Eine junge Frau wird von den Einwohnern einer Stadt als Hexe beschuldigt und soll von den Beauftragten des Gerichtes abgeführt werden (um 1800). Foto: Imago/H. Tschanz-Hofmann

Dem Hexenwahn fielen in Europa Zehntausende Menschen zum Opfer, vor allem Frauen. Ermöglicht wurde das durch den Buchdruck, so eine Studie. Ein Handbuch spielte demnach eine entscheidende Rolle – der „Hexenhammer“.

Die Erfindung des modernen Buchdrucks im 15. Jahrhundert gilt als Meilenstein in der Menschheitsgeschichte und als wichtiger Faktor der beginnenden Neuzeit. Doch die Neuerung hatte auch eine dunkle Seite, wie ein Forscherteam um die Soziologin Kerice Doten-Snitker vom Santa Fe Institute (US-Bundesstaat New Mexico) im Fachjournal „Theory and Society“ berichtet.

 

Niemand war vor den Hexenjägern sicher

Demnach trugen der Buchdruck und die dadurch mögliche weite Verbreitung von Ideen maßgeblich dazu bei, dass sich die Hexenverfolgung in Europa ausbreitete.

Nach heutigen Schätzungen fielen dem Hexenwahn von 1450 bis 1750 bis zu 60.000 Frauen, Männer, sogar Kinder zum Opfer, fast die Hälfte davon in Deutschland. Die genauen historischen und gesellschaftlichen Gründe dafür sind laut Historiker komplex und geben bis heute teilweise noch Rätsel auf.

Hexenverbrennung im Mittelalter: Drei Frauen sterben qualvoll auf dem brennenden Scheiterhaufen (historischer Stich von 1883). Foto: Imago/H.Tschanz-Hofmann

Wer waren Hexen?

Die Alte, die Zauberin, die Magierin: Es gibt einige Synonyme für Hexe, die wohl stets eine Wissende war, mit Kräutern heilen und vielleicht nicht hellsehen, aber doch Zusammenhänge deuten konnte. Wissen aber beanspruchte einzig und allein der Klerus für sich. Deshalb wurden wissende Frauen als Hexen dämonisiert und verfolgt.

Der Glaube an Zauberei war auch in den Jahrhunderten davor weitverbreitet, doch verschiedene Faktoren trugen dazu bei, dass die Gewalt gegen vermeintliche – vor allem, aber nicht ausschließlich weibliche – Hexen eskalierte.

Folter einer Hexe beim „hochnotpeinlichen Verhör“: Ihre Hände werden zwischen Keilen gequetscht. Eine weitere Frau ist im Streckbrett gefangen (um 1700). Foto: Imago/H.Tschanz-Hofmann

„Malleus maleficarum“: Die Bedeutung des „Hexenhammers“

Die Soziologin Kerice Doten-Snitker fand zusammen mit zwei Kollegen Hinweise darauf, was zu den Pogromen beigetragen haben könnte: Die Verbreitung des Buches „Malleus maleficarum“ des „Hexenhammers“, und ähnlicher Bücher könnte die Hexenverfolgung im Mitteleuropa der frühen Neuzeit angefacht haben.

„Malleus maleficarum“ war ein Werk des deutschen Dominikaners, Theologen und Inquisitors Heinrich Kramer (latinisiert Henricus Institoris, 1430-1505)), das die Hexenverfolgung legitimierte und wesentlich förderte. Das 1486 erstmals in Speyer gedruckte Buch erschien bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in rund 30.000 Exemplaren und 29 Auflagen.

Der „Hexenhammer“ gilt als eines der verheerendsten Bücher der Weltliteratur und brachte Zehntausenden von Menschen den Tod. Er war ein mächtiges Instrument für die Inquisitoren, um die Hexenverfolgungen durch den Papst zu legitimieren und als Anleitung zur Überführung und Verurteilung von vermeintlichen Hexen.

„Malleus maleficarum“ war ein Werk des deutschen Dominikaners, Theologen und Inquisitors Heinrich Kramer , das die Hexenverfolgung legitimierte und wesentlich förderte. Foto: Imago/United Archives
Der „Hexenhammer“ in einer Ausgabe von 1511: Das 1486 erstmals in Speyer gedruckte Buch erschien bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in rund 30.000 Exemplaren und 29 Auflagen. Foto: Imago/epd

Mit dieser und anderen Schriften konnten sich die Ideen zur strafrechtlichen Verfolgung von Hexen und die religiös motivierten Hintergründe dazu verbreiten. Dies war möglich, da sich zu dieser Zeit mit dem aufkommenden Buchdruck das Buch als Medium etablieren konnte.

Was die Hexenlehre umfasste

Mit dem Hexenflug und Teufelspakt, der Teufelsbuhlschaft und dem Schadenzauber gehört der Hexensabbat zu den fünf Hauptelementen der Hexenlehre, die sich um das Jahr 1430 zuerst in der Westschweiz auszuformen begann und sich dann in ganz Europa rasant ausbreitete.

Diese Elemente bildeten im 16. und 17. Jahrhundert auch die häufigsten Anklagepunkte in den meist von weltlichen Gerichten durchgeführten Hexenprozessen, die in der Regel für die Angeklagten tödlich endeten.

Im „Malleus Maleficarum“ – „Der Hexenhammer“ – heißt es: „Hairesis maxima est opera maleficarum non credere” – „Es ist eine sehr große Häresie, nicht an das Wirken von Hexen zu glauben.“

Hexensabbat: Stich von Hans Baldun um 1510. Foto: Imago/piemags

Warum eskalierte die Gewalt gegen Frauen im 15. Jahrhundert?

Neben der Verbreitung des „Hexenhammers“ und ähnlicher Schriften untersuchten die Forscher mittels Netzwerkanalysen auch, welche Rolle die sozialen Einflüsse zwischen Städten bei der Verbreitung von Hexenverfolgung spielten. Sie zeigten, dass Städte wahrscheinlicher Hexenprozesse durchführten, wenn es ihre Nachbarn davor auch getan hatten.

Der Glaube an Hexerei und Zauberei existierte zu Beginn des 15. Jahrhunderts schon seit langem. Die systematische und vor allem strafrechtliche Hexenverfolgung trat aber ziemlich abrupt auf.

Pranger, Folterung von Verbrechern und angeblichen Hexen, um 1800, Frankreich. Foto: Imago/H.Tschanz-Hofmann
Flugblatt mit der Verbrennung einer angeblichen Hexe, die 1531 mit dem Teufel die Stadt Schiltach in Baden-Württemberg verbrannt haben soll. Foto: Imago/H.Tschanz-Hofmann

Vorkommnisse in 553 europäischen Städten untersucht

Wie sich Ideen in und zwischen Gesellschaften verbreiten, ist ein zentrales Forschungsgebiet in den Sozialwissenschaften. In den letzten Jahrzehnten und nicht zuletzt dank vermehrter Rechenleistung und größerer Datensätze wenden Forscher auch quantitative Methoden an, insbesondere aus der Netzwerktheorie.

Die Forscher nutzen solche Netzwerke, um sowohl die Verbreitung von Hexenprozessen in den Städten und Orten Zentraleuropas in der frühen Neuzeit als auch die Verbreitung des „Hexenhammers“ und ähnlicher Schriften zur Anleitung von Hexenverfolgung zu modellieren.

Insgesamt untersuchten sie 553 Städte, deren Verteilung vom heutigen Norditalien bis zu den Küsten der Nord- und Ostsee reichte. In einem Drittel davon fanden im untersuchten Zeitraum von 1400 bis 1679 Hexenprozesse statt.

Hexenverbrennung von Menschen die am Galgen hängen, um 1613 in Roermond in Holland. Foto: Imago/H.Tschanz-Hofmann

Was den Hexenwahn förderte

  • Dazu nahmen die Wissenschaftler auch die Verbreitung von Anleitungen zur Hexenverfolgung – mit dem „Hexenhammer“ als prominentes Beispiel – in ihr Modell auf und ebenso, wo sich in diesem Zeitraum Druckpressen zur Herstellung von Büchern befanden.
  • Zusätzlich zogen sie weitere gesellschaftliche Einflüsse und Umweltbedingungen in Betracht. Den Einfluss von Städten aufeinander berechneten sie, indem sie die Distanz der Städte und deren Verbindungen durch Handelswegen im Handelsnetzwerk der Region berücksichtigten.
  • Religiös-konfessionelle Konflikte, insbesondere zwischen Katholizismus und Protestantismus, könnten auch zu vermehrten Anschuldigungen der Hexerei geführt haben. Diesen Faktor untersuchten die Forscher, indem sie die religiös motivierten Schlachten in der Nähe der Städte zählten.
  • Das Auftreten von Missernten modellierten sie durch historische Klimamodelle, die ihnen Auskunft über Abweichungen von der Durchschnittstemperatur und dem üblichen Niederschlag gaben. Sie nahmen an, dass Missernten bei extremen Wetterschwankungen gehäuft auftraten.
Die 30-jährige Anna Vögtlin aus Bischoffingen im Breisgau wird am 23. Mai 1447 vor den Mauern von Willisau als angebliche Hexe verbrannt, da sie geweihte Hostien aus der Kirche in Ettiswil gestohlen haben soll. Foto: Imago/H.Tschanz-Hofmann

Buchdruck führte zur raschen Verbreitung der Hexen-Ideologie

von Doten-Snitker und ihre Kollegen fanden einen statistischen Zusammenhang zwischen der Verbreitung des „Hexenhammers“ und der Anzahl der Hexenprozesse in zentraleuropäischen Städten.

Der damalige Buchdruck erlaubte es, dass sich die religiösen Ideen hinter der Hexenverfolgung und deren Übersetzung in Strafrecht aus kleinen Gelehrtenzirkeln weiter verbreiten konnten. Diese Art von Schriften gab den lokalen Verantwortlichen eine Anleitung, wie sie mit den verdächtigten Hexen in ihrer Stadt umgehen sollten.

Die Untersuchung einer Frau auf Zeichen von Hexerei im Mittelalter. Die Frauen haben eine junge Fremde als Hexe denunziert und zeigen dem Richter angebliche Hexenmale, Gemälde von Tompkins Matteson Foto: Imago9/H.Tschanz-Hofmann

Städte als Keimzellen des Terrors gegen Frauen

Außerdem fanden die Forscher heraus, dass Städte, deren Nachbarn schon Hexenprozesse durchgeführt hatten, selbst diese Art der Verfolgung mit erhöhter Wahrscheinlichkeit anstrebten.

„Städte fällten diese Entscheidungen nicht alleine“, erklärt Doten-Snitker. „Sie beobachteten, was ihre Nachbarn taten, und lernten von diesen Beispielen. Die Kombination aus neuen Ideen aus Büchern und dem Einfluss von Prozessen in der Nähe schuf die perfekten Bedingungen für die Ausbreitung dieser Verfolgungen.“