Unser Autor Lucas Radermacher lehnt sich an den DSDS-Bus mit Dieter Bohlens Konterfei hinter der Windschutzscheibe. Foto: Piechowski

Selbstversuch im Casting-Truck von "Deutschland sucht den Superstar" auf dem Kronprinzplatz.

Stuttgart - Dreieinhalb Stunden in der prallen Sonne. Dreieinhalb Stunden Warmsingen. Nassgeschwitzt und heiser komme ich endlich an die Reihe im Casting-Truck - und dann ist nach einer knappen Minute alles vorbei. Ich bin kein Superstar.

"Seid ihr schon 16?", fragt ein Mann vom Sicherheitsdienst. Für meinen Teil kann ich das gewissenhaft bestätigen, die zwei Mädchen neben mir müssen umkehren, bevor es überhaupt angefangen hat. "Tut mir leid, kommt nach eurem 16. Geburtstag wieder". Enttäuscht drehen sie ab.

Dabei könnten sie froh sein. Das stundenlage Warten in der prallen Sonne und die Enttäuschung, nach nur wenigen Sekunden wieder gehen zu müssen, bleibt ihnen jetzt erspart. Noch ahne ich davon nichts. Wild entschlossen nehme ich meine erste Hürde auf dem Weg zum Superstar. "Ich brauche hier noch eine Unterschrift", sagt die junge Frau am Check-In-Schalter. Ganz nebenbei lasse ich am Eingang sämtliche persönlichen Rechte hinter mir. Ein gutes Gefühl habe ich nicht, aber Deutschlands neuer Superstar wird man eben nicht einfach so - hier setzen alle alles auf eine Karte.

Abgefahrene Frisuren und gequetschte Dekolletés so weit das Auge reicht

Neben mir steht Alisa. Für die 18-jährige Schülerin aus Vaihingen ist dieser Casting-Zirkus nichts Neues. "Ich war letztes Jahr schon dabei und habe es sogar bis in den Recall geschafft", erzählt sie stolz. Als sie dann aber vor der gefürchteten Bohlen-Jury singen musste, habe sie total "verkackt". "Jetzt bin ich besser geworden und habe auch noch Gitarre gelernt!"

Heute muss Alisa ihr Können nicht vor Dieter Bohlen, sondern nur vor RTL-Musikredakteuren und der Produktionsfirma beweisen. Unabhängig von ihrer Leistung ist für die Jury schon jetzt klar: Ein paar gute Sänger, ein paar schlechte, ein paar völlig unfähig und ernsthaft debil wirkende Kandidaten werden die nächste Runde erreichen. So geht das Spiel.

Auf dem Stuttgarter Kronprinzplatz habe ich 500 Mitstreiter. Zu viele, um eine Runde weiter zu kommen? Hip-Hopper, aufgetakelte Bräute, Rocker, Jammerlappen, abgefahrene Frisuren, gequetschte Dekolletés und Schminke so weit das Auge reicht. Bestimmt haben sie fleißig ihre Songs geübt. Ich nicht. Um ehrlich zu sein, lagen zwischen meinem Entschluss und meinem großen Auftritt nur ein paar Stunden. Die Wahl des Songs - reiner Zufall: Das erste Lied im Radio soll es sein. So fiel die Wahl auf "Granade" von Bruno Mars. Kann man damit einen Blumentopf gewinnen? Egal, im Moment will ich meine Gesangs-Einlage nur schnell über die Bühne bringen. Doch die Warteschlange ist extrem lang. Mein Leidensweg auch.

"Ey Leute, Hammer schwer da drin"

Einer kann es kaum noch aushalten und gibt im Xavier-Naidoo-Stil schon mal eine Kostprobe: "Dieser Weg wird kein leichter sein...." Gequält presst der Superstar-Anwärter die ersten Zeilen unter seinem Hut hervor. Von den Umstehenden gibt es Beifall und Tipps. Kein Konkurrenzdenken. Auf den letzen Metern spricht man Mut zu und hilft sich gegenseitig. Das animiert mich, noch einmal an meinem Song zu feilen. Um den frisch ins Gedächtnis gepressten Songtext nicht zu vergessen, bemühe ich meinen mp3-Player und summe leise vor mich hin.

Ständig strömen kleine Gruppen in den Truck - und kurz danach aus der Höhle des Löwen wieder raus. Glücklich sehen die meisten nicht aus. Andere, wie der 16-jährige Panagiotis aus Bad Cannstatt, strahlen über beide Ohren. Er hat es geschafft und ist eine Runde weiter. Er muntert uns Wartende auf: "Ey Leute, Hammer schwer da drin. Aber einfach locker bleiben!"

Nach dreieinhalb Stunden in der sengenden Sonne fühle ich mich miserabel. Kopf und Füße schmerzen. Schlappmachen auf den letzen Metern kommt aber nicht in Frage. Eine Teamleiterin mit cooler Sonnenbrille teilt uns in Vierergruppen ein und gibt letzte Instruktionen: "Drinnen stellt ihr euch kurz vor. Das Wichtigste: Wenn die Jury sagt, dass ihr raus seid, wird nicht diskutiert. Für Nachfragen haben wir keine Zeit!" OK, nach Spaß klingt das nicht gerade, zurück geht es jetzt aber nicht mehr.

Ich bin wohl keine Granate

Wir sind drin. Im Truck ist es noch heißer. Ich weiß, dass ich nichts verlieren kann, trotzdem habe ich ein flaues Gefühl im Magen. Lächerlich! Der 20-jährige Eren macht den Anfang und interpretiert "Killing me softly". Wahnsinn, was für eine Stimme! Was mach ich noch hier? Das flaue Gefühl wird dadurch nicht besser.

Gekniffen wird nicht! Brav stelle ich mich an die vorgegebene Markierung. "OK Lucas, dann leg mal los", fordert mich die Produzentin auf. Teilnahmslos stochert sie mit Stäbchen in ihrer China-Box. Einatmen. Ausatmen. Der erste Ton, er sitzt. Damit habe ich nicht gerechnet. Verwundert singe ich weiter. In der zweiten Zeile muss ich auf meinen Spickzettel schielen. Darunter leidet die Intonation. Keine Reaktion von der Jury, ich mache weiter.

Eine halbe Minute später kommt der Refrain. "I'd catch a grenade for ya ..." So langsam komme ich rein, es macht Spaß. "Alles klar, vielen Dank!", unterbricht mich die Produzentin. Ich bin wohl keine Granate. Ich muss raus. Am Ende reicht es für keinen von uns. Auch nicht für Alisa. Doch ich bin froh - es ist vorbei!