E-Sport: Früher wollte er Profi-Kicker werden. Heute spielt Timo Siep für den VfL Wolfsburg – an der Konsole.
Timo zockt jeden Tag Videospiele. Ein Bundesliga-Verein bezahlt ihn dafür. Warum stellen immer mehr Fußballclubs professionelle Gamer ein? Und wie lebt es sich als Vollzeit-E-Sportler? Ein Star der Szene erzählt von seinem Alltag.
Dortmund. Timo Siep sitzt vorgebeugt auf einem Sessel, nur seine Daumen bewegen sich. Sein Gegner sitzt neben ihm. Beide halten ihre Controller in den Händen, drücken Tasten. Ihr Puls rast und auf den Monitoren vor ihnen schießen virtuelle Fußballer Tore. Es geht um 25 .000 Euro Preisgeld und den Meistertitel in der Virtuellen Fußball-Bundesliga. Der Sportsender Sport1 streamt das Match aus dem Deutschen Fußballmuseum in Dortmund live.
Timo möchte unbedingt gewinnen – für sich selbst, seine Fans und für seinen Arbeitgeber, den Fußball-Bundesligisten VfL Wolfsburg. Der zahlt dem 20-jährigen Kölner jeden Monat einige Tausend Euro, damit er trainieren kann.
Wie Wolfsburg haben in den vergangenen zwei Jahren immer mehr Fußballclubs Profi-Gamer unter Vertrag genommen: Schalke, Stuttgart, Leipzig, Bochum, Nürnberg, Bayer Leverkusen, Hertha BSC, Köln. Sie alle wollen im digitalen Topsport Geld verdienen.
Millionen Menschen weltweit schauen sich die Spiele an
Rund um den Globus verfolgen Millionen Menschen die Turniere von E-Sportlern im Netz oder in Stadien. Gespielt werden außer Fifa auch League of Legends, Counter-Strike oder Dota 2. Auch die weltweiten Umsätze der E-Sport-Branche wachsen: Von 325 Millionen Dollar (rund 280 Millionen Euro) 2015 auf fast 655 Millionen Dollar 2017, wie das internationale Marktforschungsinstitut Newzoo schätzt.
Vor dem Hintergrund dieses Booms springen viele Vereine auf den E-Sport-Zug auf. Bei Wolfsburg kümmert sich Christopher Schielke um das Thema: "Es ist heute schwierig, junge Leute ausschließlich über den klassischen Sport zu erreichen", sagt er. "Wir hoffen, dass E-Sport langfristig unser Kerngeschäft des Fußballs unterstützt."
Wolfsburg bezahlt neben Timo noch zwei weitere Gaming-Profis – sowie Manager und Betreuer. Außerdem fördert der Verein drei Nachwuchsspieler, die er in Casting-Turnieren ausgewählt hat. In einer sogenannten Gaming-Akademie neben dem Stadion sollen sie geschult werden. Andere Clubs investieren weniger: Sie lassen zum Beispiel Studenten in ihren Trikots zocken. Und Hertha BSC bildet vorerst nur Jugendliche zu Profis aus.
Timo Siep überträgt jede Woche mehrere Stunden seines Trainings und seine Online-Wettkämpfe ins Internet. Früher wollte er Profi-Kicker werden. Aber diesen Traum hat er aufgegeben, nachdem er sich beim Bolzen den Arm gebrochen hatte. Heute findet er: "Ich habe den zweitbesten Job der Welt – besser wäre nur echter Fußballer zu sein."
Das Gamingfieber packte Timo bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Von seinen Eltern hatte er sich danach sein erstes Fifa-Spiel gewünscht. "Manchmal habe ich so viel gespielt, dass meine Eltern die Playstation versteckten", erinnert er sich. Dann nahm ihm ein Freund mit zu einem Turnier. Dort gewann er gleich eine Spielekonsole.
Im Gymnasium zockte Timo dann jedes Wochenende Online-Turniere, bei denen der Gewinner 100 Euro kassierte. "Andere gehen halt kellnern", lacht er. Mit 17 wurde er zum ersten Mal deutscher Meister, brachte einen großen silbernen Pokal und 800 Euro nach Hause. "Papa war stolz und hat sofort Fotos in den Familienchat geschickt", blickt er zurück.
Das Mathe-Abitur verschiebt Timo wegen eines großen Turniers
Kurz nach seinem 18. Geburtstag unterschrieb er das Angebot der Agentur Stark eSports. Seine Agentur vermittelte ihn schließlich an den VfL. Seine Schule konnte Timo überzeugen, dass er statt des Mathe-Abis ein großes Turnier spielen und die Klausur nachholen durfte.
Der Deutsche Fußball-Bund DFB lehnte E-Sport lange ab. Inzwischen möchte aber auch Präsident Reinhard Grindel "fußballbezogene Spiele" zumindest unterstützen. Sportmanagement-Professor Sascha L. Schmidt von der Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf geht davon aus, dass schon jeder zehnte Deutsche mindestens einmal pro Woche E-Sports verfolgt oder selbst als Spieler unterwegs ist.
Hierzulande konzentrieren sich Vereine wie Wolfsburg und Leipzig ganz im Sinne des DFB auf virtuelle Fußballer. Schalke hingegen beschäftigt neben zwei Fifa-Profis und zwei Gamern einer anderen Fußball-Simulation auch ein Team des Spiels League of Legends. Dort ist mehr Geld im Spiel als bei Fifa. Schalkes E-Sport-Chef Tim Reichert sagt dazu: "Uns ist egal, ob unsere Fans Fußball oder nur E-Sport mögen – wir schätzen sie alle gleich." Das Geld für Fanartikel nimmt der Club von beiden gerne.
Schalke 04 hat für die fünf eigenen League-of-Legends-Spieler ein Haus in Berlin, in dem sie mit zwei Trainern und einem Koch leben. Sechs Stunden pro Tag üben die Spieler dort und analysieren ihre Leistung. Um ihre Konzentration zu steigern und weil sie so viel sitzen, müssen sie jede Woche fünf Stunden ins Fitnesscenter.
In Dortmund reicht es für Timo nicht zu einem Sieg. Er muss sich seinem Gegner von RB Leipzig geschlagen geben. Timo sendet eine Instagram-Story an die Fans. Trauriges Gesicht, Kapuze des schwarzen VfL-Pullis über dem Kopf. Sein Manager sagt: "Heute darf er traurig sein. Morgen muss er das Spiel analysieren und daraus lernen."