Weihten die Gedenkstelle ein (von links): Jewgena Belinska, René Dantes, Sergij Belinski, Bürgermeister Bernhard Haas, Landrat Klaus Michael Rückert, Pfarrer Manfred Mergel sowie – vom Unterstützerkreis – Wolfgang und Ester Schmalz, Hans Lambacher, Alisija Blötscher und Fritz Weinmann. Foto: Günther

Stele in Aach erinnert an Kinder polnischer Zwangsarbeiterinnen. Landrat betont Verantwortung. Angehörige vor Ort.

Dornstetten-Aach - Eine große Besucherschar – viele kamen auch aus den Nachbarlandkreisen – fand sich am Volkstrauertag auf dem alten Aacher Friedhof ein, um an der Einweihung der Gedenkstele für die im Aacher "Polenkinderheim" umgekommenen Säuglinge osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen teilzunehmen.

Auf die Geschichte dieser Einrichtung ging Landrat Klaus Michael Rückert in seiner berührenden Ansprache ein. Demnach richtete der Reichsnährstand der Landkreise Calw und Freudenstadt – die Organisation der Landesbauernschaften – im August 1944 in einem Holzschuppen in Aach für die Säuglinge der osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen eine "Ausländerkinder-Pflegestätte" ein.

Wie unbarmherzig die Zustände dort waren, beschrieb der sichtlich mitgenommene Landrat eindrücklich: "Da wurden Säuglinge ihren Müttern entrissen und in einem scheinbaren Kinderheim vernachlässigt; die Säuglinge erlebten dort unvorstellbares und unermessliches Grauen. Den Kleinkindern wurde Liebe und Fürsorge verweigert, sie wurden dem Tode schutzlos ausgeliefert."

Dabei beinhaltete der Begriff "Zwangsentnahme", dass Ortspolizisten den Befehl erhielten, den Müttern ihre Kinder wegzunehmen, notfalls auch mit Gewalt. Eine Vorgehensweise, die ihn, so Rückert "tief erschüttert, im Herzen bewegt und fassungslos macht". Könne man sich doch, so der Landrat, "kaum etwas Grausameres vorstellen und einem Menschen nichts Schlimmeres antun, als sein Kind qualvoll zu Tode kommen zu lassen".

Allen geschichtlich Interessierten, die sich zu einem Unterstützerkreis zusammengeschlossen hatten, um die Aufarbeitung der historischen Ereignisse in Aach voranzutreiben, und die diese Gedenkfeier initiiert hatten, dankte Rückert für deren wertvolle Arbeit, durch die es erst möglich geworden sei, "dass wir uns gemeinsam dieser Verantwortung stellen". Eine große Verantwortung, die laut Rückert auch die Aufgabe beinhalte, "diese Erinnerung wachzuhalten und dafür zu sorgen, dass nie wieder rechtes Gedankengut die Macht ergreifen kann".

Stellvertretend für alle Familien der im Heim umgekommenen Säuglinge, wandte sich Rückert an die eigens aus der Ukraine angereisten Angehörigen der im "Polenkinderheim" im Alter von nur sieben Wochen gestorbenen Antonia Rumanjuk: "Als Rechtsnachfolger möchte ich mich für das Geschehene in aller Form entschuldigen."

Antonias 1955 geborener Bruder Sergij, der mit Ehefrau Jewgena, Nichte und Neffe gekommen war, verfolgte die Gedenkfeier mit Tränen in den Augen. Sehr bewegt waren die angereisten Angehörigen auch deshalb, weil sie erst vor wenigen Monaten überhaupt von den Geschehnissen erfahren hatten. Denn wie Jewgena Belinska unter Tränen berichtete, hatte ihre 1989 verstorbene Schwiegermutter zeitlebens ihre Erlebnisse als Zwangsarbeiterin in Deutschland mit keiner Silbe erwähnt. Überhaupt sei sie immer sehr still und in sich gekehrt gewesen.

Mit ihrem an alle Versammelten gerichteten eindringlichen Appell, sich gemeinsam für Frieden einzusetzen und gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass sich solche Zustände nie wiederholen, erreichte sie die Herzen der andächtig lauschenden Besucher. Da sie aus einem Land komme, in dem seit Jahren kriegerische Auseinandersetzungen toben, wisse sie, wie wichtig und wertvoll Frieden sei.

Landrat Rückert berichtete im Folgenden, dass es in diesen dunklen Zeiten rund um das Aacher Heim auch "Lichtblicke und berührende Zeugnisse der Menschenliebe" gab. Einzelne mutige und unerschrockene Bürger hätten Zivilcourage bewiesen und so einzelne Säuglinge vor dem sicheren Tod bewahrt.

Den Posaunenchören Aach und Dornstetten unter der Leitung von Martin Strähler gelang es, mit ihren passend ausgesuchten und sensibel vorgetragenen Musikstücken der Veranstaltung einen würdigen Rahmen zu geben.

Bürgermeister Bernhard Haas, der die Betreuung der ukrainischen Angehörigen übernommen hatte, ging auf die große Bedeutung der Gedenkfeiern zum Volkstrauertag ein und mahnte: "Der Volkstrauertag ist auch über 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs nötiger denn je." Mahne er doch zum Frieden, so Haas, und arbeite gegen das Vergessen.

Wider das Vergessen der Geschehnisse rund um das "Polenkinderheim" mahnt nun auf dem alten Aacher Friedhof auch eine Gedenkstele, die die Namen der 13 im "Kinderheim" umgekommener Säuglinge sowie einen erklärenden Text enthält. Bei dem dafür ausgelobten Wettbewerb hatte der Pforzheimer Künstler René Dantes die Jury mit seinem Entwurf von übereinander gestapelten Kuben überzeugt. Spenden aus der Bevölkerung, unter anderem eine größere Einzelspende von Wolfgang und Esther Schmalz, waren für die Realisierung hilfreich.

Dem interessierten Publikum erläuterte der Bildhauer die Konzeption seines Kunstwerks. Die Gedenkstele enthalte 13 gleichberechtigte Kreuze mit den Namen der verstorbenen Kinder, respektiere den Kontext auf dem Alten Aacher Friedhof und solle, dies ist Dantes wichtig, "den Betrachter in einen stillen Dialog führen und zum Innehalten und Nachdenken anregen". Nachdenken war auch bei dem slawischen Sprichwort angesagt, das Dantes über seine Rede stellte: "Es sind die Lebenden, die den Toten die Augen schließen. Doch es sind die Toten, die den Lebenden die Augen öffnen." Für Dantes sind es die toten Kinder, die "uns alle hellhörig machen sollen gegenüber jeder Tendenz und Entwicklung, die unsere Werte gefährden". Und es sei das Andenken an diese toten Kinder, "das uns sehend machen soll gegenüber jedem Unrecht".

Mit diesem weisen Spruch ging eine bewegende Feierstunde zu Ende. Mit der Gedenkstele wurden Raum und Ort für ein würdiges Andenken geschaffen und es wurde ein dunkles Kapitel der Geschichte aufgearbeitet. Gekommen waren auch – trotz kontroverser Diskussionen in der Gemeinde – viele Einheimische sowie Vertreter der Bauernverbände und Landwirtschaftsämter, um der Opfer zu gedenken.