Wie lange kommen bestellte Pakete noch in absehbarer Zeit an? Wie lange landen Waren noch pünktlich im Supermarkt? Oder Sprit bei den Tankstellen? Die Transportunternehmen im Schwarzwald schlagen Alarm. Denn Lkw-Fahrer sind Mangelware.
Die Spedition Fahrner aus Dornstetten mischt seit 100 Jahren - inzwischen europaweit - im Transportgeschäft mit. An 28 Standorten ist das Unternehmen aktiv, seine Lastwagen legen täglich insgesamt 40.000 Kilometer zurück. Damit sollte das Unternehmen keinen schlechten Stand auf dem Arbeitsmarkt haben. Da gibt es nur ein Problem. Kaum jemand möchte noch Fernfahrer werden. Die Not sei groß, klagt der personalverantwortliche Kevin Frey: "Das will in Deutschland zwar noch niemand hören, aber so weit von dem, was nach dem Brexit in Großbritannien passiert ist, sind wir auch nicht mehr entfernt." Woran das liege? "Der Beruf des Fernfahrers ist heute lange nicht mehr so lukrativ wie früher. Und dann sind da noch die völlig überfüllten Autobahnen."
"Die Richtlinien sind zum Teil auch verrückt", meint Frey. Regeln, die den Fernfahrer eigentlich schützen sollen, machten ihm das Leben noch schwerer. "Die Einhaltung von Fahrzeiten ist schön und gut. Aber wenn ein Fahrer vor dem Wochenende auf dem Weg nach Hause wegen ein paar Minuten Stau die Grenze nicht mehr innerhalb seiner Arbeitszeit erreicht, muss er noch einmal übernachten."
Rund 70.000 Fernfahrer fehlen in Deutschland
Mit diesem Problem ist das Dornstetter Unternehmen nicht allein. In Deutschland fehlen aktuell etwa 60.000 bis 80.000 Berufskraftfahrer, teilt Carsten Taucke, Mitglied des BGA-Präsidiums und Vorsitzender des BGA-Verkehrsausschusses, auf Anfrage schriftlich mit. BGA steht für Bundesverband Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen. "Jedes Jahr gehen 30.000 Berufskraftfahrer in Rente. Demgegenüber fehlt es an jungen Menschen, die diesen Beruf ergreifen wollen", schreibt Taucke.
Die ohnehin schon ernste Lage habe sich durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine noch einmal zugespitzt. Viele Fahrer stammten aus der Ukraine und Russland. Sie fielen nun weg.
Stephan Koch, Chef von Steko Transport aus Villingen-Schwenningen sagt: "Man findet einfach keine Leute. Ohne die ausländischen Fahrer sähe es düster aus." Der Personalmangel habe sich in den letzten anderthalb Jahren verstärkt. Das hat seiner Meinung nach jedoch weniger mit den Krisen zu tun, als mit der schlechten Entlohnung und mangelnden Wertschätzung. "Als Arbeitgeber kann man auch nicht immer so zahlen, wie man es gerne würde, wenn die Kundenseite nicht mehr hergibt", erklärt Koch. "Der LKW-Fahrer ist der Dubel der Nation, um das einmal so profan zu sagen. Er ist der Letzte in der Kette. Bis das Produkt im Regal landet, haben sich viele die Taschen gefüllt. Aber sicher nicht derjenige, der sie dorthin gebracht hat."
Gutes Gehalt zahlen reicht heute nicht mehr
Anders ist die Lage bei Spedition und Transportunternehmen Stickel aus Nagold. Ist ein Auftrag abgeschlossen, geht es für die Fahrer zurück nach Nagold. Dort werden die Lastwagen auf dem Firmengelände be- und entladen, getankt, gewaschen und repariert. Das entlaste die Fahrer, sie hätten so nur selten mehrtägige Aufträge vor sich. Und das sei der Grund, warum es der Spedition noch halbwegs gut gehe. "Uns fehlen momentan keine Fahrer", sagt Geschäftsführer Christian Stickel. "Aber nur, weil wir sowohl überdurchschnittlich gut bezahlen als auch sonst alle Register ziehen, um attraktiv zu sein."
"Wir beschäftigen auch nur Mitarbeiter mit Erstwohnsitz in der Region, um ein familiäres Verhältnis zu pflegen. Zudem haben viele Fahrer ihre Regelstrecken, auf denen die Arbeitszeit berechenbar ist." Natürlich gebe es auch zweitägige Fernstrecken. "Aber wir distanzieren uns vom klassischen Fernverkehr, wo der Fahrer erst nach München fährt, dann nahtlos weiter über Frankfurt nach Berlin." Für ihn ist klar: Nur ein gutes Gehalt zahlen, reicht nicht. "Es sind auch die Wertschätzung, der moderne Fuhrpark, die kostenlosen Fortbildungen, Ansprechpartner auf Augenhöhe und die vielen kleinen Extras, die die Fahrer ans Unternehmen binden." Man müsse stetig an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen arbeiten.
"Früher habe ich mich in 80 Prozent meiner Zeit um die Kunden gekümmert, in den anderen 20 Prozent um die Mitarbeiter. Heute ist es umgekehrt", sagt der Geschäftsführer. Trotz allem ist auch Stickel immer auf der Suche nach Fahrern. "Auch wir arbeiten natürlich auf Messers Schneide. Wenn ein Fahrer ausfällt, steht der Lkw oft."
"Schon mein Vater hat vor 20 Jahren gesagt: 'Irgendwann sprechen wir nicht mehr davon, wie viele LKW du hast, sondern wie viele Fahrer'", erinnert er sich an die Weitsicht des Senior-Chefs. Er sollte Recht behalten. "Alles fällt und steht mit den Fahrern."
Unfreundliche Kunden, keine Parkplätze, viel Verkehr
Beim Transportunternehmen Schwenker in Neubulach ist der Fahrermangel ebenfalls noch nicht gravierend. Dennoch: "Fünf Fahrer mehr wären besser", sagt einer der beiden Geschäftsführer, Reinhold C. Schwenker. "Uns fehlen die Springer, die in Urlaubs- oder Krankheitsfällen vertreten können." Es sei in den vergangenen Jahren viel abgeworben worden in der Branche.
Der Beruf sei aber auch schwerer geworden. "Die Hälfte unserer Fahrer ist im Fernverkehr unterwegs. Die Übernachtungsmöglichkeiten fehlen. Man muss drei Parkplätze anfahren, bis man überhaupt auf einem ein Plätzchen findet", klagt Schwenker. "Auch bei den Kunden gibt es häufig nicht genügend Parkplätze. In den Industrie- und Gewerbegebieten aber auch nicht, geschweigedenn Toiletten oder eine Dusche."
Schwierige Arbeitsbedingungen und das negative Image des Berufes seien die Hauptgründe für den Mangel an Fahrern, meint auch Taucke vom BGA. "Viele sehen keine Vereinbarkeit von Familie und Beruf gegeben, die heute immer stärker in den Blick rückende Work Life Balance fehlt ebenfalls. Außerdem müssen wir oft unfaire Wettbewerbsbedingungen im Straßengüterverkehr und zu hohe bürokratische Hürden bei der Anerkennung von Befähigungsnachweisen beobachten."
"Fernfahrern fehlt die Lobby"
Volker Beck, einer der Geschäftsführer von Emil Bitzer Spedition und Logistik aus Albstadt, erinnert sich noch an Zeiten, in denen auf eine Fahrer-Stelle mehrere Bewerber zur Auswahl standen. "Heute bekommt man neue Fahrer nur noch über Mundpropaganda oder durch Abwerben. Wir versuchen unsere Größe zu erhalten, aber ausbauen könnten wir nicht, weil uns eben die Mitarbeiter fehlen." Um den Beruf attraktiver zu machen, müsste seiner Meinung nach unglaublich viel passieren. "Es gibt nicht nur ein paar Probleme, sondern sehr viele, die sich über die Jahre entwickelt haben. Wir müssen zum Beispiel dazu zurückkommen, dass Transport wieder etwas kosten darf. Das ist auch ein Lobbyproblem. Wir stehen lange nicht so im Fokus wie zum Beispiel die Autoindustrie."
Versorgungskollaps in zwei bis drei Jahren
"Der Fahrermangel wird weiter steigen und zum echten Problem für die Wirtschaft", prognostiziert BGA-Präsidiumsmitglied Taucke. Allein durch die Differenz der Fahrer, die in Rente gehen werden und den fehlenden Berufseinsteigern verschärfe sich der Fahrermangel jährlich um etwa 15.000 fehlende Kraftfahrer. "In zwei bis drei Jahren folgt daraus ein Versorgungskollaps, denn die LKW-Fahrerinnen und LKW-Fahrer stellen eine Schlüsselfunktion für die Wirtschaft dar. Sie sichern unsere alltägliche Versorgung."
"Wir sind ein Land der Egoisten"
"Es gibt zu viel Fracht und zu wenige Fahrer", fasst Fritz Hugger, Geschäftsführer der Fritz Hugger Spedition aus Rottweil zusammen. "Wir können uns noch über Wasser halten, aber die Frage ist, wie lange noch. Niemand will mehr LKW fahren." Kein Wunder, meint Hugger. Der Beruf genieße in der Öffentlichkeit kein Ansehen mehr.
Das negative Image des Berufes müsse sich zu Anerkennung verändern, sagt auch Taucke vom BGA. "Wir müssen Bürokratiehürden in Deutschland abbauen und Fachkräftezuwanderung einfacher ermöglichen. Außerdem braucht auch diese Branche Digitalisierung und Nachwuchs-Förderung. Hier sollte Politik verlässliche Rahmenbedingungen schaffen. Insbesondere sollte jungen Menschen vermittelt werden, dass die fortschreitende Digitalisierung zwar die Anforderungen an den Fahrerberuf verändern, ihn aber keineswegs überflüssig machen. Im Gegenteil, der Technologiefortschritt bietet große Chancen für den Beruf und dessen Attraktivität."