Dr. King Schultz (Christoph Waltz, links) und Django (Jamie Foxx) in „Django Unchained“. Klicken Sie sich in unserer Bildergalerie durch die schönsten Filmszenen. Foto: © 2012 Sony Pictures Releasing GmbH Foto:  

Kann man die Geschichte der Sklaverei mit den Mitteln des Spaghetti-Westerns erzählen? Quentin Tarantino schon. In„Django Unchained“ geht es außerdem um Rachefantasien, Western­mythen, die Nibelungensage und um die Kunst des Erzählens.

Auf einmal verengt sich dieser gewaltige, die Weite der Prärie erkundende Film zum Kammerspiel. Die Vorgeschichte scheint vergessen, in der Menschen erschossen, zu Brei geschlagen, von Hunden zerfleischt wurden. Auf dieser irrsinnigen Candyland-Plantage irgendwo in Texas herrscht angespannte Stille. Nur Beethovens „Für Elise“ klimpert durch das Gutshaus, als sich zwei Geschäftsparteien beim prächtigen Dinner mit Geheimdiplomatie, Lügen und Intrigen gegenseitig übervorteilen wollen. Am Ende scheinen sie sich handelseinig zu sein – auf der einen Seite Leonardo DiCaprio als überkandidelter Plantagenbesitzer und Möchtegern-Franzose Calvin Candie, auf der anderen Christoph Waltz als deutschstämmiger Kopfgeldjäger Dr. King Schultz. Doch dann fragt Schultz, ob das wirklich die Geschichte ist, die man hier erzählen möchte: „Was hätte Alexandre Dumas daraus gemacht?“ Es fällt ein Schuss, und bevor sich der Film wieder in ein Blutbad verwandelt, sagt er: „Sorry, ich konnte einfach nicht widerstehen.“

Hatte Tarantino schon in „Inglourious Basterds“ mit Motiven aus Italo-Western gespielt, so setzt er dem Genre nun mit „Django Unchained“ ein Denkmal. Django (Jamie Foxx) ist ein Sklave, der seine Freiheit dem schrulligen King Schultz verdankt. Im Jahr 1858, zwei Jahre vor dem amerikanischen Bürgerkrieg, verdingen sie sich als Kopfgeldjäger. Und gemeinsam wollen sie Djangos Frau Hildi (Kerry Washington) aus den Händen des Sadisten Calvin Candie befreien. Fast alle klassischen Italo-Western waren Rachefantasien – so auch „Django Unchained“, der damit nahtlos an Tarantinos vorherige Filme „Kill Bill“ und „Inglourious Basterds“ anknüpft, in denen ebenfalls Rache zentrales Handlungsmotiv war.

Die gute Story ist wichtiger als der Bezug zur Wirklichkeit

Tarantinos Filme sind aber auch immer Filme über die Kunst und die Lust am Erzählen. Filme, denen eine gute Story wichtiger ist als der Bezug zur Wirklichkeit. „It’s the details that sell your story“ (Es sind die Kleinigkeiten, die deine Geschichte verkaufen), war schon der Schlüsselsatz in Tarantinos Debütfilm „Reservoir Dogs“. Und auch in „Django Unchained“ breitet er einen unerhört vielfältigen, detailverliebten Erzählkosmos vor einem aus, der gerne mal die Chronologie außer Kraft setzt, vor- und zurückspringt, filmische Ästhetiken ausprobiert und auch einmal im Moment größter Dramatik ein Ritardando wagt. Etwa wenn mitten im Angriff einer Ku-Klux-Klan-Meute plötzlich ein paar Minuten zurückgesprungen wird und man Zeuge wird, wie sich die aufgebrachten Farmer ausgiebig darüber streiten, ob die Kapuzen, die eine gewisse Jenny für sie genäht hat, nun brauchbar sind oder nicht. Wie Quentin Tarantino hier den Ku-Klux-Klan (der eigentlich erst sieben Jahre später gegründet wurde) mit der Banalität des Alltäglichen der Lächerlichkeit preisgibt, hatte er in „Reservoir Dogs“ schon die Gangster-Coolness ad absurdum geführt, indem er brutale Verbrecher darüber streiten ließ, wer von ihnen nun Mr. Black heißen darf.

Oft finden sich in „Django Unchained“ solche Verweise auf frühere Filme Tarantinos. Von Leonardo DiCaprios bizarrem Phrenologie-Monolog, der an Christopher Walkens „Gold Watch“-Rede aus „Pulp Fiction“ erinnert, bis zu der Eröffnungssequenz, bei der die Kamera parallel neben Jamie Foxx herfährt wie damals an Pam Grier in „Jackie Brown“. Tatsächlich gibt es kaum eine filmische Einstellung, einen Song, einen Dialog, ein Handlungselement, ein Ausstattungsdetail, das nicht Zitat ist. Die Kostüme lehnen sich zum Beispiel mal an die TV-Serie „Bonanza“ an, mal an Thomas Gainsboroughs Gemälde „The Blue Boy“. Vor allem bedient sich Tarantino am Fundus der Italo-Western. Er kopiert Sergio Leones Unschärfeverlagerungen, die Überbetonung der Tonspur (der quietschende Zahn, auf dem Dach von Dr. Schultz’ Kutsche). Er stattet den Soundtrack nicht nur mit Songs von Jim Croce, 2Pac oder John Legend, sondern auch mit zahlreichen Ennio-Morricone-Motiven aus. Und Franco Nero, der 1966 in Sergio Crobuccis „Django“ die Titelrolle spielte, bekommt einen Gastauftritt beschert.

Django als eine Art Siegfried

In seinem virtuosen Eklektizismus gelingt es Tarantino aber auch, die Nibelungensage einzuarbeiten. Djangos Frau Hildi heißt eigentlich Broomhilda, verdankt ihren Namen ihren früheren deutschen Besitzern. Nicht zuletzt weil Schultz in Django eine Art Siegfried sieht, der Brunhilde aus einer von Drachen bewachten Festung befreien muss, hilft er ihm. Wie so oft nimmt es Tarantino bei seinen Verweisspielen nicht so genau mit der Stimmigkeit seiner Aneignungen.

Das Erstaunliche aber ist, dass sich der Film keineswegs in einem intertextuellen Dickicht verirrt, sondern es abseits dieser postmodernen, selbstreferenziellen Puzzlespiele schafft, die US-amerikanische Gesellschaft mit ihrer Sklavenhaltervergangenheit zu konfrontieren, die historischen Wurzeln der Ungleichheit, die immer noch zwischen Schwarz und Weiß herrscht, offenzulegen. Der Sklavenhändler, der sich mit dem Satz „Ich bin kein schlechter Kerl, ich mache bloß meinen Job“ rausreden möchte, wird ebenso bestraft wie der Haussklave (Samuel L. Jackson), der sich mit dem Sklavenhaltersystem arrangiert hat.

In den USA wird der Film, der Tarantino einen Golden Globe für das beste Drehbuch und Christoph Waltz einen als bester Nebendarsteller eingebracht hat, kontrovers diskutiert. Der Filmemacher Spike Lee twitterte zum Beispiel, „die Sklaverei in den USA war kein Sergio-Leone-Spaghetti-Western. Sie war ein Holocaust“, und kündigte an, sich den Film nichtanzuschauen. Er verpasst ein brutales, aber großes und ernstes Stück Kino, das weit mehr ist als nur ein Western.

„Django Unchained“ (ab 16; 180 Minuten) kommt an diesem Donnerstag ins Kino.