Lena Mantel (von links), Marisa B. und Maya Liebenwein haben ein Buch über ihre Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen geschrieben. Mit ihren Geschichten wollen sie anderen Betroffenen Hoffnung geben und Mut machen. Foto: Daniel Vedder

Drei junge Frauen wollen anderen Mut machen. Sie schreiben über psychische Erkrankungen. Die Psychologin wünscht sich mehr Aufklärung.

„Es ist vier Jahre her, dass ich in der Notaufnahme lag und dachte, das wäre nun mein persönlicher Tiefpunkt.“ So beginnt die Donaueschingerin Maya Liebenwein, ihre Geschichte zu erzählen. Aufenthalte in der Notaufnahme oder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind in dieser Zeit keine Ausnahme für die heute 21-Jährige. Die junge Frau leidet damals an Depression, Zwangsstörung und Borderline-Persönlichkeitsstörung.

 

Heute geht es Maya Liebenwein besser. 2025 hat sie ihr Abitur an der Waldorfschule in Schwenningen gemacht. „Mittlerweile habe ich kaum noch Symptome und gehe auch davon aus, dass sie vollständig weggehen werden“, sagt sie. Dennoch ist es Maya wichtig, über ihre Diagnose zu sprechen. „Ich habe selbst die Hoffnungslosigkeit erlebt, wenn man in so einer Erkrankung steckt.“ In Kliniken sei ihr etwa auch vom Traum abgeraten worden, das Abitur zu machen. „Solche Prognosen müssen nicht zutreffen. Es gibt auch Leute, die Hoffnung machen“, so Maya Liebenwein weiter.

Diese Hoffnung möchte die 21-Jährige für andere Betroffene sein. „Wenn solche negativen Prognosen von medizinischem Personal oder Ärzten kommen, setzt sich das im Kopf fest.“ Ihr habe es geholfen, mit anderen Patientinnen und Patienten zu sprechen und von Erfolgsgeschichten zu lesen.

Das gab Maya Liebenwein den Anstoß, sich mit acht Weggefährtinnen zusammenzutun und mit diesen gemeinsam über ihre Erfahrungen zu schreiben – über Tiefpunkte, Klinikaufenthalte sowie über Hoffnung und Mut. „Atelier Hoffnung“ nennt sich die Gruppe junger Autorinnen zwischen 17 und 21 Jahren, die im August das Buch „Mutkette“ veröffentlicht hat. Sie schreiben über ihre Erlebnisse und darüber, was ihnen wieder Mut gegeben hat.

Erfolgsgeschichten von Betroffenen als Ergänzung

Auch Alexandra Wuttke, Leiterin der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie des höheren Lebensalters an der Universität Konstanz, beschreibt Erfolgsgeschichten von Betroffenen als eine „unwahrscheinlich wertvolle Ergänzung“ zur Therapie. Neben Selbsthilfegruppen gibt es auch Ex-In-Genesungsbegleiter (Experienced Involvement, deutsch: Beteiligung Erfahrener), also ehemals Betroffene, die in der Unterstützung ausgebildet sind.

„Es wird heute mehr über mentale Gesundheit gesprochen. Das ist erstmal positiv und hilft dabei, aufzuklären“, sagt Maya Liebenwein. Gerade soziale Medien seien in der Hinsicht Fluch und Segen zugleich. Hiervor warnt auch Expertin Wuttke: „In sozialen Medien sind die Inhalte ungefiltert. Man weiß nicht, wer welche Inhalte vertritt.“ Wer selbst gerade eine Krise erlebt, könne schnell einen Tunnelblick entwickeln und sich in schädlichen Inhalten verlieren. Daher empfiehlt die Psychologin, sich immer an etablierte Gruppen zu wenden.

Hilfe in der Therapie

Geschichten wie ihre sollen laut Maya Liebenwein der Anstoß für andere sein, nicht aufzugeben und professionelle Hilfe zu suchen. Die Therapie habe ihr geholfen, sagt sie.

In ihrem Buch schreiben auch Lena Mantel aus Schwenningen und Marisa B. aus Rottweil von ihren Erfahrungen. Auch für Marisa B. ist es wichtig, über ihre traumatischen Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen zu sprechen und auf ihre Lebensrealität aufmerksam zu machen. Sie möchte aber nicht mit ihrem ganzen Namen genannt werden: Aufgrund der immer noch existierenden Stigmatisierung von Betroffenen, über die sie aus ihrem eigenen Leben berichtet, möchte sie sich und ihr Umfeld schützen.

Expertin setzt auf Aufklärungskampagnen

„Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen ist nach wie vor ein Thema“, sagt auch Wuttke. In der Forschung werde das Stigma, das psychischen Krankheiten anhaftet, als zweite Krankheit bezeichnet. Laut Expertin braucht es mehr Aufklärungskampagnen, um Vorurteile weiter abzubauen – Vorurteile, die auch Marisa B. erleben musste.

Die Diagnose bei der 20-Jährigen lautete unter anderem Zwangsstörung. „Viele denken da an Dinge wie zwanghaftes Händewaschen, aber dabei geht es um extrem anstrengende, invasive Gedanken.“ Die Krankheit trieb Marisa zu einem Suizidversuch. Ihren Realschulabschluss machte sie aus der Klinik heraus.

Geschulte Menschen für Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gefordert

Das erste Verständnis nach der Diagnose war im Umfeld da, sagt sie. Wenn es dann mal so war, dass die Gedanken sie lahmlegten, seien jedoch flapsige Kommentare gekommen. „Depressionen oder Essstörungen sind keine gesellschaftlichen Tabuthemen mehr, aber wenn man wirklich nicht mehr aus dem Bett kommt, flacht das Verständnis ab“, sagt sie.

Gerade in der Schule sei es wichtig, dass entsprechend geschulte Menschen mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. „Die Schule war keine schöne Zeit für mich“, sagt Lena Mantel, die auch ein Kapitel zum Buch beigesteuert hat. Die heute 21-Jährige litt an Anorexie. Sie schreibt im Buch davon, dass sie fast gestorben wäre. Den Schritt in eine Klinik beschreibt sie als Wendepunkt.

Mangel an Verständnis

Von Mitschülern sei sie oft als „Stock“ bezeichnet worden, und auch bei Lehrern ließ das Verständnis für ihre Erkrankung im Laufe der Zeit nach. Irgendwann sei sie als jemand abgetan worden, der keine Lust habe, in die Schule zu kommen. Oft hatte sie morgens nicht die Kraft und den Antrieb, aufzustehen. Ließ es die Krankheit dann einmal zu, hörte sie Kommentare wie: „Auch mal wieder da?“ Ihr Abitur schaffte sie 2024 trotz der Krankheit.

Viele verständen nicht, wie sehr psychische Krankheiten Menschen erdrücken könnten, sagt Psychologin Wuttke. „Aufklärung ist das Schlüsselwort“, sagt Maya Liebenwein. Auch wenn mentale Gesundheit kein Tabuthema mehr sei, fehle es den meisten Menschen an Verständnis für das, was wirklich hinter psychischen Erkrankungen stecke. Je früher man sich Hilfe suche, desto größer seien die Erfolgschancen.

Sensibilisierung und Aufklärung in Schulen wichtig

Daher sei die Sensibilisierung und Aufklärung vor allem in Schulen so wichtig, in denen der Leistungsdruck Kinder und Jugendliche belaste. Auch Marisa B. erzählt, wie sehr es ihr geholfen habe, dass Lehrer etwas bemerkt hatten. Damit so etwas öfter geschieht, müssten bestimmte Berufsgruppen mehr Unterstützung dabei erhalten, Anzeichen psychischer Erkrankungen erkennen zu können und für den Umgang mit ihnen sensibilisiert zu werden, erklärt Alexandra Wuttke.

„Die Akzeptanz ist heute viel größer, als sie in vorherigen Generationen war.“ Es gebe immer mehr Ärzte, die geschult seien und wüssten, wie sich psychische Störungen auch körperlich ausdrücken. Außerdem gibt es mittlerweile einige Ressourcen, die Betroffene und Angehörige nutzen können. So sei etwa die Deutsche Depressionsliga eine gute Anlaufstelle für Informationen und Hilfen.

Hart für die Zukunft gekämpft

Und dann gibt es eben auch solche Geschichten wie die von Maya Liebenwein, Lena Mantel und Marisa B. Sie schreiten nun in eine Zukunft, für die sie hart gekämpft haben. Maya tritt bald ihr Psychologiestudium an, und Marisa möchte Notfallsanitäterin werden – um anderen weiterzuhelfen.

Das Buch „Mutkette“ ist für 18 Euro im Online-Shop von Thalia erhältlich.

Zu wenig Therapieplätze

Die Lage
Als Dauerthema bezeichnet Alexandra Wuttke, Leiterin der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie des höheren Lebensalters an der Uni Konstanz, die langen Wartezeiten für Therapieplätze in Deutschland. Zwar kommen Patienten schnell in eine Sprechstunde, die aktuellsten Zahlen von 2022 zeigen aber, dass zwischen Erstgespräch und Aufnahme einer Therapie im Schnitt 22 Wochen liegen.