Rektor Johannes Bühler unterscheidet: "Die Umstände sind belastend, die Schüler aber sind wertvoll und willkommen." Foto: Schule Foto: Schwarzwälder Bote

Bildung: Dreifürstensteinschule unter starker Belastungsprobe / Abstandsregeln einhalten ist Ding der Unmöglichkeit

In diesen Tagen kehrt der Unterricht so langsam in die Klassenzimmer zurück. Von großen organisatorischen Herausforderungen ist dabei oft die Rede. In besonderem Maße trifft das wohl auf sonderpädagogische Schulen wie die Dreifürstensteinschule zu.

Dornstetten. An einen regulären Schulbetrieb ist bisher noch nicht zu denken, vor allem nicht an der Dreifürstensteinschule. Zum Schulalltag der körperbehinderten Schüler gehören viele Bereiche, die es in gewöhnlichen Schulen nicht gibt, so zum Beispiel das Bewegungslernen. Manche Schüler brauchen Pflege oder Unterstützung beim Essen, wie Miriam Bohn, stellvertretende Schulleiterin erklärt. Strikte Abstandsregeln müssen jedoch eingehalten werden. "Das ist schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit", schreibt sie in einem Bericht.

Zudem gehören viele Schüler durch ihre schweren Vorerkrankungen zur Corona-Risikogruppe. Einige leiden unter Herzfehlern, neurologischen Erkrankungen, Atemwegserkrankungen und anderem. Wenn man sich dies vergegenwärtigt, könnte man schnell zu dem Schluss kommen: eine solche Schule muss auf jeden Fall weiterhin geschlossen bleiben und zwar zum Schutz von Schülern und Mitarbeitern. Doch es gibt schon seit vielen Wochen auch an der Dreifürstensteinschule Notbetreuung und nun auch wieder Präsenzunterricht, die Schulgemeinschaft wird vorsichtig mutiger. Ein neues Logo trägt die Botschaft: "Wir machen mit Abstand das Beste daraus".

Eltern mit der Förderung daheim überfordert

"Doch oft ist es schwer, einem Kind mit einer geistigen Behinderung zu erklären, dass plötzlich alles anders ist und es die Freunde in der Schule nicht mehr sehen kann." Konrektorin Bohn findet den Begriff "Notbetreuung" nicht ganz zutreffend, denn: "Wir freuen uns über jedes Kinderlachen, das im Schulhaus wieder zu hören ist, nach dem es viele Wochen so still war". Doch sie weiß aus vielen Telefonaten mit Eltern von deren Not zu Hause.

Schulleitung und Kollegium blicken seit Beginn der Schulschließung besorgt auf die große Belastung der Familien. Seit Wochen übernehmen die Mütter, Väter und Geschwister der behinderten Kinder neben der Begleitung des häuslichen Unterrichts auch zusätzlich pflegerische und therapeutische Maßnahmen. Homeschooling bei Schülern mit Behinderung: funktioniert das überhaupt?

Sonderpädagogische Bildung orientiere sich primär an Teilhabe und das bedeute Beziehung. Häufig gehe es bei den Lernprozessen um den Erwerb von Alltagskompetenzen, um den Umgang mit konkreten Gegenständen, mit Reha-Hilfsmitteln, um Aktivität und um Kommunikation, erklärt die Konrektorin. "Jeder gesunde Mensch, der sich schon einmal die Schreibhand gebrochen hat weiß, dass man Bewegungsabläufe lernen und durch Anwendung automatisieren muss, genauso wie das Einmaleins." Schülern im Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung könne man nur ein Teil der Bildungsinhalte durch Arbeitsblätter oder Apps vermitteln.

Lehrer überlegen sich kreative Angebote

Die Konrektorin erzählt: "Viele unserer Kollegen sind bei den Fernunterrichtsangeboten sehr kreativ geworden. Es entstand eine Radiosendung am Telefon mit dem freien Radio Freudenstadt. Eine andere Klasse macht ein Wiesenblumenquiz per Videokonferenz, es gibt selbstgestaltete Büchlein gegen die Angst vor Corona, liebevolle Videos, Luftballongrüße und vieles mehr." Diese Angebote sollen den Schülern vermitteln, dass man weiterhin in Kontakt sei.

Dennoch seien die Eltern häufig am Ende ihrer Kräfte. Besonders belastet seien Eltern von Kindern mit Behinderung dann, wenn sie berufstätig seien oder wenn sie sich in einer bedrohlichen existenziellen Situation befinden. "Stellen Sie sich vor, Sie müssten abwägen: Schicke ich mein chronisch krankes Kind in die Notbetreuung oder riskiere ich Ärger mit meinem Chef weil ich nicht kommen kann?", verdeutlicht Bohn.

"Nerven kostet hierbei, dass man über das Virus noch so wenig weiß und nicht absehen kann, wie lange das alles noch dauert", sagt Rektor Johannes Bühler. "Schon immer hatten wir an der Schule für den Bereich der Pflege Hygienestandards. Doch nun werden uns alle Kräfte abverlangt, das Risiko für unsere Schüler in der Notbetreuung, im Präsenzunterricht und bei der Beförderung so gering wie möglich zu halten."

Hat die Gesellschaft das Thema im Blick?

Die Rolle als "Hygienepolizei" müsse die Schulleitung nur selten einnehmen. Die meisten Mitarbeiter und Schüler seien sich der gemeinsamen Verantwortung bewusst. "Wir haben Kleingruppen gebildet, die sich nicht begegnen, damit nicht alle zu Hause bleiben müssen, falls ein Verdachtsfall in einer Gruppe auftritt", erklärt die Schulleitung. "Wir haben die Erschöpfung der Eltern im Hinterkopf, es wäre fatal, wenn wir eine Notgruppe wieder schließen müssten."

"Für uns alle ist der Umgang mit der Corona-Infektionsgefahr völliges Neuland", so die Schulleitung weiter. "Für die Politik genauso wie für uns als Schulgemeinschaft. Deshalb nehmen wir mit einem gewissen Verständnis hin, dass es oft nur zeitverzögerte oder gar keine konkreten Handlungsweisen für die spezifischen Bedingungen für Schüler mit Förderschwerpunkt geistige- oder motorische Entwicklung gibt." In der aktuellen öffentlichen Diskussion werden die Kinder mit Behinderung und die Bedürfnisse ihrer Familien nur am Rande bedacht, ist die Einschätzung der Rektoren. Regelrecht erschreckend seien Tendenzen, in denen Menschen mit Behinderung als Belastung für die Gesellschaft dargestellt würden, denn Behinderung sei unvermeidbar. "Jeder einzelne kann durch Krankheit oder Unfall in die Situation eingeschränkter Körperfunktionen kommen und ist dann auf Schutz, Fürsorge und Verständnis angewiesen", weiß Bohn. Rektor Bühler erzählt: "Zur Mutter einer schwerbehinderten Tochter habe ich am Telefon gesagt, dass wir uns auf ihre Tochter freuen, wenn sie nächste Woche wieder an zwei Tagen zur Schule kommt. Die Mutter war ganz gerührt. Deshalb ist wichtig, dass wir unterscheiden: die Umstände in dieser Zeit sind immens belastend aber die Schüler sind wertvoll und willkommen!"

  Entstehung

Es ist der Initiative von Eltern und Ärzten zu verdanken, dass 2001 in Dornstetten eine Außenstelle der KBF Mössingen gegründet wurde. Auf dem Gelände des ehemaligen Sägewerks Graf und Kohler wurde eine neue Sonderschule errichtet, das frühere Wohn-/Bürohaus wurde mit einbezogen. Die neue Schule startete mit 24 Kindern, die in vier Klassen unterrichtet wurden.

  Die Schule heute

Inzwischen ist die frühere Außenstelle eine eigenständige Schule geworden. Die etwa 70 Schüler kommen aus dem gesamten Kreis Freudenstadt sowie dem südlichen Landkreis Calw und dem nördlichen Rand des Kreises Rottweil. Sie leiden unter körperlicher oder motorischer Beeinträchtigung, die Bandbreite reicht dabei von Gehbehinderungen oder dem Angewiesensein auf einen Rollstuhl bis zu Beeinträchtigungen der gesamten Motorik. Aber auch Schüler mit umfassenden Koordinationsstörungen, mit Epilepsien oder mit starken Herzfehlern besuchen die Dreifürstensteinschule, ebenso wie Schüler mit massiven Organschädigungen oder mit starkem Diabetes. Geeignet ist sie allgemein für Schüler, die eine permanente medizinische Überwachung benötigen oder die Krankheiten mit fortschreitendem Verlauf haben.