Finanzministerin Edith Sitzmann sieht den Brexit als Warnschuss Foto: dpa

Bei Richtlinien und Verordnungen muss die EU auch die besondere Situation von Baden-Württemberg und Deutschland berücksichtigen, fordert Finanzministerin Edith Sitzmann.

Stuttgart - Was bedeutet der Brexit für Baden-Württemberg? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Reise des Finanzausschusses des Landtags nach London und Edinburgh, an der auch Finanzministerin Edith Sitzmann teilnahm.

Frau Sitzmann, was nehmen Sie von den Gesprächen mit Vertretern von Banken, Unternehmen und Politik mit?
Die anhaltende Unsicherheit für Banken und Unternehmen aus Baden-Württemberg ist schwierig, und viele stellen sich auf den schlimmsten Fall ein. Beim Parteitag der Konservativen zeigte sich, dass in ihren Reihen ein Machtkampf tobt und es sehr unterschiedliche Vorstellungen gibt, wie der Ausstieg aussehen soll. Überrascht hat mich, dass es trotz der unübersichtlichen Lage zuversichtliche Einschätzungen gibt, die damit begründet werden, dass man in Großbritannien immer pragmatische Lösungen gefunden habe.
Kann Pragmatismus heißen, dass man den Vorstellungen der britischen Regierung nach einem weichen Brexit nachgibt?
Wir hoffen, dass wir Grundprinzipien wie freien Handel, Binnenmarkt, Zollunion und Freizügigkeit geregelt bekommen, damit die Wirtschaftsbeziehungen möglichst erhalten bleiben und unsere Unternehmen eine Zukunftsperspektive haben. Leider scheint die britische Regierung nicht auf die Gespräche vorbereitet zu sein.
Was raten Sie Unternehmen?
Sie sollten sich auf unterschiedliche Szenarien vorbereiten – aber das ist letztendlich immer eine unternehmerische Entscheidung. Für Baden-Württemberg als exportorientiertes Land ist natürlich der Markt hier relevant, und deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe, sie gut zu informieren und die Hürden niedrig zu halten. Jetzt zeigt sich auch, dass es gut war, dass Baden-Württemberg in den vergangenen Jahrzehnten einen europäischen Kurs gefahren hat, und dass es gut war, die Europäische Union zu verteidigen, als Garant des Friedens, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen.
Mehrere Gesprächspartner haben erklärt, die Europäische Union sei für die Briten kein Friedensprojekt gewesen, ihnen sei es vor allem um die Wirtschaftsbeziehungen gegangen, und aus Enttäuschung habe die Mehrheit für den Ausstieg gestimmt.
Es ist wichtig, dass wir uns zu Europa bekennen und nicht populistischen Strömungen nachgeben. Da schürt man Befürchtungen und Ressentiments, die irgendwann zurückschlagen. Wir machen uns aber auch für Verbesserungen und Bürokratieabbau in der EU stark – etwa, wenn es um Richtlinien und Verordnungen geht. Da wollen wir, dass auch die besondere Situation von Baden-Württemberg und Deutschland berücksichtigt wird.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Unser Bankensystem beruht auf drei Säulen – Privatbanken, einem öffentlich-rechtlicher Sektor mit den Sparkassen und einem genossenschaftlichen Bereich mit den Volks- und Raiffeisenbanken. Es ist richtig, dass nach der Finanzkrise eine Regulierung eingeführt wurde. Diese muss aber bei Auflagen und Vorgaben die nationalen Besonderheiten berücksichtigen, damit jetzt nicht die kleinen Banken, die in der Krise unsere kleinen und mittleren Unternehmen unterstützt haben, durch den Aufwand überfordert werden.
Gibt es Erfolge?
Ja, auf Initiative aus Baden-Württemberg sind wir schon etwas weitergekommen. Kleinere Banken werden von bestimmten Auflagen ausgenommen. Ich war mit der bayerischen Kollegin beim zuständigen EU-Kommissar, um über die Eigenkapitalrichtlinie und -verordnung zu sprechen. Darunter fällt auch die Behandlung unserer landeseigenen Förderbank, die wegen ihrer Bilanzsumme zu den systemrelevanten Banken zählt. Das passt aber nicht ganz zu den Rahmenbedingungen dieser Bank – sie ist ja eine landeseigene Förderbank, für die das Land zu 100 Prozent garantiert. Auch bei der Europäischen Bankenaufsicht habe ich deutlich gemacht, dass man einen differenzierten Blick auf die nationalen Besonderheiten braucht.
Differenzen gibt es auch bei der Frage, wer den Aufsichtsgremien angehören soll...
Als Eigner und Miteigner von Banken ist uns wichtig, dass auch Vertreter der Anteilseigner in diesen Gremien sind, nicht nur so genannte unabhängige Vertreter.
Der Wettbewerb zwischen den Banken ist gewaltig. Werden solche Instrumente denn auch genutzt, um Konkurrenten zu knebeln?
Die Finanzmarktkrise vor zehn Jahren hat auch in Baden-Württemberg zu schweren Verwerfungen bis hin zur Kurzarbeit geführt. Deshalb war es richtig, Konsequenzen zu ziehen, damit sich so etwas nicht wiederholt. Entscheidend ist aber, dass die neuen Regeln zu den besonderen Situationen vor Ort passen. Es ist gut, wenn man es nicht nur einheitlich gestaltet und alle gleich behandelt und die Aufsicht entsprechend agiert.
Sind sich die Bundesländer da einig?
Ja, und der Bundesfinanzminister hat zugesagt, sich in Brüssel dafür einzusetzen, dass die kleinen Banken besonders behandelt werden, weil sie sich für die Finanzierung von kleinen Unternehmen einsetzen.
War die Brexit-Entscheidung der Briten ein Warnschuss?
Ich denke schon. Wichtig ist, sich nicht innenpolitisch auf Kosten Europas zu positionieren. Die Gespräche haben auch gezeigt, dass unser föderales System, in dem die Länder über den Bundesrat Einfluss auf die Bundespolitik nehmen, große Vorteile hat. Es sorgt für Stabilität und relativ ausgeglichene Lebensverhältnisse.