Manfred Kiewald, Psychotherapeut bei Refugio in Villingen, erwirkt gemeinsam mit einem Rechtanwalt ein Visum für eine afghanische Ortskraft, deren Frau und sechs Kinder bereits in Deutschland leben. Foto: Heinig

Aus den Schlagzeilen sind sie verschwunden, doch die Schicksale der Ortskräfte in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban treiben die Mitarbeiter des Psychosozialen Zentrums für traumatisierte Flüchtlinge, "Refugio", nach wie vor um und fordern sie zu außergewöhnlichem Einsatz heraus.

Villingen-Schwenningen - Der Psychotherapeut Manfred Kiewald war mit einem Rechtsanwalt und einer Klientin aus Afghanistan gerade drei Tage lang in Berlin, um beim Bundesverwaltungsgericht dafür zu kämpfen, dass ihr Ehemann zu ihr und den sechs Kindern aus Kabul nach Deutschland ausreisen kann. Die Geschichte der achtköpfigen Familie zeigt, dass sich das Auswärtige Amt und das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) sehr schwer damit tun, die Not der Afghanen einheitlich anzuerkennen. Refugio-Geschäftsführerin Astrid Sterzel spricht gar von "anklagewürdigen Zuständen" und "prekären Asylstati".

Doch zum Fall: 2015 beschließt die afghanische Familie mit ihren sechs Kindern im Alter von heute sechs bis 28 Jahren und der Mutter des Vaters nach Deutschland zu fliehen. In Pakistan erkrankt die Großmutter und ihr Sohn, das Familienoberhaupt, kehrt mit ihr nach Kabul zurück. Der Rest der Familie schlägt sich über die Türkei, das Mittelmeer nach Griechenland bis nach Deutschland durch. Hier lösen sich die beiden ältesten Söhne von der Mutter und den Geschwistern und versuchen ihr Glück alleine.

Der geringste Schutz überhaupt

Inzwischen haben sie eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre erwirkt. Nicht so ihre Familienmitglieder. Nach der Anhörung 2016 erhielten die Mutter und vier Kinder lediglich ein Abschiebeverbot, begrenzt auf ein Jahr. "Das ist der geringste Schutz überhaupt", erklärt Astrid Sterzel. Immer wieder werde beobachtet, dass innerhalb von Familien unterschiedliche Status festgesetzt werden. Zumeist werde der Fluchtgrund nicht anerkannt oder Fluchtgeschichten nicht geglaubt. So offensichtlich auch bei der 43-jährigen Afghanin.

Ehemann soll jetzt ein Visum erhalten

Erst der finanziell hohe Aufwand mit der Reise nach Berlin brachte in ihrem Fall die Wende. Der Ehemann soll jetzt ein Visum erhalten. Da er das im pakistanischen Islamabad persönlich abholen und dafür das Versteck bei seinen Freunden, in dem er nach dem Abzug der westlichen Streitkräfte lebt, verlassen muss, ist ein Happy End jedoch noch nicht abzusehen. Auch ein Platz im Flugzeug ist ihm angesichts der langen Wartelisten nicht sicher. Für Manfred Kiewald war die Reise nach Berlin trotzdem ein Erfolg, und er hofft, dass das dort Erreichte zu einem Präzedenzfall wird.

Refugio betreut rund 40 Menschen aus Afghanistan

"Wir fordern für die Afghanen ein ähnliches Kontingent wie es 2016 den Jesidinnen eingeräumt wurde", sagt Astrid Sterzel. Derzeit betreut Refugio rund 40 Menschen aus Afghanistan, die auf die Ausreise von Familienmitgliedern hoffen. Um ihnen helfen zu können, wird Geld gebraucht. Selbst in einer spendenfreudigen Region wie den Schwarzwald-Baar-Kreis stehe die Finanzierungen der Hilfen stets auf tönernen Füßen, sagt die Geschäftsführerin und führt den 500 000-Euro-Haushalt 2022 an, der momentan erst zu 30 Prozent gesichert ist. Das seit Sommer ausgeschriebene Antragsverfahren für EU-Fördermittel sei noch nicht einmal eröffnet, zudem sei es ihr untersagt, sie für Flüchtlinge "mit Abschiebeverbot" zu verwenden. Würden die Menschen einen Flüchtlingsstatus von drei Jahren erhalten, wäre also viel gewonnen. "Aber scheinbar möchte man das derzeit nicht".