Kim Bui spricht mit unserer Redaktion über ihre Biografie „45 Sekunden“, das Leben nach ihrer Turnlaufbahn, die anstehende Weltmeisterschaft in Antwerpen und Anerkennung für Sportler.
Kim Bui wurde in Tübingen geboren. Die 34-Jährige war über viele Jahre eines der Gesichter des deutschen Turnsports und des MTV Stuttgart. Im August 2022 beendete sie Ihre einzigartige Karriere nach den Europameisterschaften. In Ihrer im März erschienenen Biografie lässt sie die Laufbahn erstaunlich offen Revue passieren und spricht auch über unangenehme Themen. Wir haben Bui zum Interview getroffen.
Perfektes Karriereende
Hallo Frau Bui, 45 Sekunden dauerte ihre letzte Barrenübung: Das Ende ihrer Karriere ist nun über ein Jahr her: Wie oft gab es seit her Momente, in denen Sie diese 45 Sekunden vermisst haben?
Tatsächlich war das bisher gar nicht der Fall. Ich hatte so ein tolles Ende der Karriere, das hat für mich super gepasst.
Sie sagen selbst: „Turnen ist für mich die schönste Sportart der Welt, meine Karriere war aber auch mit vielen Entbehrungen, Tränen, Schmerzen und Verletzungen verbunden.“ Dies beschreiben Sie eindrücklich in ihrem Buch, das nun ein halbes Jahr auf dem Markt ist? Wie sind die Reaktionen darauf ausgefallen?
Diese waren wirklich durchweg positiv. Viele haben sich für meine Offenheit und den Blick hinter die Kulissen bedankt. Die meisten Menschen sehen eben die Medaillengewinner, aber nicht was alles dahintersteckt. Auch ich habe da in meiner aktiven Laufbahn wenig nach außen getragen.
Das Buch „45 Sekunden“ war gleich in der Spiegel Bestsellerliste: Sie thematisieren dort immer wieder das Thema Anerkennung – sind die guten Zahlen gewissermaßen auch eine Form dessen?
Ja natürlich, das sehe ich schon so. Sportbiografien, dann noch von einer Frau in einer Randsportart, verkaufen sich in der Regel weniger. Zumal ja zeitgleich auch das Buch von Laura Dahlmeier veröffentlich wurde, daher verbuchen wir das schon als Erfolg.
Ein anderes Thema im Buch ist Überwindung: Wie schwer ist es Ihnen gefallen, sich so offen zu Themen wie der Essstörung zu bekennen?
Es war schon ein langer Weg, bis die Biografie überhaupt entstanden ist. Als mir der Autor das erste Mal erklärt hat, dass er eine Biografie schreiben möchte, dachte ich mir: „Was habe ich mit Anfang 30 schon erreicht?“ Aber es scheint genug Stoff gegeben zu haben.
Wie ging es dann weiter?
Das Thema Essstörung kam dann erst im weiteren Verlauf und persönlichen Gespräch auf. Ich hatte das zuvor noch nie thematisiert und es war für mich auch mit Scham behaftet. Die Reaktionen darauf waren aber wahnsinnig positiv. Bis es aber so weit kam, war es schon ein längerer Prozess.
Gegen Ende des Buches haben Sie anklingen lassen, dass Sie gewisse Verbesserungen im Turnsport feststellen. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass das auch nachhaltig so weitergeht?
Ich glaube, es geht zunächst immer darum, ein Bewusstsein zu schaffen. In irgendeiner Form muss der erste Anstoß passieren. Das war nun der Beginn. Ich sage auch nicht, dass ich für alle Probleme eine Lösung parat habe.
Das kann also noch ein längerer Weg werden?
Definitiv.
Sie haben selbst an acht Weltmeisterschaften teilgenommen. Wie werden sie die Wettbewerbe in Antwerpen verfolgen, die am 30. September starten?
Auf jeden Fall sehr intensiv. Es geht auch um die Qualifikation für die Olympischen Spiele, da werde ich beim deutschen Team sehr genau hinschauen.
Was trauen Sie der deutschen Mannschaft zu?
Wie viele wissen, hat sich Elisabeth Seitz ja die Achillessehne gerissen. Sie ist absolute Leistungsträgerin. Die Verletzung von Emma Malewski ist ein weiterer Dämpfer. Trotzdem traue ich den Deutschen zu, dass die Qualifikation für Olympia gelingt. Beim Länderkampf haben sie sich gut geschlagen. Ich hoffe, dass alle gesund und fit bleiben.
Sie beschreiben „Eli Seitz“ als gute Freundin. Hatten Sie seither schon Kontakt?
Ja, wir haben sowohl geschrieben, als uns persönlich gesehen. Wir werden sicherlich auch mal wieder zusammen essen gehen, sie hat ja leider jetzt ein wenig mehr Zeit.
Wie groß oder klein ist Ihre Hoffnung, dass die Athleten auch außerhalb der Medaillen mediale Präsenz bekommen?
Das ist schwierig zu beurteilen. Beim Länderkampf in Heidelberg war das schon gut. Wir können in größere Hallen, es schauen mehr Menschen zu. Aber Medaillen stehen immer im Fokus.
Bei der Leichtathletik-WM ging Deutschland ohne Medaille aus den Wettbewerben: Es gab heftige Kritik, etliche Bestleistungen von einzelnen Athleten wurden kaum thematisiert. Haben Sie die Diskussion verfolgt?
Nicht im Detail. Es zeigt mal wieder, dass der Sport nur an Medaillen gemessen wird. Man könnte viel mehr darauf schauen, was der einzelne Sportler erreicht hat.
Sie schreiben: „Mein Buch ist ein zutiefst menschlicher Appell an die Gesellschaft, sportliche Leistung auch jenseits der olympischen Medaillenränge wertzuschätzen.“ Wie schwer ist es dieses schwarz-weiß Denken umzukehren?
Sehr schwer, das ist ja auch ein grundsätzliches, gesellschaftliches Thema.
Zuletzt gab es Kritik von den Basketballern, dass nur ein Spiel der ganzen WM im Free-TV gezeigt wurde und das Finale dann auch noch vom DFB und der Mitteilung zur Flick-Entlassung gecrasht wurde. Steht das so ein wenig sinnbildlich für die Situation?
Ja das finde ich schon. In der öffentlichen Wahrnehmung dreht sich nun mal alles um den Fußball.
Zurück zum Turnen: Die 15-jährige Helen Kevric räumt im Nachwuchs Medaillen ab und gilt als Toptalent. Was trauen Sie ihr zu und wünschen Sie ihr für die kommenden Jahre?
Der große Wunsch ist, dass sie gesund und munter durch das Ganze durchkommt. Dazu braucht sie auch ein gutes Durchhaltevermögen. Alles andere ergibt sich. Sie hat jede Menge Potenzial, das sieht man jetzt schon. Was sie in jungen Jahren bereits erreicht hat, ist großartig und toll.
Ein weiteres Zitat von Ihnen lautet: „Mein Antrieb ist es Menschen zu inspirieren und unterstützen, mutig zu sein neue Wege einzuschlagen und ihre Leidenschaft zu leben.” Wie viel Spaß macht ihnen ihre Aufgabe als Coach/Speaker?
Wahnsinnig viel. Das Turnen ist immer noch meine Leidenschaft und es ist schön, gewisse Dinge weiterzugeben. Ich bin bei vielen Terminen unterwegs. Was ich merke: Ich konnte und durfte bereits viele neue Dinge erleben.