Dirigent Martin Künstner und sein Orchester um Konzertmeisterin Sibylle Kistermann (vorne) sind selbst fasziniert nach dem grandiosen Solo-Spiel von Simon Zhu bei Beethovens Violinkonzert d-Dur in der Ebinger Festhalle. Foto: Karina Eyrich

Ob die Stadt Simon Zhu noch einmal erlauben sollte, in der Festhalle Ebingen zu spielen? Deren Statik hatte am Sonntagabend donnernden Applaus zu verkraften, die Gäste des Ebinger Kammerorchesters und seines Solisten dafür viel zu genießen.

Als eines der schönsten Werke für Geige überhaupt gilt Ludwig van Beethovens Violinkonzert in d-Dur. Simon Zhu, der aus Burladingen stammt, bei Ana Chumachenco in München studiert, weltweit auftritt und Wettbewerbe gewinnt wie seine Altersgenossen Videospiele, hatte somit die bestmögliche Chancen, seine Klasse auszuspielen – getragen von einem Ebinger Kammerorchester in Bestform sowie Bläsern der Württembergischen Philharmonie Reutlingen und dirigiert von einem bestens gelaunten Martin Künstner. Er hatte allen Grund dazu.

 

Wohl jeder in der Festhalle, die bis zur Grenze des Erlaubten besetzt war, fragte sich, wie Zhu das macht: Auswendig und mit erfrischendem Esprit, viel Fingerspitzengefühl und sicherem Gespür für Tempo und Timing zelebrierte der 23-jährige die unglaublich schnellen Läufe, sprintete mit den Fingern über den Steg bis zum Ansatz – die Melodie erreicht jene Höhen, bei denen der Geiger den Kopf zurückwerfen und aufpassen muss, sich mit dem Bogen nicht ein Auge auszustechen.

Fliegende Finger faszinieren: Simon Zhu ist ein Ausnahmetalent an der Geige – und dennoch ein bodenständiger Mensch. Foto: Eyrich

Bei den zahlreichen Vibrati sprang sein Ringfinger so oft auf den Saiten, dass Zhu seine Geige dreimal hätte kaufen können, hätte er für jede Berührung einen Euro bekommen. Schon technisch und anatomisch verschiebt dieser junge Künstler Grenzen. Stellenweise schweigt das Orchester und er lässt die zarte Melodie alleine dahinschmelzen, stellenweise bereitet das Orchester einen dichten Klangteppich, den Simon Zhu mit seinem Spiel noch mehr veredelt, wobei das Markenzeichen des Ebinger Kammerorchesters – die Harmonie – besonders schön zur Geltung kommt: Die Töne der Streicher um Konzertmeisterin Sibylle Kistermann wirken wie eine natürliche Verlängerung, zuweilen wie der Schatten der Solostimme.

Bei Paganini in seinem Element

Am besten ist er, wenn er nach Herzenslust extemporieren darf, und dazu verschafft er sich bei den Zugaben, die das Publikum mit donnerndem, stehendem, minutenlangem Applaus erbittet, weitere Gelegenheiten: Beim Spiel der 24. Caprice von Niccolo Paganini fliegen die Töne wie Stechmücken durch den Raum, und wohl alle im Saal – vielleicht mit Ausnahme seiner ersten Lehrerin und Mentorin Renate Musat – fragen sich, wie die menschliche Hand, wenngleich ein Wunderwerk, das überhaupt bewältigen kann.

Stehend und minutenlang applaudierten die Zuhörer dem jungen Weltklasse-Geiger und dem Ebinger Kammerorchester, verstärkt durch Bläser der Württembergischen Philharmonie Reutlingen. Foto: Eyrich

Das weichere Andante aus der zweiten Solo-Sonate von Johann Sebastian Bach macht also zweite Zugabe dann aber deutlich, dass die Klasse von Simon Zhu längst nicht nur in perfekter Technik liegt, sondern vor allem an seinem Gefühl für den guten Ton: Musik versteht er mit dem Herzen, fühlt die Schönheit, der er zur Entfaltung verhilft, und genießt es sichtlich, sie zu interpretieren, mehr daraus zu machen als das, was auf dem Notenblatt steht, das er selbst gar nicht braucht. Welch ein wunderbarer Künstler ist aus dem schüchternen Jungen geworden, der einst an der Musik- und Kunstschule Albstadt das Geigenspiel erlernt hat.

War in Bestform: Das Ebinger Kammerorchester spielte im zweiten Teil die „Eroica“ Foto: Eyrich

Dass es Martin Künstner und seinem Orchester nach solch einem Konzert gelingt, im zweiten Teil das Niveau zu halten, spricht für die Qualität des Ebinger Kammerorchesters und seiner Bläser-Gäste. Beethovens Sinfonie Nr. 3 in es-Dur, bekannt als „Eroica“, servieren sie als Feuerwerk, mit Verve und Temperament – heroisch eben, so wie es sich Beethoven einst für Napoleon Bonaparte, dem die Sinfonie anfangs gewidmet war, ausgedacht hatte. Für solche Konzerte muss man sonst in Hauptstädte reisen.