In Kanada ist Haschisch verboten. Für eine Mitgliedschaft im Cannabis-Laden brauchen Konsumenten jedoch nur eine einfache Bescheinigung vom Mediziner. Ein Besuch in einem Vancouver Hanfcafé.
Vancouver - Kurz vor zehn Uhr betritt Chuck Varabioff sein Café am Commercial Drive Nummer 2908 im westkanadischen Vancouver. Innen sitzen Dutzende Kunden auf Stühlen und Barhockern. An der Wand stehen Münzautomaten, auf dem Tresen liegen Backwaren aus. Es sieht aus wie in einem normalen Selbstbedienungscafé. Doch im Laden der „British Columbia Pain Society“ gibt es keine normalen Kekse. In dem Shop wird Cannabis verkauft – in allen erdenklichen Formen. Als getrocknetes Gras, als Öl, als Salbe, als Süßigkeit oder eben auch als Keks. „Wir haben die beste Auswahl der Stadt“, verspricht Varabioff.
Mehr als 40 Sorten Cannabis
Mehr als 40 Sorten Cannabis kann man im Laden der „British Columbia Pain Society“ kaufen. Dabei dürfte es das Etablissement eigentlich gar nicht geben. Offiziell ist Haschisch in Kanada verboten. In Vancouver sieht man das jedoch nicht so eng. Knapp 100 Kiffer-Shops gibt es in der Metropole, die in Kanada auch „Lotusland“ genannt wird: Jedes Frühjahr feiern hier 20 000 Kiffer eine riesige Rauschparty. Die Polizei schreitet nicht ein – und lässt auch die Cannabis-Shops weitgehend gewähren.
Rechtliche Grauzone – Bescheinigung vom Mediziner
Dabei profitieren Betreiber wie Varabioff von einer rechtlichen Grauzone. Nach einer Serie von Gerichtsurteilen dürfen in Kanada Schmerzpatienten die Droge legal als Medizin verwenden. Laut Vorschriften müssen sie sich das Cannabis verschreiben lassen, sich beim Gesundheitsamt registrieren und das Gras per Versand bei einem von 15 von der Regierung lizenzierten Händler bestellen. In Vancouver verkauft man die Droge aber auch über den Tresen. Zwar sind die Kiffer-Clubs strikt genommen gemeinnützige Hanf-Apotheken und für Kranke gedacht: Wer Cannabis kaufen will, muss mindestens 19 Jahre alt sein und braucht außerdem eine Bescheinigung vom Mediziner. Doch falls es die nicht gibt, genügt eine Urkunde vom Notar für eine Mitgliedskarte. „Wir können die medizinischen Beweggründe unserer Kunden nicht überprüfen“, gibt Varabioff zu. Fast 9000 Karten hat er bereits ausgegeben.
Gras aus dem Münzautomaten
Toni M. besitzt eine Mitgliedskarte. Die 36-Jährige aus dem Vorort Langley sitzt auf einem Barstuhl und raucht einen Joint der Sorte „Blueberry Crush“. Eine ernste Krankheit hat sie nicht – nur gelegentliche Kopfschmerzen. „Ich rauche Hasch, weil es mir guttut“, sagt sie. Das Gras zieht sie sich meist aus einem der Münzautomaten in Varabioffs Café Dutzende Sorten werden darin angeboten wie Süßigkeiten. Die Päckchen sind fein säuberlich verpackt und versiegelt – ein Gramm, fünf Gramm oder mehr. „Die Qualität der Ware ist wirklich hervorragend“, sagt sie und zieht an ihrem Halm.
Experten sind sich über die medizinischen Wirkungen uneins – Toni aber glaubt daran. Sie fordert die Freigabe von Cannabis und spricht aus, was in Vancouver fast jeder denkt: „Das Verbot ist nur noch eine Farce.“ Die Bevölkerung hat sie auf ihrer Seite. Den Umfragen zufolge sind zwei Drittel der Kanadier dafür. Die konservative Regierung aber hält dagegen. In Kanada ist die Bundesregierung in Ottawa für die strafrechtliche Einordnung zuständig. Gesundheitsministerin Rona Ambrose hält Cannabis für gefährlich und ist sauer über die laxe Haltung in Vancouver. „Die Cannabis-Läden dort sind illegal und müssen sofort geschlossen werden“, forderte sie.
Stadtregierung drückt beide Augen zu
Die Stadtregierung denkt gar nicht daran. Vor wenigen Wochen haben die Verordneten erst eine Satzung für die Shops beschlossen – eigentlich undenkbar für ein illegales Gewerbe. „Wir behandeln Cannabis-Läden wie jedes andere Geschäft in der Stadt“, erklärt der Abgeordnete Kerry Jang. Betreiber sollen künftig einen Gewerbeschein erhalten, wenn sie 30 000 Dollar zahlen (rund 21 000 Euro) und einige Auflagen erfüllen. Bis Ende der Woche müssen die Anträge eingehen. Neue Läden sollen laut Satzung nicht in der Nähe von Schulen oder Stadtteilzentren liegen. Leicht konsumierbare Produkte wie Kekse sollen auslaufen. Die Stadt will Jugendliche so vor Missbrauch schützen.
Nicht alle Betreiber sind über die Auflagen glücklich, manche müssen womöglich schließen. Für die Mehrheit der Shops aber bedeutet die Satzung neue Legitimität. Tatsächlich ist der Handel mit Cannabis längst ein Riesengeschäft. Allein rund um Vancouver gibt es Dutzende Anbauer.
Cannabis-Unternehmer verdienen rund 14000 Euro im Monat
So wie Tom Reid. Der Kanadier besitzt eine Cannabis-Farm etwa eine Stunde außerhalb von Vancouver und ist einer von 15 Lieferanten für die „British Columbia Pain Society“. Seit er sich einen Bandscheibenschaden zugezogen hat, baut er Cannabis an – ganz legal. Und verdient damit rund 14 000 Euro im Monat. „Als Invalide müsste ich Sozialhilfe beziehen und würde den Steuerzahlern auf der Tasche liegen“, sagt Reid. „Als Cannabis-Unternehmer dagegen schaffe ich Jobs und bezahle Steuern.“ Er will, dass die Droge nicht nur de facto sondern auch tatsächlich freigegeben wird. Dazu könnte es bald kommen. Denn der oberste Gerichtshof von Kanada hat die Regeln für die medizinische Anwendung zuletzt immer weiter gelockert. Im Oktober finden in Kanada zudem Parlamentswahlen statt – die Oppositionsparteien wollen eine Freigabe.
Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Substanz in Deutschland. 6,7 Prozent der Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren und 39,2 Prozent der 18 bis 25-Jährigen in Deutschland haben 2011 Cannabis mindestens einmal probiert. Laut UN-Drogenbericht (2015) konsumieren weltweit 181,8 Millionen Menschen Cannabis.
In Deutschland fällt Cannabis unter das Betäubungsmittelgesetz. Anbau, Herstellung, Vermarktung und Besitz sind strafbar – der Konsum jedoch erlaubt. Medizinische Produkte sind verschreibungspflichtig.
Der Umgang mit Cannabis wird verschieden gehandhabt. In den meisten Staaten gilt es als illegal. Als erste Nation der Welt hat Uruguay den Anbau und Verkauf 2013 unter staatlicher Kontrolle legalisiert. Der US-Bundesstaat Colorado erlaubt seit 2014 den freien Verkauf. In vielen Ländern – wie den Niederlanden – ist der Besitz geringer Mengen zulässig, Anbau und Verkauf verboten.