Auch das Citizen.Kane.Kollektiv, das sich jüngst in seinem Stück „Weiße Elefanten“ mit Theater-Zensur beschäftigte, muss um Zuschüsse bangen. Foto: Iona Dutz

Der Stuttgarter Kulturszene drohen finanzielle Einschnitte. Nun werben die sachkundigen Bürgerinnen und Bürger in einem Appell dafür, Existenzen über Bagatellgrenzen zu sichern.

Die Liste könnte ein finsterer Ausblick in die Zukunft der Stuttgarter Kulturszene sein. Sie versammelt mehr als zwanzig Initiativen, Kollektive, Förderprogramme, Kunstorte und Festivals, die im Zuge der anstehenden Sparrunde ein Versiegen der städtischen Zuschüsse befürchten müssen. Und das, obwohl ihnen Fachjurys eine nachhaltige Bedeutung für die Stuttgarter Kulturlandschaft attestiert hatten und sie deshalb „institutionell“ gefördert wurden.

 

Seit 2022 haben institutionelle Förderungen eine Befristung

Weil diese Art der Förderung seit dem Doppelhaushalt 2022/23 befristet erfolgt, könnte sie für einige Akteure demnächst wegbrechen. Das Theaterensemble Citizen.Kane.Kollektiv sorgt sich etwa um seine Existenz ebenso wie die Figurenspielerin Stefanie Oberhoff. Soziokulturelle Initiativen wie die Kulturinsel oder der Chor Figure humaine könnten ebenfalls betroffen sein.

Auch wenn das Kulturamt Anfang Oktober für elf der Akteure eine Fortsetzung der Förderung empfohlen hat, liegt die Entscheidung letztlich bei den Stadträten, die den Haushalt am 19. Dezember beschließen. „Wir befinden uns in absoluter Unwissenheit, wie die Fördersituation im kommenden Jahr aussieht“, sagt Maximilian Sprenger vom Citizen.Kane.Kollektiv, das wie andere betroffene Einrichtungen momentan faktisch handlungsunfähig ist.

Mit einem Appell machen sich nun die sachkundigen Mitglieder im Ausschuss für Kultur und Medien für eine vielfältige Kulturszene stark. „Mit nur 0,8 Prozent Anteil am Haushalt 2025 ist die Kulturfinanzierung eine hochrentable Investition: in Demokratie, in Innovation, in Teilhabe, in die Zukunft unserer offenen Gesellschaft und nicht zuletzt in die Attraktivität und Strahlkraft der Landeshauptstadt“, heißt es in dem Aufruf an Stadträte und Kulturverwaltung.

Kleine Projekte sorgen für große Vielfalt

Augenmerk legen die Sachkundigen auf die Projektförderung, die sie für besonders schützenswert halten, zumal für die Betroffenen die Einwerbung von weiteren Drittmitteln davon abhängt. „Wenn wir die Vielfalt in der Stuttgarter Kulturszene erhalten wollen, dann brauchen wir die Projektförderung“, sagt Kathrin Wegehaupt, die Sprecherin der Sachkundigen, und erläutert: „Es sind oft kleine Dinge, die gefördert werden. Als bunte Tupfer tragen sie aber zu einer großen Lebendigkeit in der Kulturszene der Landeshauptstadt bei.“

Kathrin Wegehaupt wirbt für Augenmaß: Gerade hier sei es unverhältnismäßig, mit der Rasenmähermethode zu kürzen. „Für diejenigen, die mit wenig Geld umgehen, ist das unter Umständen existenzgefährdend“, sagt sie stellvertretend für die Sachkundigen, die sich deshalb in ihrem Appell für eine Bagatellgrenze aussprechen. Kathrin Wegehaupt denkt einen Schritt weiter: „Mit 0,8 Prozent macht die Kultur nicht einmal 1 Prozent im städtischen Haushalt aus“, sagt sie und fragt: „Fällt sie damit nicht selbst schon unter eine Bagatellgrenze und sollte von Kürzungen ausgenommen sein?“

Wien und Hamburg als Positivbeispiele

Statt nach Berlin zu schauen, wo geplante Kürzungen im Kulturbereich für Protestaktionen und Demos sorgten, empfiehlt die Kulturmanagerin, sich Wien oder Hamburg als Positivbeispiel zu nehmen. „Es gibt Städte, die es trotz Krise schaffen, ihre Kulturhaushalte stabil zu halten oder sogar zu erhöhen“, so Kathrin Wegehaupt.

Projektförderung schützen, eine Bagatellgrenze zur Existenzsicherung ansetzen, befristet gewährte Förderungen nicht ungeprüft auslaufen lassen, Festivalförderungen nicht pauschal kürzen: das sind die vier Punkte, für die die Sachkundigen werben und über die sie nun mit den kulturpolitischen Sprechern der Gemeinderatsfraktionen ins Gespräch kommen wollen. Frisch gewählt, müssen diese gleich schwerwiegende Entscheidungen treffen.

10 Millionen Euro soll die Kulturverwaltung einsparen

Einsparungen in Höhe von 11 Millionen Euro im Jahr 2026 und 9 Millionen Euro im Folgejahr sollte die Kultur eigentlich beitragen. Bislang sei es gelungen, sagt Kathrin Wegehaupt, diese Beträge auf jeweils 5 Millionen Euro zu reduzieren. „Wir Sachkundige möchten ein Nachdenken darüber anstoßen, wie man mit den geringeren Geldern sinnvoll umgehen kann“, sagt sie und hat im Blick, dass die kommende Durststrecke unter Umständen länger als zwei Jahre sein könnte.

Erste Haushaltslesung ist am 6. November

Gehör könnten sich die Sachkundigen auch auf anderem Weg verschaffen. „Wir sind beratend tätig und dürfen nicht wählen“, erklärt Kathrin Wegehaupt. „Aber wir können als Sachkundige Anträge stellen, damit bestimmte Dinge näher betrachtet werden sollen.“ Die erste Haushaltslesung am 6. November wäre dafür zum Beispiel eine Möglichkeit. Mit den Fraktionen im Gespräch zu bleiben ist für sie nun angesagt, die Stoßrichtung ist klar: „Wir ziehen in Stuttgart alle am selben Strang und sprechen miteinander für die Kultur, das ist schon etwas Besonderes.“

Kulturförderung auf dem Prüfstand

Institutionell
Jede Einrichtung, deren Arbeit nachhaltige Bedeutung fürs Stuttgarter Kulturleben hat, kann bei der Stadt Stuttgart eine institutionelle Förderung beantragen. Deren Ziel ist es, den Kulturakteuren Planungssicherheit zu ermöglichen. Eine Aufnahme in die institutionelle Förderung bedeutete, dass die Zuschüsse im nächsten Doppelhaushalt in gleicher Höhe übernommen wurden.

Befristung
Seit dem Doppelhaushalt 2022/23 werden neue institutionelle Förderungen nur noch befristet für zwei oder vier Jahre bewilligt, um eine zu starke Mittelbindung und eine stets wachsende Zahl institutionell geförderter Einrichtungen zu verhindern. Mehr Flexibilität im Blick auf gesellschaftlichen Wandel war das Ziel. Dafür wäre eine Evaluierung der geförderten Einrichtungen nötig; die Mittel für die e Studie wurden allerdings nicht bewilligt.