"Wer hätt au des denkt!": Manfred Mergel hat es mit seiner Mundartarbeit bis auf den Cannstatter Wasen geschafft.Foto: Steinert Foto: Schwarzwälder Bote

Silberjubiläum: Mundartpfarrer Manfred Mergel macht sein Ding – seit 25 Jahren und mit Erfolg

Oft humorvoll, vielfach tiefgründig und manchmal erstaunlich schonungslos: Pfarrer Manfred Mergel hat sich und seiner Mundartgemeinde ein Buch zum Silberjubiläum geschenkt: "Lebensfreude". Und die springt beim Lesen durchaus über.

Dornstetten-Aach/Freudenstadt. "25 Jahre kirchliche Mundartarbeit" – das wollte Pfarrer Manfred Mergel Mitte März mit einem Gemeindefest in der Halle in Aach feiern. "Die Drei vom Dohlengässle", die Kabarett-Tratschtanten von der Alb, hätten sich mit einem Auftritt sogar dazugesellt, aber…

Was dann über die Menschheit kam, hat Mergel für die "Corona-Predigt" aufgearbeitet, die als "Botschaft aus der Martinskirche" in Dornstetten an Ostern im Internet abrufbar war. Coronabedingt war doch noch das passiert, was ihm einst sein Vater, der ihm den Job anfangs nicht zugetraut hatte, prophezeite und was Mergel glücklicherweise fremd ist: "Lieber Herr Jesus, i predig net gern de leere Kirchabänk. Des isch mir wie Spitzgras. Sei wenigstens du do, dass e net allei bin."

Die Kirchenbänke blieben an Ostern leer, Mergel zeichnete die Predigt auf. Es ging um Angst, Sterben und Tod, Hoffnung, Auferstehung und – ja – ums Lachen. Corona schwang mit, aber kam nicht vor. Und das Ganze gipfelte in einem Gebet: "Herr Jesus, lass ons bitte lacha, wenn mr nix mehr hen zum Lacha."

Immerhin: Am 19. Januar, im Jubiläums-Gottesdienst in Gärtringen, wo seine kirchliche Mundartarbeit begann, da hat es noch geklappt mit der vollen Kirche. "Lebensfreude" war die Predigt überschrieben. Und so heißt auch sein jüngstes Buch, der neunte Band der von ihm zusammen mit Bernd Jörg Diebner und Heinrich Kröger herausgegebenen Schriftenreihe "Dialekt und Religion/Religion und Dialekt".

Lebensfreude hat für Mergel nichts mit Spaß zu tun, auch nicht mit oberflächlicher Freude. Lebensfreude, das meine Dankbarkeit, Zufriedenheit, Gelassenheit. "Evangelischer Glaube ist für mich die pure Lebensfreude – Freude, die alles aus Gottes Hand nimmt", legt er im Vorwort dar. Und die Verkündigung des Evangeliums im Dialekt verbreite Lebensfreude, ist Mergel heute überzeugt.

Dies herauszufinden, hat ein wenig gedauert. In seinem Buch blickt er darauf zurück, wie alles anfing mit der Mundartarbeit. Erst durch sie sei er "sprachfähig" geworden. Akademisch ausgebildet, stand seine damals noch wissenschaftliche Sprachform zwischen ihm, der Gemeinde und den Schülern im Unterricht. "Ich wollte möglichst viele mit dem Evangelium erreichen. Das aber gelang mir nicht. Ich hatte mich noch nicht gefunden." Ausgerechnet seine Muttersprache, das Schwäbische, habe eine sinnvolle Lösung angeboten. "Die Menschen warten auf eine verständliche Verkündigung, die sie anspricht." Und in ihrem Alltag abholt.

Das gilt nicht nur für Mergels zwei, drei schwäbische Predigten im Jahr, für die er sich in der Vorbereitung extra viel Zeit nimmt, sondern für alle. Nach der Devise "Aufs Maul gucka, nicht nach dem Maul schwätza", so wie einst Martin Luther.

Zentrale Kapitel des Buches sind zwei abgedruckte Vorträge, die tiefe Einblicke geben in den Menschen und Pfarrer Mergel und seine Kämpfe: mit sich selbst, auch mal mit Gott, und mit Gremien, von der Gemeinde bis ganz nach oben. Schon die Texte sind so lebendig, dass man sich gut vorstellen kann: Ein Vortrag, eine Predigt Mergels ist ein Erlebnis. Und sie sind so unverhohlen, dass man ahnen kann, wie der eine oder andere im Publikum schlucken musste.

Im ersten Vortrag, gehalten im Gebrüder-Hehl-Stift in Loßburg zur Finissage der Ausstellung "Leben nach Luther – eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses", knöpft er sich zwischendurch auch mal Kirchengemeinderäte vor und beschreibt, wie der allgemein zu erlebende Autoritätsverlust auch das geistliche Amt betreffe und der Pfarrer in einer "geistlichen Zwangsjacke" lebe. Viele wüssten vieles besser: "Kirchliche Gremien überlassen nicht mehr unbedingt dem Pfarrer die theologische Richtlinienkompetenz." Mergel spricht – und das erinnert an Elternabende an Schulen – von Aufsichtsratsmentalität, von Machtkämpfen und wild gewordenen Laien, die von der Kirchenleitung auch noch gestützt würden. Das mache den Pfarrberuf nicht eben attraktiver. Mergel fordert wieder mehr Freiheiten für seinen Berufsstand, damit auch künftig gilt: "Im Pfarrhaus brennt noch Licht."

Im zweiten Vortrag, gehalten im evangelischen Gemeindehaus in Glatten, beschreibt Mergel seinen Weg "ins" und "im" Pfarramt, der in der Jungschar begann. Und sein Verhältnis zur Landeskirche. Letzteres war offenkundig über lange Zeit etwas angespannt. Auch hier wird es also zwischendurch deftig.

Von "unbeholfenen Männern in mausgrauen Anzügen" ist die Rede, von Karrieristen, Bedenkenträgern und "Managertypen, die ein persönliches oder gemeindliches Problem kalt und desinteressiert weglächeln, weil sie auch die kleinste Kritik als systemfeindlich empfinden". Starker Tobak – für Mergel war es eine "Schimpftherapie". Aus einst höheren Ambitionen wurde für ihn nichts: "Die akademische, die kirchenpolitische und die kirchenleitende Tür war zugegangen", stellt Mergel nüchtern fest und gesteht ein: "Ich war zu ungeschickt, zu idealistisch, zu ungestüm." Die Auseinandersetzungen mit den Oberen in der "Stuttgarter Halbhöhenlage" halfen ihm aber auch, seinen Weg zu finden: "Gemeindepfarrer wollte ich sein. Nicht mehr, aber auch nicht weniger."

Ist Mergel also der Rocker in Kirchenkreisen? "Ich mach mein Ding", zitiert er jedenfalls Udo Lindenberg. Manchmal will er bewusst "urchristlich" provozieren. Das sei viel zu selten geworden "unter uns braven Christenmenschen". Gewisse Verwaltungsaufgaben überlasse er den Experten im Oberkirchenrat, die das bestens könnten. "Ansonsten bin ich mein eigener Herr und tue und lasse, was ich nach bestem Wissen und Gewissen für richtig halte."

Inzwischen hat Mergel sich mit seiner Landeskirche also arrangiert – und umgekehrt. "Se hen me aber macha lassa, meine Obere – immerhin. Wahrscheinlich hen se sich gsagt, der hört au amol wieder auf mit seine Mödela", erkärte er 2015 beim Vortrag zum Jubiläum "20 Jahre Mundartgottesdienst". Mergel hörte nicht auf. Mit Mundartgottesdiensten schaffte er es bis zum Cannstatter Wasen.

Im Buch überwiegt ein fröhlicher Grundton, der rasch ansteckt. Etwa, wenn Mergel beschreibt, wie er einst "Sautreiber" werden wollte, wie erste Begegnungen mit Schülern auf der Alb verliefen oder welche Glücksmomente entstehen, wenn das mit der Verkündigung des Evangeliums "drunternei" einmal so richtig flutscht: "Do gang e abends mit dr Krawatt ins Bett." Neben Reflexionen, Vorträgen und Gedanken zum Jubiläum enthält das Buch – ab da durchweg auf Schwäbisch – Predigten, Kasualien und liturgische Texte.

Zum Buch, zum Silberjubiläum und dazu, die Menschen auf ganz eigene Art zu erreichen, darf man Mergel gratulieren. Der Ministerpräsident, selbst in Dialekt und Religion verwurzelt, tut’s in einem Grußwort. "Kirchliche Mundartarbeit vermittelt uns allen, dass regionales und religiöses Leben Hand in Hand zusammengehen", schreibt Winfried Kretschmann. Dass die Kirche dabei nicht sprichwörtlich im Dorf gelassen werde und viele Gläubige und Dialektsprecher erreiche, dafür sorge auch Mundartpfarrer Manfred Mergel mit seinen Gottesdiensten und dieser Schriftenreihe. "Durch kirchliche Mundartarbeit hält der Glaube Einzug mitten ins Leben der Menschen", bescheinigt Kretschmann, "weil er ihre Sprache spricht."

Das buch: Manfred Mergel, Lebensfreude – Fünfundzwanzig Jahre kirchliche Mundartarbeit, 120 Seiten, LIT-Verlag, ISBN: 978 36 43 14 34 40.

Manfred Mergel (62), geboren in Göppingen, ist Pfarrer der Württembergischen Landeskirche. Er war in Gärtringen und Simmozheim tätig, seit September 2015 arbeitet er im Kirchenbezirk Freudenstadt auf einer beweglichen Pfarrstelle, die die Gemeindearbeit in der evangelischen Kirchengemeinde Aach, Erwachsenenbildung im Dekanat Freudenstadt und kirchliche Mundartarbeit umfasst.