Graue Maus unter 'Eschinger Gotteshäusern weckt jenseits der Grenze Begehrlichkeiten / Vor 80 Jahren geweiht
Von Cornelia Spitz
Donaueschingen. Im Vergleich mit der pompösen Stadtkirche sieht sie blass aus. Ihre Architektur sticht nicht ins Auge – und vielleicht gefiel die unscheinbare Marienkirche den Schweizern gerade in ihrer Schlichtheit so gut, dass sie sie nachbauen wollten. 2012 jährt sich die Grundsteinlegung für das Gotteshaus zum 85. Mal.
Schnickschnack fehlt ihr völlig, gerade Linien, keine Schnörkel, kein besonders raffinierter Gebäudeschnitt und auch keine extremen Maße – ein bisschen wie eine graue Maus kauert das Gotteshaus an der Ecke Hermann-Fischer-Allee/Eilestraße, als scheue es den Vergleich mit allzu üppig verzierten Kirchen oder architektonisch herausragenden Jugendstilgebäuden in der Baarstadt. Dass dazu aber überhaupt kein Grund besteht, beweist ein Blick in das Donaueschinger Tagblatt aus dem Jahre 1929 – hier steht von einer Anfrage aus Chur geschrieben, wonach die Schweizer ein Abbild der Donaueschinger Marienkirche auch in ihrer Stadt bauen wollten – und das, obwohl sie damals noch gar nicht über ihr Wahrzeichen, den weithin sichtbaren Turm verfügte, der nämlich aus Kostengründen erst in den Jahren 1958/59 gebaut worden war. Die Marienkirche hatte 1929, zwei Jahre nach ihrem Bau, längst Schlagzeilen gemacht, gilt sie doch als erster moderner Kirchenbau der Baar. Ob die Kopie der Kirche in der Eile tatsächlich jemals in der Schweiz gebaut worden ist, ist in Donaueschingen nicht bekannt.
Damals, als das Donaueschinger Original gebaut werden sollte, gab ein Platzmangel in der Stadtkirche den Ausschlag dafür. St. Johann war 1724 für damals 1800 Seelen gebaut worden und hatte sich "mit dem Aufblühen der Stadt als zu klein erwiesen, die Entwicklung der Stadt nach Westen mache den Bau einer zweiten Kirche hier notwendig", heißt es in einem Artikel des Tagblattes von 1927.
Und auch ein kleiner Hinweis ist darin versteckt, der darauf hindeutet, dass die Marienkirche ihre Schlichtheit nicht allein der Mode verdankt: Ein Prunkbau, schrieb man, solle es nicht werden, denn "dafür fehlen die Mittel". Schlichtheit als Not oder Tugend hin oder her, man war äußerst zufrieden und lobte die Kirche als Zweckbau, der "in seiner schnittigen Ausführung in jeder Linie ein Ausdruck des lebendigen kirchlichen Lebens" sei.
Ausdruck dafür, dass es zwischen Bürgern und Kirche stimmte, war schon die Tatsache, dass der Baugrund von den Geschwistern Wilhelm und Sophie Thedy, abzüglich eines städtischen Zuschusses von 10 000 Reichsmark, geschenkt worden ist – und dass der jährliche Zinsendienst neben der Bausumme von 100 000 Reichsmark, die man bei der Bezirkssparkasse aufgenommen hatte, aus freiwilligen Sonntagskollekten erbracht wurde.
Geistiger Vater des zweckmäßigen Kirchenbaus war der Donaueschinger Architekt Josef Wehinger mit Kollege Heim. Ein geschlossener, ruhiger und imposanter Baukörper, dessen moderne große Flächen nur von schmalen langen Fenstern durchbrochen werden, Ornamente und sonstiger Zierrat auf das Nötigste beschränkt. Ausführende Baufirma war das Unternehmen von A. Hamann. Als alle Pläne festgezurrt waren, konnte es losgehen mit der Grundsteinlegung 1927. Der weit über die Region für den Mut, den er gegen das Nazi-Regime aufbrachte, bekannte Stadtpfarrer Heinrich Feurstein verlas die Urkunde, die heute noch, in Stein gemauert, in den 1932 geweihten Mauern von St. Marien ruht und deren Überschrift lautet: "Im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit"
Die Kirche wurde 1927/28 erbaut. Vor genau 80 Jahren wurde das Gotteshaus geweiht. Erst viele Jahre später, 1958/1959 wagte man sich an den Turmbau von St. Marien. Renovierungen erlebte die Kirche in den Jahren 1952/53, 1975 und 1991.
Von 1928 bis 1931 war sie eine Filialkirche der katholischen Pfarrgemeinde St. Johann. Nachdem 1957 ihre Ära als eigene Pfarrei begonnen hatte, zählt sie nun wieder zur Seelsorgeeinheit Heilige Dreifaltigkeit.