Kunst: Reiner Willfurth aus Egenhausen lebt seinen Traum / Aus Liebe zu "alten Dingen" wird Foto-Kunst
Die alte Musikbox aus einer Gaststätte im Wohnzimmer, der historische Flipper im Keller – und dazwischen jede Menge Fotos und Bilder, die aussehen wie aus der "guten alten Zeit". Kein Zweifel: Reiner Willfurth aus Egenhausen hat irgendwie ein Nostalgie-Gen.
Egenhausen. Ein klein wenig sei es schon so wie ein Leben in einem Museum. Die Sammlung, die Willfurth mit den Jahren zusammengetragen hat, folgt dabei allerdings keinen besonderen Präferenzen, repräsentiert keine bestimmte Epoche – außer vielleicht: So wie er seine "Home-Style"-Exponate daheim in seinem Haus in Egenhausen arrangiert, entwickeln sie alle eine ganz eigene Ästhetik. Da werden sogar uralte Lehrtafeln über Grundnahrungsmittel oder "Handarbeitsstiche" wirklich schön.
Die arg angegilbten Lehrtafeln hat Willfurth in der Egenhausener Grundschule entdeckt, als diese vor etlichen Jahren ihr Interieur austauschte. Jetzt hängen sie bei ihm daheim in der Küche. Und passen einfach hier her. Unbedingt stilsicher. Blickfänge. Wie – natürlich – die kleine Sammlung originaler und auch nicht ganz so originaler Blechdosen und Emailschilder. Oben in seinem Arbeitszimmer hat Willfurth auch ein paar irgendwann einmal in irgendeinem Schrank vergessene Geschenk-Packungen mit Seifen und Parfüm arrangiert. Würde man es selbst bei einer Haushaltsauflösung finden – wahrscheinlich Plunder. Hier – neben den historischen Coca Cola-Flaschen – ist es auf einmal Design-Kunst. Fesselt den Blick.
"Ich habe keine Ahnung wo das herkommt." Willfurth meint nicht die Exponate seiner Haus-Ausstellung, sondern seine Leidenschaft für all diese Kleinode. "Ich bin da wohl irgendwie anders geprägt." Er sähe Dinge anders als andere, sei ihm aufgefallen. Und nicht nur ihm sei das aufgefallen, sondern auch seinen Freunden, Bekannten. Von dort kam vor ein paar Jahren die Frage, ob er nicht einmal ein Familienportrait als Auftrag anfertigen könnte. Als Foto. Willfurth machte das Foto und fing daheim am Computer an, dieses nach allen Regeln der Kunst und der Bildbearbeitung zu "modifizieren". Es mit allerlei Effekten "wie alt" aussehen zu lassen. Das Ergebnis war phänomenal: Das Bild wurde tatsächlich zum Kunstobjekt, faszinierte jeden Betrachter. Und Willfurth hatte seine eigentliche Passion gefunden.
Seitdem fotografiert und bearbeitet Willfurth alle möglichen Motive aus seiner direkten Umgebung, aber auch aus aller Welt. Wie zum Beispiel der Auftrag eines einheimischen Unternehmers, großformatige Landschaftaufnahmen von Egenhausen im ganz eigenen "Willfurth-Stil" anzufertigen. Mal mit Kuh, mal ohne. "Ich liebe Kuhbilder", sagt Willfurth wieder so einen Satz, der seinen "anderen Blick" auf die Welt verrät. Wobei Willfurth nicht allein ein nostalgischer Dorf-Romantiker ist. Ihn begeistert auch Graffiti und Street-Art, Industrie-Kultur und "urbane Ästhetik", schräge Typen und Design-Klassiker, gemischt mit ein bisschen Subversion.
Was all diese Dinge als Klammer zusammenhält: "Es muss echt sein, eine Authentizität ausstrahlen, beim Betrachten etwas in deinem Kopf, mit deinen Augen machen", erklärt er. Dich in Vibration versetzen. Eine verlässliche Begeisterung auslösen. Pure Inspiration sein. Im Spannungsfeld des Lebens. Zwischen Dorf, eben Egenhausen, und der Großstadt.
Mindestens einmal im Jahr geht es für Willfurth mit Ehefrau und Tochter auf Stadturlaub. Als nächstes stehe London auf der Liste. Leben auf Zeit in einem Loft, schwelgen mit den Augen und allen Sinnen in den Motiven dieser im Vergleich zu Egenhausen ganz anderen Welt.
Süchtig nach Schönheit und Stil
Wenn Willfurth davon erzählt, macht er irgendwie auch den Eindruck eines lustvoll Süchtigen. Süchtig nach Schönheit, nach Stil, nach Retro, nach dieser vergehenden und verwehenden Welt der alten Design-Richtungen in der Industrie-, Produkt- oder auch Werbegestaltung. Oder Architektur. Oder auch Handwerkskunst. Er könne sich stundenlang in bestimmten Möbelläden verlieren, oder daheim im Manufactum-Katalog blättern – dem "Design-Porno" für alle Nostalgie-Fetischisten. Und Willfurth zeigt historisch korrekte Bakelit-Lichtschalter und -Steckdosen, die seien für sein Heim-Museum das nächste Projekt: "Ich liebe Aufputz-Stromleitungen".
Er habe einmal in einer Galerie in Konstanz ein Zitat von Yoko Ono und John Lennon entdeckt, erzählt Willfurth noch: "Everywhere is Art" – überall ist Kunst. Das sei sein Credo geworden. Durch seine eigenen Nostalgie- und Retro-Bilder lebe er heute diese "Everywhere"-Kunst. Bei der HUB-Open im zu Ende gegangenem Jahr habe er seine Bilder erstmals öffentlich gezeigt. Mit überwältigender Resonanz. Vielleicht gibt es ja mal eine eigene Ausstellung – also eine Ausstellung außerhalb seiner eigenen vier Wände. Die man übrigens, wenn man Reiner Willfurth höflich fragt und seine unbändige Leidenschaft für alles schöne Alte teilt, gerne einmal besuchen darf: "Einfach mal fragen."