„Wir rauschen immer weiter ins Defizit“: Drei (Ober-)Bürgermeister aus dem Kreis Rottweil schlagen jetzt Alarm – und haben einen dringenden Appell an die Politik, aber auch die Bürger.
Vor dieser Gefahr warne man schon seit Jahren: „Jetzt müssen wir handeln“. Das machen Markus Huber (Bürgermeister in Dornhan), Christian Ruf (OB in Rottweil) und Peter Schumacher (BM in Dunningen) als Vertreter des Gemeindetag-Kreisverbands deutlich. Das bedeutet auch, dass auf die Bewohner des Landkreises Sparmaßnahmen zukommen. Denn die Finanzlage ist dramatischer denn je.
Anlass zum Pressegespräch ist der Brandbrief von Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, der mehr als 1000 Städte und Gemeinden vertritt. Darin sagt Jäger klar: Die Handlungsfähigkeit der Kommunen ist gefährdet. Denn die Kommunalfinanzen seien in einer dramatischen Schieflage. Neun von zehn Landkreisen könnten ihre Aufwendungen nicht mehr aus den laufenden Erträgen finanzieren.
Finanziell im Sinkflug
Davon können Huber, Ruf und Schumacher mit Blick auf die Haushaltsplanberatungen für 2026 ein Lied singen. Auch im Kreis Rottweil befinde man sich im Sinkflug, sagt Markus Huber. Der Landkreis sei 2025 ins Defizit gerauscht, und für 2026 sehe man kein Land.
Zu hohe Standards und immer mehr Pflichtaufgaben schraubten die Aufwendungen weiter nach oben, während die Einnahmen gleich blieben. Und die Kommune müsse als Leidtragende und „Letzte im System“ staatliche Versprechen erfüllen, dem Bürger aber auch erklären, was man auf der anderen Seite nicht mehr leisten könne, sagt Huber.
Ein klassisches Beispiel sei das vom Bund auferlegte Ganztagsangebot an Grundschulen – ein politisches Versprechen, zu dem es immer noch keine Aussage dazu gebe, wie die laufenden Kosten finanziert werden sollen, sagt Peter Schumacher.
Kreisumlage nimmt Kommunen Luft zum Atmen
Auf Landkreisebene werde sich das Aufgaben- beziehungsweise Ausgabenproblem in einer wesentlich höheren Kreisumlage – diese müssen die Kommunen an den Landkreis zahlen – zeigen. Und das liege in erster Linie nicht am Bau des neuen Landratsamtes, zu dem man nach wie vor stehe, sondern an „davongaloppierenden Sozialausgaben“, so Huber. Der Grund dafür: selbst vom Staat gesetzte Standards.
Und dann seien da noch die enorm gestiegenen Personalkosten und kaum eine Steuerungsmöglichkeit auf Kommunen-Seite, was die Einnahmen angehe. „Bei sechs Millionen Euro Personalkosten allein in Dornhan bringt die Anhebung der Hundesteuer auch nichts – außer einen Haufen Ärger“, nennt Huber ein kommunales Beispiel.
Die Folgen: Liebgewonnenes streichen
Die Folgen der Finanzlage? Die Streichung von Sanierungen, Vereinsförderungen, Öffnungszeiten und mehr bei gleichzeitigen Erhöhungen von Nutzungsgebühren und Steuer-Hebesätzen, wie Steffen Jäger schreibt. „Keine dieser Maßnahmen will ein Kommunalpolitiker beschließen – doch vielerorts werden sie unvermeidlich“.
Das wird auch im Kreis Rottweil so kommen, sind sich Huber, Ruf und Schumacher sicher. Eine andere Option als einen „Sparhaushalt“ gebe es nicht, wenn sich nichts ändere. Leistungen zu kürzen sei die einzige Möglichkeit, um die Liquidität nicht zu gefährden.
So kündigt OB Ruf an, in Rottweil werde man Mitte November über das wohl bisher größte Einsparpaket im Gemeinderat beraten. Und das werde viele ganz direkt betreffen, etwa bei Öffnungszeiten von Einrichtungen oder zu erhaltender Infrastruktur.
Schumacher erwähnt das Lehrschwimmbecken in Seedorf, das einer Sanierung bedarf, die mit rund sechs Millionen Euro zu Buche schlagen würde. „Mir fehlt die Fantasie, wie wir das finanzieren sollen“, sagt er. Einerseits handle es sich dabei um eine freiwillige Aufgabe der Kommune, andererseits sei es enorm wichtig, dass die Kinder schwimmen lernen. In diesem Spannungsfeld bewege man sich und müsse sich fragen: Was kann man sich leisten, und was nicht?
Appell geht in zwei Richtungen
Hubers, Rufs und Schumachers Appell geht in zwei Richtungen. Zuerst an Bund und Land, die „trotz zwei Jahren Rezession immer wieder draufgesattelt“ haben, wie Ruf sagt. Gemeint sind immer neue und höhere Standards – von DIN-Normen über Gutachten bis zu einer Flut an Vorschriften, wie Huber erklärt.
Neben einem strukturellen Problem gebe es aber auch ein gesellschaftliches, so Schumacher. Denn wenn mal etwas passiere, werde heutzutage immer zuerst ein Schuldiger gesucht.
Deshalb richten die Bürgermeister auch einen Appell an die Bürger: sich von manchem Anspruch zu lösen und Sparmaßnahmen und Erhöhungen mitzutragen, die man auf kommunaler Ebene umsetzen müsse, um die laufenden Kosten zu decken.
Ohne Reform droht gesellschaftliche Spaltung
Klar sei aber: Das System brauche eine Reform – und die Kommunen bräuchten mehr Flexibilität und Vertrauen, so Huber. Sie ins offene Messer laufen zu lassen, sorge für Verdruss und sei letztlich Zündstoff, der die Gesellschaft sprenge, ergänzt Schumacher.
Ein „weiter so“ könne es nicht geben, stellt Huber klar. Schließlich müsse man sich den Herausforderungen Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung stellen. Und: „Wenn sogar Baden-Württemberg klagt, ist es schon weit gekommen“
Sondervermögen Infrastruktur – eine Entlastung?
Das Sondervermögen Infrastruktur,
das 500 Milliarden Euro umfasst, schürt laut den Bürgermeistern Erwartungen bei den Bürgern, die nicht erfüllbar seien. Denn: Nur 13 Milliarden davon gingen nach Baden-Württemberg, und selbst wenn diese vollständig an die Kommunen gingen, bedeute das für Dunningen beispielsweise nur 650 000 Euro im Jahr. Das könne man allenfalls als „Tropfen auf den heißen Stein“ bezeichnen, so Peter Schumacher.