Steffen Schrägle bei der Arbeit am Time Square Foto: Kruse Foto: Schwarzwälder-Bote

Der Fotograf Steffen Schrägle aus Hallwangen hat ein Jahr in Tokio gelebt

Von Olivia Kaiser Dornstetten/Tokio. Wenn er die Nachrichten über die Erdbebenkatastrophe in Japan im Fernsehen sieht, ist Steffen Schrägle sehr besorgt. Dann denkt er an seine Freunde in Japan, von einigen hat er bis jetzt keine Nachricht erhalten. Der Fotograf, der mittlerweile in Hallwangen sesshaft geworden ist, hat ein Jahr in Tokio gelebt und gearbeitet.

In dieser Zeit hat der gebürtige Freudenstädter einige Erdbeben mitgemacht. "Aber natürlich keins in dieser Größenordnung", sagt er. "Am Anfang habe ich nicht verstanden, wie die Japaner dabei so gelassen bleiben können." Erdbeben seien in Japan an der Tagesordnung, man erlebe sie überall, so Schrägle, auf der Straße, in der U-Bahn oder zu Hause. "Mit der Zeit habe ich mich sogar daran gewöhnt. Wenn alle um einen ruhig bleiben, gibt das eine gewisse Sicherheit." Ein stärkeres Beben habe er erlebt: "Da sind auch Sachen in der Wohnung umgefallen." Die Japaner sind an die Kapriolen der Natur gewöhnt. "Es sind ja nicht nur die Erdbeben", weiß Steffen Schrägle. "In der Regenzeit fegen Taifune über die Inseln hinweg." Als der Freudenstädter von dem Beben am vergangenen Freitag erfuhr, probierte er sofort, per Telefon und über das Internet, Kontakt mit Freunden und Bekannten in Japan aufzunehmen. Am Anfang ohne Erfolg. Mittlerweile haben sich einige Freunde per Mail gemeldet, doch von anderen hat der Fotograf bis heute noch nichts gehört. "Man sagt sich immer, dass in Tokio selbst ja nicht so viel passiert ist. Doch ich habe auch Freunde, deren Familien nicht in Tokio leben." Die Unsicherheit ist groß.

Vor allem nach den Explosionen in einem Atomkraftwerk. "Man hat zwar Informationen, aber inwieweit die korrekt sind, weiß man ja nicht. Im Internet kursieren auch viele Gerüchte." Sogar von einer geplanten Evakuierung Tokios habe er gelesen, so Steffen Schrägle. "Aber diese Millionenstadt zu evakuieren, halte ich für so gut wie unmöglich. Wo sollen die Leute denn hin?"

Dass der Informationsfluss so schleppend läuft, verwundert Schrägle nicht. Das hänge ein Stück weit mit der Mentalität in Japan zusammen. "Man darf sein Gesicht nicht verlieren. Vor allem gegenüber dem Ausland." Auch dass kaum Japaner öffentlich Kritik üben, sei kulturell verankert: "Man kritisiert nicht direkt, und schon gar nicht vor anderen."

Die Nutzung der Atomkraft werde in Japan nicht so kritisch gesehen wie in Deutschland, erklärt der Freudenstädter. Eine Anti-Atom-Bewegung gebe es in dieser Form nicht. "Die Japaner haben einen immensen Energieverbrauch", weiß Steffen Schrägle aus eigener Erfahrung. "Es gibt keine andere Möglichkeit, diesen Bedarf zu decken."

Ob jetzt ein Umdenken stattfinde, könne er nicht sagen. Die großen Anlagen in Japan hatten auch Steffen Schrägles berufliches Interesse geweckt: "Ich wollte eine Fotoserie über Atomkraftwerke machen." Doch aufgrund der ganzen behördlichen Genehmigungen und anderer Schwierigkeiten gab der Fotograf die Idee auf.

Neben seiner Auftragsarbeit fotografierte Schrägle vor allem die japanische Architektur und die Menschen. Nachdem er einige Zeit in Tokio gelebt und Kontakte geknüpft hatte, bekam er die Möglichkeit, eine Fotoserie über Japaner in ihren eigenen vier Wänden zu machen. "In Japan wird man nicht gleich nach Hause eingeladen", betont Steffen Schrägle. "Dazu muss man die Menschen erst gut kennenlernen." Obwohl Japaner am Anfang sehr reserviert sind, fand Schrägle in Tokio gute Freunde. Um sie ist der Fotograf jetzt sehr besorgt. "Deshalb werde ich weiter versuchen, Kontakt zu bekommen."