Die junge Hebamme trägt Mitte der 1930er-Jahre ihre Berufstracht.Fotos: Privat Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Schicksalsschläge machen sie zu einer starken Persönlichkeit: Dobler Hebamme Adeline König stirbt 1986

Adeline König, verwitwete Kraft, geborene Maulbetsch, ist im Heimatbuch unter den Originalen, den "bekannten und couragierten Bürgern" nicht zu finden. Dabei war sie genau das. Als Hebamme hat sie 30 Jahre lang über Dobels Grenzen hinaus prägende Arbeit geleistet.

Dobel. Dass sich ein Kreis schließe, hat Antje Mieves vor wenigen Wochen gesagt. Ihr Yokulca in der Wildbader Straße eröffnete in genau jenem Haus, das einst ihre Urgroßmutter, die Hebamme, erbaut habe. Bei Mieves‘ Mutter Christel Flade nachgefragt, entwickelt sich das Bild einer Frau, die in vielem ihrer Zeit voraus ist: eine resolute, couragierte und selbstbestimmte Person – soweit im Korsett ihrer Zeit möglich – die selbstverantwortlich ihre Kinder großzieht, sich nicht unterkriegen lässt von Schicksalsschlägen.

Adeline Pauline Maulbetsch erblickt am 16. November 1903 als drittes von acht Kindern von Christian und Marie Luise Maulbetsch in der Schwabhausenstraße das Licht der Welt. Der Vater stirbt bereits 1917, die Mutter 1926. Die älteste Tochter Pauline versorgt die jüngeren Geschwister, so gut es geht. Adeline geht in die Lehre in das Haus eines jüdischen Hoteliers in Bad Wildbad, arbeitet dort im Service und als Zimmermädchen – und verliebt sich in einen Kollegen.

Das Resultat: Sohn Heinz, den sie unehelich zur Welt bringt. Ein großer Makel Mitte der 1920er-Jahre. Der Kindsvater zahlt immerhin Alimente, was der Familie viel hilft. Adeline bedient in den Dobler Hotels, in der Linde und im Funk. 1927 heiratet sie den Wagner Ernst Friedrich, (genannt Fritz) Kraft, wohnt von da an im großen Haus der Krafts am Kreuzwasen, bekommt zwei Mädchen, 1927 Frieda und 1929 Lore. Doch Fritz, der zwei Jahre lang an der Schwarzenbachtalsperre arbeitete und diesen Weg mit dem Fahrrad zurücklegte, erkrankt an Tuberkulose.

Lohn der Ernährerin muss für vierköpfige Familie ausreichen

Im Haus erlebt Adeline den nächsten Schicksalsschlag – mit der gesamten Kraft-Familie mit: den Großbrand 1932. Mutig stürzt sie zwar noch einmal ins brennende Haus, um Unterlagen und Habseligkeiten für ihre Kinder zu retten, kann sich nur noch mit einem Sprung aufs Bettzeug auf die Straße retten und bricht sich dabei noch ein Bein. Die Familie steht praktisch vor dem Nichts. Der Vorschlag des Bürgermeisters bringt die entscheidende Wendung ins Leben der jungen Ehefrau und Mutter: Ob sie nicht Dobler Hebamme werden wolle, die Gemeinde werde sie unterstützen.

Schwiegermutter Marie Kraft, eine gutherzige Frau, verspricht, sich um die drei Kinder zu kümmern, und für zwei lange Jahre geht Adeline auf die Hebammenschule nach Stuttgart. Sieht ihre Kinder nur wenige Male im Jahr – für regelmäßige Besuche ist kein Geld da. 1935 stirbt Ehemann Fritz nach längerer Krankheit.

Ab sofort ist die junge Hebamme mit ihrer Arbeit Ernährerin für ihre vierköpfige Familie. Ausgestattet mit Koffer und Tracht ist sie per Rad oder zu Fuß im Einsatz, tags und nachts, bei Sonne und Schnee. In Dobel, Neusatz, Rotensol, zur Aushilfe auch in Dennach, Calmbach oder Herrenalb. Und erlebt dramatische und spannende Geschichten: bei den Königs im Eyachtal, deren acht Kindern sämtlich Adeline auf die Welt hilft – und wo Landarzt Hermann Eppinger zu ihren Gunsten auch mal weggeschickt wird. Winters fährt Adeline mit dem Schlitten hinunter, sommers holt der werdende Vater sie auch mal per Motorrad ab. "Als die Familie einmal das Honorar nicht zahlen konnte", weiß Flade aus den Erzählungen ihrer Großmutter, "nahm der Ehemann sie mit ins Schlafzimmer mit den Worten: Such dir was aus! Da hingen, bei offenem Fenster, einige Hasen, die er – wohl nicht ganz legal – erlegt hatte."

Auch zu den Fremdarbeitern, die in einer Waldhütte im Eyachtal untergebracht sind, geht die Großmutter zur Entbindung – nicht zu jedermanns Verständnis, aber "sie war immer sozial", so Flade. So melkt Adeline auch mal nach einer Entbindung in Neusatz schnell noch im Stall die Kuh und kocht den größeren Kindern ein Essen, weil der Vater schon wieder zur Arbeit muss. Und bläst einem anderen frischgebackenen Vater tüchtig den Marsch, weil dieser seine Frau einen Tag nach der Entbindung zum Melken in den Stall schickt – viel zu gefährlich mit den Keimen! Vom Ehepaar aus dem Gaistal, das kein Telefon besitzt und wo der werdende Vater seine in den Wehen liegende Frau kurzerhand ins Auto packt. "Das Kind", weiß Flade, "kam direkt vor dem Hebammenhaus in Dobel zur Welt. Es musste nur noch abgenabelt werden!"

Gefahrvoll ist die Arbeit während der Besatzungszeit der Franzosen nach Ende des Zweiten Weltkrieges: Mit weißer Fahne geht die Hebamme los zu Geburten. Einmal wollen französische Soldaten ihr den Koffer abnehmen, doch Adeline wehrt sich mit aller Kraft. Zum Glück versteht der französische Kommandant einige Brocken Deutsch und hat ein Einsehen: Er lässt die Hebamme mitsamt Koffer passieren.

Als im Kraft-Haus Schwager Emil aus dem Krieg zurückkehrt, wird es eng für Adeline und ihre drei Kinder. Ende der 1940er-Jahre heiratet sie noch einmal, den Flaschner Gustav König, selbst Witwer mit drei Kindern, und zieht zu ihm an die Hauptstraße. Anfang der 1950er-Jahre hat die Hebamme bereits ihre Enkel – fünf an der Zahl mit der kleinen Christel Sünder – oft um sich.

Einstige Werkstatt des Gatten wird Wohn- und Geschäftshaus

Da Christels Mutter ebenfalls arbeiten geht, erlebt das Mädchen die Einsätze der Großmutter früh mit, ist dabei, wenn auf der Wohnzimmercouch im Flaschnerhaus die regelmäßigen Untersuchungen gemacht werden. Oder wenn es zu den Wöchnerinnen geht. Auch die Ehe mit Gustav König endet früh durch dessen Tod.

Adeline geht zurück in die Wildbader Straße, baut die einstige Werkstatt ihres ersten Mannes mit eigener Hände Arbeit zum Wohnhaus um – eben zu jenem, in dem ihre Urenkelin jetzt ihr Café betreibt. Den Luxus eines eigenen Bades und einen extra Untersuchungsraum erfüllt sich Adeline dort. Schwangere Frauen kommen regelmäßig.

Ihre Hände, beschreibt die Enkelin, habe Adeline immer sehr gepflegt – wegen der Frauen! – und ihre sauberen Leinentücher äußerst sorgfältig behandelt. Nebenbei habe ihre Großmutter viel über Kräuter gewusst, ihre heilende Wirkung auch in der Familie genutzt: "Spinat mit Brennnesseln war eines ihrer Spezialgerichte!" Krank sei Adeline selbst kaum gewesen. Abgehärtet von ihrem oftmals entbehrungsreichen Leben.

Zu Beginn der 1960er-Jahre gehen die reinen Hebammen-Geburten auch in Dobel zurück. Trotz der geburtenstarken Jahrgänge verzeichnet die Hebamme 1961 noch 29, 1964 gerade mal noch sieben Entbindungen. Säuberlich hat sie jede einzelne in einem Büchlein dokumentiert: Name der Mutter, Beginn der Wehen, Zeitpunkt von Geburt und Nachgeburt, Geschlecht, Größe und Gewicht des Kindes. Gegen Ende ihres Arbeitslebens hilft Adeline schon mal im Neuenbürger Krankenhaus aus.

Die durchsetzungsstarke, oft unkonventionelle Doblerin genießt noch 20 Jahre im Ruhestand, mit Enkeln und Urenkeln, mit denen sie "lustig und streng zugleich" ist, ehe sie 1986 im Alter von 83 Jahren stirbt.