Als Schulfremde legt die 22-jährige Sandrina Klemm aus Stetten am Meßstetter Gymnasium ihre Abiturprüfung ab
Von Christoph Holbein
Meßstetten/Stetten a. k. M.. Ihr erster Kommentar, als sie nach Hause kam, war: "An diesem Gymnasium würde ich gerne Lehrer sein und unterrichten." Auf dem Weg zu ihrem Traum absolviert Sandrina Klemm derzeit ihr Abitur in Meßstetten – als Schulfremde.
"Durchhaltevermögen muss man mitbringen, um das Abitur auf diese Weise zu bewerkstelligen," hat die 22-jährige alleinerziehende Mutter aus Stetten am kalten Markt erfahren.
Während ihre dreijährige Tochter in den Kindergarten geht, oder ihre Mutter als Oma und Patentante in Personalunion auf das Mädchen aufpasst, büffelt die Groß- und Außenhandelskauffrau oder absolviert ihre Prüfungen – immer mit dabei ist der Füller, den ihr die Mama zum 22. Geburtstag geschenkt hat: "Das ist mein Glücksfüller, mit dem habe ich alle meine Abiturprüfungen geschrieben." Auch die Nachprüfung in Englisch, die sie machen musste, weil sie beim regulären Termin krank war, und bei der ihr Schulleiter Oswin Angst Süßigkeiten und Kaffee anbot und auf dem Gang lärmende und zu laut laufende Schüler zur Ruhe ermahnte.
"Das Gymnasium Meßstetten hat nette Lehrer und die Schule gefällt mir", lautet deshalb nicht von ungefähr ihr Urteil. Zumal die Meßstetter Lehrer sie über zwei Jahre hinweg komplett freiwillig bis zu den Abi-Klausuren und mündlichen Tests begleitet und betreut haben. "Ich war ständig per E- Mail mit den Lehrern in Kontakt und habe mich gut aufgehoben gefühlt."
Nach dem Hauptschulabschluss erlernte Sandrina Klemm ihren Beruf, wurde im dritten Lehrjahr schwanger, begann zu arbeiten und startete ein Fernstudium, um über die mittlere Reife das Abitur nachzuholen. "Ich will für das Lehramt an Gymnasien Geschichte und ein weiteres Fach studieren, dafür benötige ich das Abitur." Ihren ursprünglichen Plan, Sportjournalistin zu werden, hat die begeisterte Anhängerin des VfB Stuttgart erst einmal auf Eis gelegt.
Dass sie erst jetzt als 22-jährige die allgemeine Hochschulreife absolviert, sieht sie nicht als zu spät an: "Ich habe nichts verloren und ich habe eine Berufsausbildung, die ich als sehr wichtig und wertvoll einstufe." Unterstützung fand sie dabei beim katholischen Kindergarten in Stetten, der es ermöglichte, dass ihre Tochter schon mit zweieinhalb Jahren aufgenommen wurde. "Damit gewann ich die notwendige Zeit für das intensive Lernen."
Als sie eine Anzeige zur Schulfremdenprüfung las, sattelte sie um, machte ihre Mittlere Reife an der Realschule in Mengen, meldete sich für das Abitur an und fand im Gymnasium Meßstetten eine "sehr kooperative" Schule. "Ich durfte schon ein Jahr vorher kommen, Bücher ausleihen und Klausuren mitschreiben." Wichtig vor allem für die 22-Jährige war, die einzelnen Lehrer der Fächer persönlich kennenzulernen und bei Fragen Ansprechpartner zu haben. Nach den schriftlichen Prüfungen ist ihr Gefühl "ganz gut". Jetzt stehen die acht mündlichen Prüfungen an – jeweils zwei an einem Tag: am 7. und 8. sowie am 28. und 29. Juni. "Da gehe ich gut vorbereitet durch."
Ihren Schritt hat sie nie bereut. Nach dem Abitur macht sie erst einmal ein halbes Jahr Pause: Baby-Pause, denn sie ist erneut im sechsten Monat schwanger. Und im Frühjahr 2011 soll das Studium beginnen, "hoffentlich in Tübingen, damit ich abends heimkommen kann". Es ist alles durchgeplant und die Familie hilft.
(hol). Wer einen Schulabschluss nachholen möchte, hat die Möglichkeit, dies über eine Schulfremdenprüfung zu machen. In Baden-Württemberg ist dies für alle staatlichen Abschlüsse möglich. Da das Zeugnis der Schulfremdenprüfung ausschließlich die Prüfungsergebnisse beinhaltet, müssen Schulfremde auch in Fächern Prüfungen ablegen, in denen Schüler staatlicher Schulen keine Prüfung absolvieren müssen. Für die Allgemeine Hochschulreife in Baden-Württemberg bedeutet das für den Bewerber schriftliche Prüfungen in den Fächern Mathematik, Deutsch, erste Fremdsprache und Geschichte sowie mündliche Tests in den schriftlichen Fächern und zusätzlich in der zweiten Fremdsprache, in Naturwissenschaft (Biologie, Chemie oder Physik) und in Gemeinschaftskunde. Das Abitur für Nichtschüler, auch "Begabtenabitur" ist eine Prüfung, die, wenn bestanden, ohne vorangegangenen Besuch einer gymnasialen Oberstufe zum Hochschulbesuch berechtigt.
(hol). "Wer das Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife erwerben will, ohne Schüler eines öffentlichen oder staatlich anerkannten privaten Gymnasiums zu sein, kann die Abiturprüfung als außerordentlicher Teilnehmer (Schulfremder) ablegen." So steht es im Informationsblatt des baden-württembergischen Kultusministeriums. Das findet einmal jährlich zusammen mit der Abiturprüfung an öffentlichen Gymnasien statt.
Zur Prüfung zugelassen wird, "wer bis zum 31. Juli des auf den Meldetermin folgenden Jahres das 19. Lebensjahr vollendet hat, wem nicht bereits zweimal die Zuerkennung der allgemeinen oder fachgebundenen Hochschulreife versagt worden ist, wer nicht bereits anderweitig das Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife erworben hat, wer in dem der Prüfung vorausgehenden Jahr nicht Schüler eines öffentlichen oder eines staatlich anerkannten privaten Gymnasiums war."
Der Kandidat muss in der Regel seinen ständigen Wohnsitz in Baden-Württemberg oder sich an einem staatlich genehmigten privaten Gymnasium oder an einer sonstigen Unterrichtseinrichtung in Baden-Württemberg auf die Abiturprüfung für Schulfremde vorbereitet haben. Dabei muss der Bewerber nicht einmal eine abgeschlossene Prüfung an der Hauptschule vorweisen, wie Carina Olnhoff betont, Pressereferentin im baden-württembergischen Kultusministeriums.
Er hat jedoch in seiner Meldung an das zuständige Regierungspräsidium neben anderem seine "Bildungsbiografie" darzulegen und nachzuweisen, wie er sich auf die Prüfung vorbereitet. Einmal darf er diese Prüfung wiederholen. Die Schulpflicht kann der Bewerber damit nicht umgehen, die muss er nach den gesetzlichen Vorgaben erfüllt haben. In Baden-Württemberg heißt das, die Grundschule abzuschließen und fünf Jahre eine weiterführende Schule zu besuchen. Zusätzlich besteht Berufsschulpflicht für drei Jahre oder bis zum 18. Lebensjahr, wenn nicht eine weiterführende Schule absolviert wird.
Dagegen gibt es für die Schulfremdenprüfung keine Altersbeschränkung nach oben. Die Vorbereitung des Bewerbers ist nicht im Detail geregelt.