselt hat, wo gerade ein  Auto fuhr. Der Autofahrer musste eine Vollbremsung hinlegen, verlor dabei die Kontrolle über den Wagen, überschlug sich mehrfach und verletzte sich schwer. Der Lkw-Fahrer setzte seinen Weg indes unbeirrt fort. So weit, so schlimm. Nun saß der Autofahrer aber zufällig in einem Porsche. Und das reicht ebenjenen Kommentatoren als Info, um klar einen Schuldigen an dem Unfall auszumachen: natürlich den Porschefahrer. "Um 11.40 Uhr auf der Strecke? Zieht "plötzlich" ein Lkw raus? Wahrscheinlich war es gar nicht so plötzlich und vermutlich hat der Lkw-Fahrer vorher in den Spiegel geschaut und kein Auto gesehen oder so weit weg, daß er davon ausgegangen ist, dass es ohne Probleme reicht. Mich würde denn das Unfallgutachten interessieren. Ich vermute da steht dann drin, dass der Porsche sehr bis viel zu schnell war", stellt eine Nutzerin einfach mal fest. Kurzer Blick zu den Fakten: Auf der Strecke, auf der der Unfall geschah, gilt keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Was ist denn dann "zu" schnell gefahren? Und woher weiß sie das so genau? Viele der Kommentatoren sind sich jedenfalls einig: Der Autofahrer fuhr definitiv mit 200 Kilometern pro Stunde und überhaupt hatte er den Wagen nicht im Griff.

Ein anderer Nutzer bemerkt bei einem Blick auf das Foto sofort, dass es sich um Sommerreifen handelt, die der Porsche draufhat. Wen interessiert es da schon, dass es am Unfalltag weder kalt noch glatt oder sonst etwas war, bei dem Winterreifen zur Unfallverhinderung beigetragen hätten? Unter dem Post zum Artikel auf unserer Facebookseite entbrennt mit der Zeit ein fieser Streit zwischen Auto- und Lastwagenfahrern, bei dem im Grunde nur dümmliche Klischees hin und hergeschoben werden. Von den Vorurteilen gegen Porsche-Fahrer ganz zu schweigen. (Neid??). Nur eines interessiert offenbar fast keinen: dass der Lastwagenfahrer einfach weitergefahren ist und der Autofahrer schwer verletzt in der Klinik liegt.

Interessant wäre ja - das merkten schlussendlich auch ein paar wenige Nutzer an -, wie die ganze Diskussion verlaufen wäre, wenn es sich nicht um einen Porsche, sondern um einen Hyundai oder einen Peugeot gehandelt hätte. Und nicht um einen Mann, sondern um eine Frau - am Ende noch mit Kind.

Das Schlimme ist, dass die wild umherkommentierenden Menschen sich überhaupt keine Gedanken darüber zu machen scheinen, was sie mit ihren Beiträgen auslösen können. Gerade im Falle eines Unfalls oder eines Verbrechens ist es nicht unwahrscheinlich, dass Angehörige des Opfers die Kommentare lesen. Und wie die sich fühlen müssen, wenn ihrem Familienmitglied oder Freund die Schuld für das Geschehene gegeben wird, das möchte sich wohl keiner so recht vorstellen. Gott bewahre, wenn Ausländer oder gar Flüchtlinge ins Spiel kommen. Da schlägt man als Online-Redakteur schon vor der Veröffentlichung die Hände über dem Kopf zusammen - in banger Erwartung vor dem, was da an Kommentaren kommen wird!

Für diejenigen, die sich auch mit geschlossenen Augen und im Kreis drehend in den sozialen Medien zurechtfinden (und dabei natürlich die Kommentar-Zeile ohne Probleme finden) mag es vielleicht altmodisch klingen - aber ein Grundsatz wird niemals aus der Mode kommen: erst denken, dann reden. Oder eben, ins Jahr 2017 übertragen: erst denken, dann tippen. (Achja - Rechtschreibung und Grammatikregeln gibt es ja auch noch. Aber wir wollen ja nicht pingelig sein ...)

Wenn sich daran jeder halten würde, wäre den Online-Redakteuren dieser Welt sehr geholfen. Und ganz nebenbei auch noch all denjenigen, die beim Lesen der Kommentare den heftigen Impuls verspüren, ihren Kopf auf den Tisch zu hauen. Beulen ade!