Das Aviona-Gelände an der Runkellenstraße. Einst stand hier eine Fabrik, zuletzt genutzt als Flüchtlingsheim bevor sie abgerissen wurde. Acht Hechingen wollen hier in einem ungewöhnlichen Projekt bezahlbaren Wohnraum schaffen, ergänzt um Kita sowie Angebote für Senioren oder Menschen mit Einschränkungen. Foto: Stopper

Gemeinderäte im Bauausschuss sind hellauf begeistert. Platz für Kindertagesstätte und Senioren.

Keine einzige kritische Stimme, nur pure Begeisterung – wann gibt es das schon mal im Hechinger Bauausschuss? Was FreiRaum e.V, eine Gemeinschaft von acht Hechinger Enthusiasten, auf dem Gelände der ehemaligen Aviona an der Runkellenstraße schaffen wollen, beeindruckte tief.

Hechingen - Nicht nur der Bau und sein Nutzungskonzept kamen gut an – auch die ungewöhnlichen Eigentumsverhältnisse, die dieses Wohnprojekt verwirklichen will. In Tübingen gibt es so etwas schon. In Hechingen wäre es Neuland.

 Was soll gebaut werden? Im Prinzip drei mehrstöckige Gebäude, einstöckig verbunden im Erdgeschoss, die zur Straße hin einen Innenhof bilden. Untergebracht werden soll darin eine Kita in eigener Trägerschaft, und neben ganz normalen Mietwohnungen auch betreutes Wohnen für Senioren oder sogar eine Demenz-WG oder eine Wohngruppe für Menschen mit anderen Beeinträchtigungen. 22 Wohnungen insgesamt mit Gemeinschaftsflächen und Tiefgarage, das alles zu Mietpreisen unter dem Mietspiegel – wer noch die Flüchtlingsheimzeiten im Avionablock vor Augen hat, wird kaum glauben können, was hier nun geplant ist.

Das Wohnprojekt 

Im Frühjahr 2019 haben sich acht Hechinger im Verein "FreiRaum e.V." zusammengeschlossen mit dem Ziel, ein Gebäude zu renovieren oder neu zu erbauen, das nicht Renditezwecken dient sondern Wohnraum bezahlbar und mit sozialer Ausrichtung schaffen soll. Und man will hier auch eine Gemeinschaft schaffen. Dabei werden die Vereinsmitglieder nicht Eigentümer, sondern ihr Verein, der sich durch Satzung verpflichtet, das Gebäude dauerhaft dem kommerziellen Immobilienmarkt zu entziehen.

Mietshäuser-Syndikat

Das garantiert auch die Kooperation mit dem Mietshäuser Syndikat, einer vor 30 Jahren in Freiburg gegründeten Institution, die in Deutschland schon 130 Projekte erfolgreich realisiert hat und die so eine Art Grundstruktur auch für das Hechinger Projekt vorgibt. Grundprinzip ist immer, dass Gemeinschaften und nicht einzelne Eigentümer der Gebäude sind, dass statt Rendite für Eigentümer zu erwirtschaften die Gebäude Wohnraum mit günstiger Mieten bereitstellen. Und auch einen Platz zum sozialen Zusammenleben.

Finanzen

Ein Teil des für den Bau benötigten Geldes wird über Kredite von Privatleuten beschafft. Sie erhalten wenig Rendite, dafür aber die Gewissheit, ein soziales Projekt dauerhaft zu unterstützten. Motivation genug, dass beispielsweise in Tübingen diese Bauprojekte genügend Geld auf diese Weise auftreiben können.

Nestbau-AG

Eines der drei Gebäude würde die "nestbau AG" aus Tübingen bauen. Auch diese Institution ist auf Projekte mit sozialem Aspekt spezialisiert. Demenz-WG, Wohngruppen für Kinder mit Betreuungsbedarf, Senioren-WG – grundsätzlich wird darauf geachtet, dass solche Nutzungen in den Nestbau-Gebäuden integriert sind. Und günstige Mieten sind auch hier Prinzip. Grundsätzlich werden Nestbau-Wohnungen für mindestens zehn Prozent günstiger als der Mietpreisspiegel angeboten. Manchmal noch günstiger.

Kindertagesstätte

Geplant ist eine zweigruppige Kita für 33 Kinder, betrieben würde sie von der Casa KiTaNa, die in Tübingen bereits 55 Kinder in einer Kita betreibt, davon 15 in Kooperation mit der Uni. Das pädagogische Konzept setzt auf Selbstbestimmung, Freiräume, Bewegung, gesundes Essen (es soll auch eine Mensa geben).

Architekt

Dass als Architekt Matthias Schuster mit seinem Büro LEHENdrei für das Vorhaben gewonnen werden konnte, ist ebenfalls beachtlich. Das Tübinger Architektenbüro ist preisgekrönt und hat viel Erfahrung im Zusammenwirken mit Projekten wie Mietshäuser Syndikat oder Nestbau AG. Der Entwurf für das Aviona-Gelände kam im Bauausschuss sehr gut an.

Knackpunkte

Der Bauausschuss steht zwar geschlossen hinter dem Projekt, das ist seit Mittwoch klar. Eine Nachfrage der Ersten Beigeordneten Dorothee Müllges aber lenkte den Blick auf die Kita. Ob die denn für das Zustandekommen des Projekts verzichtbar wäre, fragte sie sehr betont nach. Ein Zeichen, dass die Verwaltungsspitze hier Probleme sieht? Holger Meischner, Geschäftsführer der Casa KiTaNa, rang bei der Antwort sichtbar mit sich selbst. "Es würde uns verdammt schwer fallen, darauf zu verzichten", meinte er schließlich.

Gemeinderatsstimmen

So einmütig wurde noch kaum ein Projekt im Bauausschuss bejubelt. Manfred Bensch (SPD): "Großes Lob". Alexander Vees (Freie Wähler): "Eine tolle Sache". Almut Petersen (Bunte Liste): "Macht mich stolz, dass in Hechingen so etwas entstehen kann". Regina Heneka (CDU): "Ein tolles Projekt". Sie findet besonders auch die Kita-Idee in freier Trägerschaft gut. Susanne Blessing (SPD): "Ich finde das Projekt toll". Hannes Reis (Bunte Liste): "Eine geniale Idee und ein Glücksfall für Hechingen". Johannes Simon (AfD) meldete sich zwar nicht zu Wort, fand aber im Gespräch nach der Sitzung nur lobende Worte für das Vorhaben. So eine breite Zustimmung – das klingt nach einem klaren Auftrag an die Verwaltungsspitze, dieses Vorhaben zu fördern und zu unterstützen.