Was für ein Tohuwabohu in der Fußball-Bundesliga: 20 Sekunden lang spielt der deutsche Rekordmeister Bayern München in Freiburg mit zwölf Mann – weil eine falsche Tafel hochgehalten wird. Was sind die Konsequenzen?
Bayern München gewinnt nach einem zumindest in der zweiten Halbzeit hochklassigen Spiel 4:1 in Freiburg – doch nach dem Wechsel-Fauxpas tobt ein Expertenstreit. Wird die Partie mit 2:0 für Freiburg gewertet?
Was ist passiert?
In der 86. Minute will Bayern-Trainer Julian Nagelsmann doppelt wechseln. Marcel Sabitzer und Niklas Süle sollen rein, Corentin Tolisso und Kingsley Coman raus. Aber am Seitenrand leuchtet statt der "11", der neuen Nummer von Coman in diesem Jahr, die "29", seine alte Nummer. So weiß Coman nicht, dass er ausgewechselt wird – und keiner kontrolliert die Auswechslung, weil Tolisso wegen Magenproblemen so schnell vom Platz rennt wie möglich. Kein Abklatschen wie üblich, die Situation ist unübersichtlich. Verantwortlich für die falsche Nummer soll Bayerns Teammanagerin Kathleen Krüger sein, die die Nummer hochhielt. Das Spiel läuft weiter, Coman bleibt auf dem Feld, berührt sogar den Ball. Freiburgs Nico Schlotterbeck zählt mal durch – und kommt auf 12 Bayern-Spieler. Das teilt er Schiedsrichter Christian Dingert mit, der die Partie unterbricht. Es folgen minutenlange Diskussionen zwischen Schiedsrichter-Gespann und den Verantwortlichen beider Vereine. Dann geht es mit Schiedsrichterball weiter. Und ohne Coman.
Die Reaktionen: Freiburger Offizielle
Die Bayern beschwichtigen, die Freiburger überlegen, ob sie Protest einlegen sollen. Dafür hat der SC zwei Tage Zeit. „Wir haben den Schiedsrichter darauf aufmerksam gemacht, dass Bayern elf Feldspieler auf dem Platz hat“, sagt Freiburgs Sportvorstand Jochen Saier: „Das war skurril, das habe ich so noch nicht gesehen. Ich kann die Konsequenzen nicht beurteilen. Jetzt müssen wir alle ein bisschen runterkommen und drüber nachdenken.“ Freiburgs Pressesprecher Sascha Glunk beschreibt das Vorgehen am Wochenende: „Wir werden uns die Situation jetzt in aller Ruhe anschauen, bewerten. Und dann im vorgegebenen Zeitrahmen bis Montag eine Entscheidung treffen und kommunizieren.“
Alexander Feuerherdt von Collinas Erben
Schiedsrichter-Experte Alexander Feuerherdt von „Collinas Erben“ hält eine Wertung für unwahrscheinlich: „Das kann ich mir nicht vorstellen. Ist in den 20 Sekunden etwas passiert, das Einfluss gehabt hätte? Das war nicht so. Wäre ein Tor gefallen, wäre das etwas anderes gewesen. Es war wohl irgendeine Unstimmigkeit im Schiedsrichterteam. Man könnte darüber diskutieren, ob Sabitzer oder Coman hätten Gelb bekommen müssen.“
Experte Didi Hamann
Sky-Experte Didi Hamann sieht das anders: „Es spielt keine Rolle, wie lange die Bayern zu zwölft war. Fakt ist: Das ist ein Regelverstoß. Warum da jemand draufgeht, ohne dass einer runtergeht, das weiß ich nicht. Was hätte der Schiedsrichter aber auch machen sollen? Den Rest muss das Sportgericht regeln. Es ist ein Regelverstoß, das muss das Sportgericht ahnden – in welcher Weise auch immer.“
Die Trainer
SC-Coach Christian Streich hält nichts davon, dass der SC Protest einlegen muss. Er argumentiert: „Es gibt ein Regelwerk und dem unterliegen wir – danach wird gehandelt. Da haben wir und Bayern nichts mit zu tun. So ist mein Verständnis der Gerichtsbarkeit." Bayern-Trainer Julian Nagelsmann appelliert an die sportliche Fairness: „Es passieren Fehler, aus Sicht beider Mannschaften und des fairen Sports war nichts dabei, was gegen ein faires Spiel spricht.“
Schiedsrichter Felix Zwayer
Schiedsrichter Felix Zwayer, der am Samstag als Video-Referee für das Bayern-Spiel in Freiburg verantwortlich war, erwartet nicht zwingend Konsequenzen für den FC Bayern. „Es ist aus meiner Sicht nicht mit der Situation zu vergleichen, wenn ein Spieler, der nicht im Spielbericht drinsteht, am Spiel teilnimmt", sagte Zwayer am Samstagabend im "Aktuellen Sportstudio". "Tatsächlich ist es so, dass der Spieler, der zu viel auf dem Platz war, grundsätzlich ein spielberechtigter Spieler war, der zu einem Zeitpunkt auf dem Spielfeld stand, wo er nicht hätte stehen sollen", erklärte er. "Das ist in den Fußballregeln geregelt und nicht in den Statuten, wie damit umzugehen und zu verfahren ist." Die Verantwortung für einen regelkonformen Wechsel liege beim Schiedsrichter-Team, betonte Zwayer. "In der Praxis ist es in solchen Fällen so, dass die Aufgabe dem vierten Offiziellen überlassen wird." Dieser sorge dafür, dass der auszuwechselnde Spieler das Spielfeld verlässt und lasse den neuen Spieler auf den Platz. Allerdings stammte die falsche Rückennummer auf der Tafel vom FC Bayern.
Schiri-Boss Lutz Michael Fröhlich
DFB-Schiedsrichterchef Lutz Michael Fröhlich drückt seinen Ärger vorsichtig aus: "Es wäre gut gewesen, wenn man vor der Spielfortsetzung noch einmal einen Check gemacht hätte. Das wäre von Schiedsrichter-Seite das Optimale gewesen." Das Geschehen am Samstag sei vermeidbar gewesen. "Menschlich ist die Verwirrung nachvollziehbar gewesen, aber Komplexität hin oder her: Es ist nicht schön, dass bei einem Fußballspiel am Ende darüber geredet wird", sagte Fröhlich. "Es hat etwas mit Konzentration und mit Übersicht zu tun. Darüber müssen wir mit den Schiedsrichtern intern noch mal sprechen."
Die Regeln
Schiedsrichter Dingert hatte die Ereignisse in seinem Spielbericht festgehalten. Er sprach von einer "total konfusen Situation". Ob der Deutsche Fußball-Bund eingreifen und die Spielwertung überprüfen wird, ist noch offen. Für die Bewertung der Situation kommen zwei Regelungen in Frage, die aber beide nicht passgenau die Situation abdecken.
Verfahrensordnung
In der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB, Paragraf 17, Absatz 4 heißt es: „War in einem Spiel ein Spieler nicht spiel- oder einsatzberechtigt, so ist das Spiel für die Mannschaft, die diesen Spieler schuldhaft eingesetzt hatte, mit 0:2 verloren und für den Gegner mit 2:0 gewonnen zu werten, es sei denn, das Spiel war nach dem Einsatz des nicht spiel- oder einsatzberechtigten Spielers noch nicht durch den Schiedsrichter fortgesetzt.“ Nicht einsatzberechtigt wäre in diesem Fall Marcel Sabitzer, der für Kingsley Coman eingewechselt werden sollte. Ein Spieler gilt nämlich erst dann als einsatzberechtigt, wenn der Auswechselspieler das Feld verlassen hat.
Spielregeln
Im Regelheft des DFB ist geregelt, was ein Schiedsrichter tun muss, „wenn ein ausgewechselter Spieler oder des Feldes verwiesener Spieler oder eine Drittperson das Spielfeld betritt“. Nämlich: Der Schiedsrichter muss „das Spiel nur unterbrechen, wenn eine solche Person ins Spiel eingreift, die Person vom Spielfeld weisen, nachdem das Spiel unterbrochen wurde und entsprechende Disziplinarmaßnahmen ergreifen“. Also eine Gelbe Karte zeigen. Nur war in der besagten Situation der Wechsel rechtlich nicht vollzogen, und die „unrechtmäßige“ Person auf dem Feld war somit Marcel Sabitzer.
Berühmte Wechselfehler: 1977
Trainerlegende Hennes Weisweiler wechselt als Coach des 1. FC Köln bei der 0:4-Niederlage bei Eintracht Frankfurt den belgischen Stürmer Roger van Gool als dritten ausländischen Spieler ein. Seinerzeit sind nur zwei solcher Wechsel erlaubt. Folgen hat das keine: Köln verliert ohnehin mit 0:4.
1992
Besonders teuer ist der Wechselpatzer von Christoph Daum als Trainer des VfB Stuttgart. In der Qualifikation zur Champions League gegen Leeds United schickt er in dem Serben Jovica Simanic einen vierten Ausländer auf den Rasen – einer mehr als erlaubt. Nach dem Hinspiel-3:0 wird die Partie 0:3 statt 1:4 gewertet, es kommt zum Wiederholungsspiel, das der VfB in Barcelona verliert. Dadurch verpasst Stuttgart die Teilnahme an der ersten Champions-League-Gruppenphase.
1993
Beim 5:2-Erfolg von Eintracht Frankfurt bei Bayer Uerdingen wechselt Trainer Horst Heese einen Ausländer zu viel ein. Am Grünen Tisch wird den Krefeldern ein 2:0-Sieg zuerkannt.
1995
Auch der 5:2-Sieg von Bayern München bei Eintracht Frankfurt ist ein Muster ohne Wert. Dietmar Hamann ist bereits der vierte Vertragsamateur auf dem Platz. Coach Giovanni Trapattoni hat sich verzählt. Auch hier wird gewertet: 2:0 für Frankfurt.
1995
Diesmal erwischt es Winfried Schäfer beim Karlsruher SC. Sergej Kirjakow ist der überzählige vierte Ausländer, den er im Heimspiel gegen Bayer Leverkusen auf das Feld schickt. "Winnie, zähl deine Ausländer", schickt der Stadionsprecher über die Anlage – zu spät. Der KSC verliert aber ohnehin 1:4.
1996
Als Ersatz für Franz Beckenbauer lässt Klaus Augenthaler in der Bayern-Partie gegen Fortuna Düsseldorf viermal auswechseln - damals noch nicht erlaubt. Die Partie ist bedeutungslos, Düsseldorf verzichtet auf einen Protest, das 2:2 ist die erste Bundesligapartie mit sieben Auswechslungen.
1998
Kaiserslauterns Michael Schjönberg bricht sich gegen den VfL Bochum das Schienbein, Trainer Otto Rehhagel wechselt Pascal Ojigwe ein – der Nigerianer ist der vierte Nicht-Europäer auf dem Platz. Bochum gewinnt ohnehin 3:2.
2004
Nichtsahnend nominiert Eric Gerets im Pokalspiel des VfL Wolfsburg bei den Amateuren des 1. FC Köln Marian Christow für die Startformation. Doch der Bulgare ist wegen einer Roten Karte aus der vorvergangenen Saison im Trikot des 1. FC Kaiserslautern nicht spielberechtigt. Aus dem 3:0-Sieg wird so eine 0:2-Spielwertung gegen den VfL.
2021
Trainer Mark van Bommel vom Bundesligisten VfL Wolfsburg nimmt im DFB-Pokalspiel bei Regionalligist Preußen Münster sechs statt fünf Auswechslungen vor. Der 3:1-Sieg nach Verlängerung des VfL wird vom Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in einen 2:0-Erfolg der Münsteraner umgewandelt.