Im Outdoor-Museum in Dormettingen wird an das ehemalige Wüste-Werk und ans Konzentrationslager erinnert. Im Vordergrund ist das Modell des Lagers zu sehen, das Auszubildende der Firma Weckenmann Anlagenbau gefertigt haben.Foto: Visel Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Im illegalen Lager in Dormettingen hielten befreite Ex-Häftlinge einige ihrer ehemaligen Peiniger fest

Dormettingen. An Pfingsten 1945 endete für mehr als 50 Menschen in Dormettingen ein grausames Abenteuer. An diesem Ort wurden sie erst elf Tage nach der Kapitulation der Wehrmacht aus dem KZ befreit. Aber es war schon seit April kein echtes KZ mehr. In dem illegalen Lager hielten befreite Ex-Häftlinge einige ihrer ehemaligen Peiniger sowie Nazi-Verdächtige wochenlang gefangen und übten Rache mit der gleichen Härte, die sie vorher erlitten hatten.

Ein "Fernandel" aus dem Saarland

Das KZ war ursprünglich von den Nationalsozialisten als Außenlager des berüchtigten Lagers Natzweiler-Struthof in den Vogesen eingerichtet worden. In Natzweiler erlebten 52 000 Häftlinge die Hölle. Eine der übelsten Gestalten unter dem Wachpersonal war Franz Ehrmanntraut, ein Saarländer aus Homburg, der später als letzter Lagerführer in Dormettingen die Räumung organisieren musste.

In Natzweiler wurde ihm der Spitzname "Fernandel" verpasst, weil sein längliches Gesicht und die Mundpartie viel Ähnlichkeit mit dem bekannten Schauspieler ("Don Camillo") zeigten. Das klang zwar eher liebevoll, aber Ehrmanntraut war im Lager einer der gefürchtetsten SS-Männer, das haben Zeugenaussagen in den Kriegsverbrecherprozessen erwiesen.

Er war dafür bekannt, dass er seine Schäferhunde auf Häftlinge hetzte, die seiner Meinung nach zu langsam zum Appellplatz oder zur Arbeit gingen.

Als die Front im Westen immer näherkam, wurde im September 1944 das KZ in den Vogesen geräumt. Die Alliierten sollten keine Belastungszeugen vorfinden. Für Unterscharführer Ehrmanntraut folgte daraus ein Karriereschritt: Im KZ Bisingen wurde er Rapportführer und Vize-Lagerführer.

Bisingen war eines von sieben Lagern des "Unternehmens Wüste". Hinter dem Begriff verbirgt sich die eher wahnwitzige Idee, durch Öl aus dem Posidonienschiefer der Alb Treibstoff für Flugzeuge, Panzer und Militärfahrzeuge zu gewinnen und so noch einmal das Kriegsglück zu erzwingen. Das Schwelverfahren, das eingesetzt wurde, war allerdings kein Musterbeispiel deutscher Ingenieurkunst. Die Ausbeute war so gering, dass ein Liter Schieferöl etwa das Sechzigfache des ursprünglichen Marktpreises kostete – trotz billigster Arbeitskräfte.

Die schweren Arbeiten in der Produktion wurden überwiegend von KZ-Gefangenen ausgeführt – unter mörderischen Bedingungen. Viele starben. Wer heute durch die Gedenkstätte Eckerwald geht, wo noch Reste der Anlagen zu sehen sind, der kann ermessen, was für ein unrealistischer Kraftakt das Ganze war. Mehr als 5000 Häftlinge wurden auf der Alb Opfer der "Vernichtung durch Arbeit". Öl floss kaum.

Franz Ehrmanntraut sparte auch in Bisingen nicht an brutaler Gewalt. Ein Zeuge beschrieb es vor Gericht: "Ehrmanntraut schlug die Häftlinge grundlos. Es war gleichgültig, wohin er traf. Es sind viele Leute gestorben, auch infolge der Schläge. Er schlug mit Prügeln oder Ochsenziemer oder was er gerade in der Hand hatte."

Als Führungskraft war er in den Augen seiner Vorgesetzten zwar "total unfähig", trotzdem kam kurz vor Kriegsende für den gelernten Schlosser ein weiterer Karriereschritt. Im Wüste-Lager Dormettingen wurde er Rapportführer mit weitgehenden Befugnissen. Er war quasi Lagerchef und überwachte auch die Vollstreckung von Strafen und die Exekutionen. Ehrmanntraut selbst erschoss in seiner kurzen Zeit in Dormettingen wahrscheinlich mindestens drei hilflose Gefangene, wie Verhöre und Zeugenaussagen zeigen.

Ab dem 6. April 1945 wurde das KZ Dormettingen geräumt. Viele Insassen kamen nach Dachau. Ab dem 12. April war das Lager leer, am 20. April rückte französisches Militär ein. Ehrmanntraut musste sich nach dem Krieg wie viele andere für seine Morde und sadistischen Untaten verantworten. Er wurde in drei Prozessen zum Tode verurteilt. Vollstreckt wurden die Urteile aber nie. Zuerst kam eine Abstufung auf "lebenslänglich".

Opfer sind zu Tätern geworden

Das sollte ein Signal für die deutsch-französische Aussöhnung sein. Später waren es nur noch "zwanzig Jahre", am Ende die Freilassung 1962. Zu ihr hatte der protestantische Gefangenenseelsorger wesentlich beigetragen. Er gab vor, Ehrmanntraut habe sich "mit Gottes Hilfe" in der Todeszelle quasi in einen halben Heiligen verwandelt, der tagaus, tagein auswendig gelernte Kirchenlieder singe. Der SS-Mann starb 1973 in St. Ingbert. Es ist unbekannt, ob Ehrmanntraut am 21. April noch auf freiem Fuß war. Bekannt ist allerdings, dass an diesem Tag in das leerstehende Lager Dormettingen neues Leben einzog.

Die eigenwillige Aktion wurde – wahrscheinlich ganz ohne Wissen der französischen Besatzer – von einem selbst ernannten "Commandant Deletre" gesteuert. Er war zuvor selbst dort KZ-Häftling und wollte Rache. Wahrscheinlich war er Lothringer oder Elsässer, was seine Sprache verriet. An seiner Seite: Milan Kovar, ebenfalls ehemaliger KZ-Häftling. Sie verschleppten etwa 60 Deutsche in das illegale Lager. Ehrmanntraut war nicht dabei, er hatte seine SS-Kanäle genutzt, um sich vorerst aus dem Staub zu machen.

Der aus Rottweil stammende Autor Gerhard Seifried (1941-2018) hat in seiner autobiografischen Erzählung "Narrensprung" (Saarbrücken, 2014) mit eindringlichen Details auf die Vorgänge um das "Schwarze KZ" aufmerksam gemacht. Sein Vater war NSDAP-Mitglied und zeitweise Ortsgruppenleiter in Schömberg. Dort gab es ein weiteres KZ mit zeitweise 800 Inhaftierten und mehreren hundert Todesfällen.

Die Betreiber des "Schwarzen KZ" warfen Seifried nun vor, während seiner Amtszeit als NS-Funktionär zu wenig getan zu haben, um die unwürdigen Lebensbedingungen der Häftlinge zu verbessern. Dass er sich im Verhör mit dem Lagerleiter Deletre darauf berief, er habe dies – erfolglos – sehr wohl versucht, nützte ihm nichts. Er wurde zusammen mit den anderen Verdachtsfällen eingekerkert.

Die Franzosen machten der Selbstjustiz erst nach einem knappen Monat ein Ende. Mindestens 17 Häftlinge kamen im "Schwarzen KZ" ums Leben. Manche wurden erschossen, andere so lange misshandelt, bis sie nicht mehr leben wollten und konnten. Aus Opfern waren Täter geworden. Und nicht alle, die sie selbst für Täter hielten, waren welche, allenfalls "Mitläufer" wie Josef Seifried. Der kam vorzeitig frei, nachdem politisch Unbelastete für ihn gebürgt hatten.

Von der illegalen Lagermannschaft wurden einige verhaftet, angeklagt und verurteilt. Die Anführer Deletre und Kovar tauchten unter. Der "Commandant" wurde später wegen mehrerer Straftaten in Metz hingerichtet. Sein Stellvertreter floh nach Australien, wo er nicht mehr gefunden wurde.