Lance Armstrong Foto: AP

E-Mails, Transkripte von Zeugenaussagen, Schuldeingeständnisse der Teamkollegen - der umfangreichste Dopingreport der Radgeschichte bringt nicht nur Lance Armstrong zu Fall.

Düsseldorf/Colorado Springs - Auf die Veröffentlichung des wohl größten Schwindels in der Sportgeschichte reagierte Lance Armstrong mit ein paar gelangweilten Worten über sein Internet-Sprachrohr Twitter. „Was mache ich heute Abend? Ich hänge mit meiner Familie ab, ungerührt“, textete der Texaner. Der Radsport war dagegen längst in seinen Grundfesten erschüttert worden. Denn was die amerikanische Anti-Doping-Agentur USADA in ihrem 202 Seiten langen Abschlussbericht publik machte, birgte höchste Brisanz und ließ nur einen Schluss zu: Die gesamte Karriere des siebenmaligen Toursiegers basiert auf Lug und Trug. Armstrong hat gedopt, getäuscht, gelogen und gegen alle Regeln des Sports verstoßen.

Minutiös hat die USADA die dunkle Vergangenheit Armstrongs von 1998 bis zu seinem endgültigen Karriereende vor gut zwei Jahren nahezu lückenlos aufgeschlüsselt. Pikante Details wie Geldzahlungen von Armstrong an Dopingarzt Michele Ferrari von über einer Million Euro sind dabei ans Tageslicht gekommen. Das „ausgeklügelste, professionellste und erfolgreichste Dopingprogramm, das der Sport jemals gesehen hat“ wurde durch den USADA-Bericht in allen Einzelheiten dargelegt. Auch der Radsport-Weltverband UCI gerät nicht nur wegen der möglichen Vertuschung von einer positiven Dopingkontrolle Armstrongs aus dem Jahre 2001 schwer unter Beschuss.

Was folgte, waren öffentliche Doping-Geständnisse von den in dieser Saison noch aktiven Radprofis George Hincapie, Michael Barry, Christian Vande Velde, Levy Leipheimer, Tom Danielson und David Zabriskie, die zu den elf früheren Teamkollegen Armstrongs beim US-Postal-Team gehörten. Die sechs Fahrer erhielten für ihr kooperatives Verhalten eine mildere Sperre von sechs Monaten.

Chefankläger Werner Franke reagierte indes mit großer Genugtuung auf die Nachrichten in den USA. „Jetzt gibt es endlich gültige Aussagen von den Zeugen. Der Radsport ist in sich selbst korrupt, die UCI mit eingeschlossen. Die haben ja sogar Geld von Armstrong genommen“, sagte Franke der Nachrichtenagentur dapd.

UCI muss nun entscheiden

Armstrong, der jegliche Zusammenarbeit mit der USADA abgelehnt hatte, dürfte es mit voller Härte treffen. Die USADA hatte ihn bereits am 24. August dieses Jahres wegen Dopings lebenslang gesperrt und ihm rückwirkend ab dem 1. August 1998 alle Ergebnisse aberkannt, darunter auch seine sieben Siege bei der Tour de France. Der Radsport-Weltverband UCI hat nun 21 Tage Zeit, die Sanktionen zu bestätigen oder Einspruch einzulegen.

Was mit den Erfolgen des einst vom Krebs geheilten Radstars passiert, ist noch völlig offen. Gut möglich, dass die Armstrong-Zeit als „schwärze Ära“ in den Geschichtsbüchern gekennzeichnet wird und die Siege nicht neu vergeben werden. Denn nach Erkenntnissen der USADA wurden 20 der 21 Fahrer, die zwischen 1998 und 2005 das Tour-Podium auf den Champs Elysees betraten, mit Doping in Verbindung gebracht. Dazu zählt auch Jan Ullrich.

Die UCI werde alle Informationen prüfen, um über mögliche Einwände, einer Anerkennung der Strafe und Fragen der Verjährung zu entscheiden, hieß es aus dem UCI-Hauptquartier in Aigle. Bei einem möglichen Veto gegen das Armstrong-Urteil dürfte die UCI, die in den letzten Monaten eine fragwürdige Figur im Fall Armstrong abgegeben hatte, aber kaum auf Zustimmung der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) stoßen. Deren Präsident sprach den amerikanischen Kollegen ein großes Lob aus, dass sie „den Mut und die Entschlossenheit hatten, diesen schwierigen Fall konzentriert im Interesse der sauberen Athleten und der Integrität des Sports zu bearbeitet“. Das USADA-Vorgehen sei angemessen und in Übereinstimmung mit dem WADA-Code gewesen, ergänzte Fahey.

Armstrong machte Ferrari zum Millionär

Und die USADA hat offensichtlich ihre Hausaufgaben gemacht. Die Agentur veröffentlichte elf Geldzahlungen Armstrongs an eine von Ferrari betriebene Schweizer Firma in Höhe von 1.029.754,31 Dollar im Zeitraum vom 21. Februar 1996 bis zum 31. Dezember 2006 getätigt. Auch in der Zeit danach stand Armstrong offenbar weiterhin in Kontakt zu Ferrari. So veröffentlichte die USADA den Mail-Verkehr zwischen Armstrong, Ferrari und dessen Sohn Stefano aus dem Jahre 2009. Geldzahlungen sind während dieser Zeit offenbar in bar getätigt worden. Ferrari war im Oktober 2004 im Zuge eines Dopingprozesses wegen Sportbetruges zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Armstrong hatte daraufhin zumindest offiziell die Zusammenarbeit mit Ferrari beendet.

Doch Ferrari war wohl nur ein Teil der großen Verschwörung. „Armstrong handelte mit der Hilfe einer kleinen Armee an Unterstützern, einschließlich Dopingärzten, Drogenschmugglern und andere Personen innerhalb und außerhalb des Sports. Armstrong hatte nicht nur Kontrolle über seinen eigenen Drogenkonsum, der extensiv war, sondern auch über die Dopingkultur im Team. Der Weg für die Verfolgung seiner Ziele verlief weit außerhalb der Regeln“, hieß es in dem USADA-Bericht weiter.

Dabei hat Armstrong auch vor äußersten Mitteln nicht Halt gemacht. Dass er Kritiker wie Greg LeMond, Filippo Simeoni oder Christophe Bassons mundtot machen wollte, ist bekannt. Dass er sogar unter anderem Droh-Nachrichten an die Frau von Leipheimer schickte, ist dagegen neu. Auch hatte er Teamkollegen wie Vande Velde unter Druck gesetzt, sich dem Doping-Programm zu unterwerfen.

Und das Programm umfasste die ganze Bandbreite: Epo, Testosteron, Bluttransfusionen, Wachstumshormone und Kortikoide. Auch nach seiner Rückkehr dürfte er kaum sauber gewesen sein. Nach einer Untersuchung der Blutkontrollen des siebenmaligen Toursiegers durch den Wissenschaftler Christopher Gore aus den Jahren 2009 und 2010 liege die Wahrscheinlichkeit, dass Armstrongs Werte natürlicher Herkunft seien bei weniger als 1:1.000.000. Das geht aus dem Abschlussbericht der amerikanischen Anti-Doping-Agentur USADA hervor.

Und der Fall zieht offenbar noch weitere Kreise. Wie die USADA-Dokumente belegen sollen, hat offenbar der geständige Dopingsünder Leonardo Bertagnolli bei seiner Polizeianhörung im Mai 2011 sechs Radprofis belastet. Im Jahre 2007 hätten mehrere Fahrer vom Liquigas-Team mit Dopingarzt Michele Ferrari zusammen gearbeitet. „Wir sprachen darüber und das Team wusste es“, sagte Bertagnolli und nannte demnach die Namen der Kollegen Franco Pellizotti, Enrico Gasparotto und Francesco Chicchi (alle Italien) sowie Roman Kreuziger (Tschechien). Auch Jaroslaw Popowitsch und Wolodimir Bileka (beide Ukraine) habe er bei Ferrari gesehen.