Aufgrund der Machtübernahme der Taliban werden wohl wieder mehr Afghanen ihr Land verlassen wollen. Foto: Rahmat Gul/AP/dpa

Afghanistan: Bereits zwölf Ortskräfte in der Ortenau

Ortenau - In den vergangenen zwei Wochen haben sich die Ereignisse in Afghanistan überschlagen. Aktuell halten die Bilder vom Flughafen Kabul die Welt in Atem. Angesichts der dramatischen Entwicklung stellt sich der Kreis wieder auf mehr Flüchtlinge ein.

Zwölf afghanische Ortskräfte haben sich seit Juli in die Ortenau in Sicherheit gebracht. Das bestätigte das Landratsamt auf Nachfrage unserer Zeitung. Sie waren in ihrem Heimatland für Bundeswehr, Bundespolizei, Auswärtiges Amt und andere deutschen Behörden tätig – und schwebten angesichts des Abzugs der ausländischen Truppen in großer Gefahr. "Im Juni haben diese Personen ein Visum erhalten und sind im Juli nach Deutschland eingereist", berichtet Alexandra Roth, die Leiterin des Ortenauer Migrationsamts, gegenüber unserer Zeitung.

In den vergangenen zwei Wochen spitzte sich die Situation in Afghanistan drastisch zu: Aufgrund der neuerlichen Herrschaft der Taliban rechne der Kreis nun auch mit steigenden Flüchtlingszahlen aus Afghanistan, erklärt Roth. Dabei sank die Zahl der Hilfesuchenden seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 kontinuierlich. Damals waren es 4.150 in einem Jahr, 2016 nur noch rund die Hälfte und im vergangenen Jahr nur noch 501 Flüchtlinge.

Unterkünfte wurden in den vergangenen Jahren nach und nach abgebaut

Zuletzt hatte sich wohl auch Corona auf die Entwicklung der Zahlen ausgewirkt: "Durch die Grenzschließungen und den eingeschränkten Reiseverkehr sind die Zugangszahlen im Jahr 2020 bundes- und landesweit sowie auch im Ortenaukreis gesunken", erklärt die Amtsleiterin. Rund sieben Prozent der im vergangenen Jahr neue hinzugekommenen Flüchtlinge stammen aus Afghanistan. Der größte Teil stammte mit rund 20 Prozent aus Syrien.

Eine neue Flüchtlingswelle könnte den Kreis vor große Herausforderungen stellen, denn viele der Unterkünfte sind in den vergangenen Jahren aufgegeben worden. "Der Ortenaukreis musste in den vergangenen Jahren aufgrund der rückläufigen Zugangszahlen dem Land jährlich ein Abbaukonzept vorlegen und Unterkünfte schließen", erklärt die Leiterin des Migrationsamts. "Ansonsten wären Kürzungen der Kostenerstattungen erfolgt. Das Land forderte zuletzt eine Auslastungsquote von 80 Prozent."

Diese Vorgabe könnte den Verantwortlichen nun auf die Füße fallen – und viel Geld kosten. Denn im laufenden Jahr sei trotz anhaltender Pandemie wieder ein Ansteigen der Zahlen zu verzeichnen, so Roth. 307 Flüchtlinge waren bis Juli neu in die Ortenau gekommen. Die Auswirkungen der jüngsten Entwicklung in Afghanistan werden den Trend wohl weiter befeuern.

Um dem Anstieg der Flüchtlingszahlen zu begegnen, erwägt die Kreisverwaltung nun ehemalige Wohnheime zu reaktiveren. "Wir prüfen verschiedene Möglichkeiten, auch bei Objekten, die wir mal hatten", erklärt Amtsleiterin Roth dazu.

Im ersten Halbjahr 2021 kamen 307 Flüchtlinge in den Ortenaukreis

Aktuell leben 687 Flüchtlinge aus mehr als 24 Nationen in vorläufiger Unterbringung in der Ortenau, in der Anschlussunterbringung sind es 7.147 Menschen.Durch die geschlossenen Landwege und vermehrt überwachten Küsten sei die Einreise in die Europäische Union derzeit zwar erschwert. Aktuell würden jedoch vermehrt sogenannte Sekundärmigrationen – meist aus Griechenland – in die Ortenau vorkommen. "Hierbei stellen Personen in Deutschland einen Asylantrag, die dort bereits einen Schutzstatus erhalten haben", so Roth. Eine Rückführung nach Griechenland scheitere vermehrt vor Gericht aufgrund der schlechten Lebensbedingungen vor Ort.

"Und wieder sind es die Frauen in Afghanistan, die besonders leiden werden", konstatiert die Frauen-Union Südbaden in einer Mitteilung vom Donnerstag. So sei es bereits in Persien, das zum Gottesstaat Iran wurde, und in Algerien geschehen. Diese Staaten hätten die Freiheit der Frauen zugunsten eines islamischen Staates mit Schariarecht eingetauscht.

        Die Taliban würden sobald der letzte Nato-Angehörige das Land verlassen habe, ihr "mittelalterlich geprägtes, frauenfeindliches Regime" etablieren, prognostizieren die CDU-Frauen. "Den westlich erzogenen afghanischen Frauen bleiben nur zwei Wege – Flucht oder Selbstmord." Zudem wirft die Frauen-Union die Frage auf, warum man nicht Frauen an den Waffen ausgebildet habe. "Da die Frauen hauptsächlich die Leidtragenden eines TalibanRegimes sind, hätten sie sich sicherlich nicht so schnell ergeben. Sie waren nicht in die alten Netzwerke einer Stammesgesellschaft eingeflochten, hätten das auch nie zugelassen, denn ihnen war klar, dass diese Gesellschaft sie mit übermännlicher Dominanz und mit Hilfe von ungebildeten Frauen versklaven wird", heißt es in der Mitteilung.

     Im Eifer dieser seit Jahrhunderten immer wieder nach alten Regeln funktionierenden afghanischen Gesellschaft, westliche Werte und Lebensweisen aufzuzwingen, um dann mit unerfülltem Auftrag abzuhauen, habe man das kommende Leid der Frauen übersehen oder in Kauf genommen. "Gibt es für dieses Verbrechen an den Frauen überhaupt eine Wiedergutmachung, so kann es nur die Hilfe zur Flucht bedeuten, wenn es nicht schon zu spät ist", so die Frauen-Union Südbaden.