„Xenon ist nicht illegal, nicht schädlich und hat keine Nebenwirkungen“, sagt der russische Mediziner Wladimir Uiba. Foto: FMBA

Die Methode zur Anregung der körpereigenen Epo-Produktion ist weit verbreitet. Doper haben die nächsten Mittel schon im Blick.

Die Methode zur Anregung der körpereigenen Epo-Produktion ist weit verbreitet. Doper haben die nächsten Mittel schon im Blick.

Stuttgart - Russlands Wintersportler sollen ihre Chancen auf Medaillen bei den Olympischen Spielen in Sotschi verbessert haben, indem sie ein Gasgemisch aus Xenon und Sauerstoff eingeatmet und so die körpereigene Produktion von roten Blutkörperchen gesteigert haben. Dies geht aus Unterlagen des russischen Forschungsinstituts Atom Med Center hervor, auf die zuerst die Wissenschaftsredaktion des britischen Magazins „The Economist“ stieß und auf die sich später auch der WDR bezog. Deren Veröffentlichungen riefen ein weltweites Echo hervor – dabei könnte der Skandal noch viel größere Dimensionen haben.

Wie eine Publikation des Atom Med Center zeigt, wurden russische Athleten verschiedenster Disziplinen seit mehr als zehn Jahren mit Xenon behandelt. Den Anfang machten 2003 offensichtlich Schwimmer. Beim Brustspezialisten Grigori Falko, Europameister 2008, wurden demnach Verbesserungen von 2,02 Sekunden über 100 Meter Brust und 7,5 Sekunden über 200 Meter Brust auch auf die Xenon-Sauerstoff-Anwendungen zurückgeführt. In den Materialien sind aber auch Ruderer abgebildet. Es werden insgesamt 16 Sportarten erwähnt, in denen das Gasgemisch eingesetzt wurde. Darunter befinden sich Leichtathletik, Radsport, Ringen, Biathlon, Skilanglauf, Eisschnelllauf, Eishockey, Fußball, Basketball und Volleyball.

Ob es sich um Doping im Sinne einer Verletzung der Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) handelt, ist derzeit umstritten. Das Atom Med Center selbst warb mit dem Hinweis „Es steht nicht auf der Wada-Verbotsliste“ für die juristische Unbedenklichkeit. Auf der Wada-Liste steht Xenon tatsächlich nicht. Allerdings sind dort Stimulanzien für die Bildung von roten Blutkörperchen wie zum Beispiel Epo-Präparate aufgeführt. In klinischen Studien ist der stimulierende Einfluss von Xenon auf die Epo-Produktion seit längerem nachgewiesen.

Britische Forscher vom Imperial College London belegten 2009 im Rahmen einer Studie zur Verbesserung von Gedächtnisleistungen unmittelbar nach Operationen eine Erhöhung der Epo-Produktion um das 1,6-Fache. „Das ist nur das Ergebnis einer Einmal-Behandlung der Testtiere und damit schon eine ganze Menge“, meint der Kölner Anti-Doping-Experte Mario Thevis. Der Einfluss von Xenon auf die körpereigene Epo-Produktion ist spätestens seit 2003 durch eine Patentanmeldung der britischen Forscher bekannt. Ausgerechnet in diesem Jahr begannen im Atom Med Center die Anwendungen bei Sportlern.

Dass es sich bei der russischen Methode zumindest dem Sinne nach um Doping handelt, ist unter Experten unstrittig. Dazu gehören Richard Pound, Gründervater der Wada, Sportmediziner Perikles Simon (im Interview mit unserer Zeitung) und Mario Thevis, der den Russen eine eindeutige Absicht zum Dopen unterstellt: „Aus der Dokumentenlage geht ganz eindeutig die Intention der Gabe hervor. Man wollte etwas zur Regeneration beitragen. ohne das Risiko einzugehen, die Wada-Regeln zu verletzen.“

Dass den russischen Wissenschaftlern bewusst war, zumindest in einer Grauzone zu agieren, belegt die seltsame Dopingdefinition des Leiters des Atom Med Center, Igor Roschchin: „Doping ist, wenn Spuren von biochemischen Reaktionen bleiben. Wenn es nicht so ist, wie kann es ein Dopingmittel sein?“ Doch das ist nicht nur inkorrekt hinsichtlich der Definition von Doping. Es dürfte sogar analytisch falsch sein. Thevis jedenfalls hält es für „keine große Herausforderung“, Xenon bei Blut- und Urinkon-trollen nachzuweisen: „Man müsste nur die Entnahme der Probe und die Analytik etwas anpassen.“ Und auch über die in einigen Sportarten bereits angelegten Blutprofile der Athleten ließe sich laut Thevis der Einfluss von Xenon aufs Blutbild herauslesen.

Ein Wundermittel im Wettbewerb der Doper stellt Xenon also nicht dar. Es ist eher ein weiterer Hinweis darauf, wie systematisch trotz aller Skandale der Vergangenheit auch heute noch nach Methoden der pharmazeutischen Leistungssteigerung gesucht wird. Bedenklich stimmt allerdings, dass die Wada diesen Weg bislang offensichtlich nicht beobachtet hat. Dazu passt, was Wladimir Uiba, Chef der staatlichen medizinisch-biologischen Agentur Russlands (FMBA), zu dem Thema zu sagen hat: „Es ist möglich, dass unsere Sportler Xenon-Inhalatoren benutzt haben. Doch daran ist nichts falsch. Es ist nicht illegal, nicht schädlich und hat keine Nebenwirkungen. Wir halten uns an das Prinzip, keine Dinge einzusetzen, die von der Wada verboten sind.“

Demnächst könnten Doper dann übrigens zu Kupfer und Kobalt greifen. Der rötliche Stromleiter und der blaue Härtestoff haben laut medizinischen Studien ebenfalls mittelbar Einfluss auf die verstärkte Produktion roter Blutkörperchen. Wenn Sportler in Zukunft als glänzend wie Kupfer und hart wie Kobalt gepriesen werden sollten, hätte dies eine bizarre Doppelbedeutung.