Betrüger setzen Opfer mit falschen Identitäten und einer Flut von Anrufen unter Druck. Foto: dpa

Wer ins Visier von Drückerkolonnen am Telefon gerät, dem droht der tägliche Terror. Unter mittlerweile 30 Rufnummern wird eine Stuttgarterin bedroht und zu Zahlungen aufgefordert. Die Betrüger missbrauchen sogar die Nummer des Amtsgerichts Stuttgart.

Stuttgart - „Sie bekommen keine Ruhe mehr!“ – „Sie haben die Arschkarte gezogen!“ – „Wir werden Ihnen den Strom sperren!“ – „Sie kriegen morgen einen richterlichen Beschluss!“ – „Wir haben auch Waffen!“ Der tägliche Terror am Telefon. Dabei hatte die Betroffene eigentlich alles richtig gemacht: Die 59-jährige Stuttgarterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, hat die falschen Gewinnversprechungen am Telefon zurückgewiesen, hat einen Anwalt eingeschaltet und vermeintliche Bestellungen schriftlich widerrufen, hat die Polizei eingeschaltet. „Doch diese Anrufe hören nicht auf“, klagt sie. Sie hat alle Nummern auf der Telefonanzeige aufgeschrieben: Inzwischen sind es 30 verschiedene.

Und die Polizei ermittelt weitgehend ins Leere. Schlimmer noch: Die Hintermänner der Telefonzentralen fühlen sich so sicher, dass sie dreist die Telefonnummern von Behörden verwenden. So erscheint inzwischen die Rufnummer 07 11 / 921 - 35 67 an der Telefonanzeige der Opfer. Es handelt sich um die Nummer des Mahngerichts Stuttgart. „Wir haben schon Anzeige erstattet“, sagt Till Jakob, Vizepräsident des Amtsgerichts, „aber es gibt keinen vernünftigen Ermittlungsansatz.“ Im Zeitalter der Internettelefonie ist es ein Kinderspiel, mit sogar kostenlosen Computerprogrammen die Rufnummern zu manipulieren.

Beim Amtsgericht meldet sich eine Flut besorgter Betroffener. „Die Mitarbeiter haben oft psychologische Dienste zu leisten“, sagt Sprecherin Doris Greiner. Seit letztem Jahr gebe es „zahlreiche Fälle“. Dabei läuft bei einem Mahngericht alles schriftlich ab: „Wir telefonieren nicht dem Geld hinterher“, betont Vizepräsident Jakob.

Eigenes Dezernat gegründet

Der Leidensweg der 59-Jährigen begann mit einem Anruf einer angeblichen Margot Grünwald von der Firma Sofortrente plus. Die Stuttgarterin habe an einem Gewinnspiel teilgenommen, heißt es, ob sie weiterspielen oder aufhören wolle. Auf alle Fälle aber seien 99 Euro fällig. Die 59-Jährige lehnt ab, verbittet sich weitere Anrufe. Frau Grünwald vermittelt zu einer Kollegin, die für 99,90 Euro Anrufabwehrboxen gegen unerwünschte Anrufe verkauft. Die 59-Jährige lehnt das zwar ab. Doch Tage später kommt tatsächlich ein Päckchen, von einer Firma aus Duisburg.

Als die Stuttgarterin die Annahme verweigert, folgt eine Zahlungserinnerung einer Firma aus Krefeld. Sie schaltet einen Anwalt ein, der per Einschreiben mit Rückschein auf den Widerruf seiner Mandantin verweist. Das Schreiben kommt als unzustellbar zurück. Hinter den verschiedenen Firmennamen dürfte eine Marketingfirma stecken, die in Duisburg gegründet wurde, nun in Krefeld residiert. Geschäftszweck laut Handelsregister: Marketing, Vertrieb und Handel mit nicht genehmigungspflichtigen Waren. Im Schreiben an die Stuttgarterin wird eine veraltete Handelsregisternummer verwendet. Die Adresse ist falsch.

Duisburg? Krefeld? Die Spur führt in eine Hochburg der Telefonabzocke. Die Kripo Duisburg hat ihre Erfahrungen in der sogenannten Callcenterbranche. „Es gibt hier eine sehr umtriebige Firma“, sagt Polizeisprecher Stefan Hausch. Aber nicht nur in Duisburg: Im benachbarten Krefeld hat die dortige Staatsanwaltschaft inzwischen ein eigenes Dezernat gegründet, um gegen das dortige Geflecht der Abzocker vorzugehen. Die Hintermänner verkaufen die Adressen der Geschädigten untereinander weiter – so kommt es zu immer neuen Anruflawinen.

Hintertürchen bleiben offen

„Die Instrumente der staatlichen Strafverfolgung sind offenbar wirkungslos“, wertet Eckhard Benner von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg den Fall, „der Verbraucher ist auf sich selbst zurückgeworfen.“ Auch das seit 2009 verschärfte Gesetz zur Bekämpfung unlauterer Telefonwerbung, das derzeit vom Bundesjustizministerium ein weiteres Mal überarbeitet wird, greife zu kurz. Hintertürchen bleiben offen. „Politik und Strafverfolgung müssen weitere Lösungen suchen“, fordert Benner.

Die 59-jährige Stuttgarterin will vor allem eines: Ruhe. Dass sie ihre Rufnummer ändern soll, wie die Polizei ihr empfohlen hat, hält sie für keine gute Lösung. „Irgendwann kriegen die Täter auch die neue Nummer raus“, fürchtet sie, „und dann geht alles wieder von vorne los.“