Die Industrie 4.0 verändert die Arbeitswelt, darin sind sich die Experten einig. Doch was sich konkret ändern wird und was das für die Beschäftigten bedeutet, das ist oft noch unklar.
'Vernetztes Arbeiten fällt nicht vom Himmel', sagt Siegfried Czock, Leiter Aus- und Weiterbildung bei der Robert Bosch GmbH, 'vielmehr entwickelt sich das vernetzte Arbeiten.' Mit anderen Worten: was Industrie 4.0 für die Beschäftigten bei Bosch bedeutet, erleben diese im beruflichen Alltag, wenn neue Fertigungsprozesse und -anlagen eingeführt werden. Nicht Knall auf Fall, sondern Schritt für Schritt. Praxisnah wird das laut Czock in verschiedenen Pilot- Anwendungen an Bosch-Standorten. 'Es war bei uns schon immer so, dass Personalplaner und Weiterbildungsverantwortliche bei der Planung einer neuen Anlage oder Maschine früh involviert sind. Das ist nun bei der Digitalisierung der Produktion nicht anders, nur dass die Informationstechnologie eben eine viel höhere Bedeutung hat.' Für die betroffenen Beschäftigten heißt das: 'Bei einem Fehler ist künftig oft nicht nur eine einzelne Maschine betroffen, sondern eben das Gesamtsystem.' Dieses vernetzte Denken in den Köpfen der Beschäftigten zu verankern, darin besteht - neben einer höheren Softwarekompetenz - die Hauptaufgabe bei der Vorbereitung der Mitarbeiter auf die Industrie 4.0. 'Ein bisschen erinnert die Situation an die Einführung des damals neuen Berufsbildes des Mechatronikers vor rund 15 Jahren', sagt Czock - wobei die Industrie 4.0 eben nicht nur ein einzelnes Berufsbild betrifft, sondern sehr viele, wenn nicht alle Berufsbilder und die Prozesse.
Die Untersuchung der Industrie 4.0
Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), ist daher überzeugt: 'Facharbeit wird sich durch die Wirtschaft 4. 0 verändern - aber es wird eine Evolution sein, keine Revolution.' In manchen Berufen ändere sich durch den Trend zur Digitalisierung vieles, etwa im Maschinen-, Anlagen- oder Karosseriebau, dagegen sei zum Beispiel in den IT-Berufen die Digitalisierung naturgemäß schon immer ein Thema gewesen. Das BIBB untersucht zusammen mit Volkswagen in einem Pilotprojekt in der Produktion, wie sich die Veränderungen auf die Arbeitswelt durch die Wirtschaft 4. 0 nun konkret auswirken. 'Unser Ziel ist es, dass die Erkenntnisse bei Volkswagen als Beispiele für mögliche Veränderungen in anderen Feldern dienen können', so Esser. So wollen die BIBB-Forscher anhand der Ergebnisse des Pilotprojekts etwa Referenzberufe identifizieren, deren inhaltliche Veränderungen aufgrund der Digitalisierung auch Aussagekraft für ähnliche Berufe in anderen Branchen haben. Zudem plant das BIBB, die Folgen der Wirtschaft 4. 0 für Aus- und Weiterbildung über die Kammern und Innungen den deutschen Unternehmen in der Breite näherzubringen, indem Vorreiter der jeweiligen Branchen als Fallbeispiele dienen. 'Und ganz wichtig ist, dass das BIBB das Thema für die Ausbilder, Berufsschullehrer und Dozenten konkret macht', sagt Esser, 'denn diese stehen ja an vorderster Front.'
Dass die Erwerbstätigen in Deutschland für die Digitalisierung mehrheitlich sehr gute Voraussetzungen mitbringen, hat Sabine Pfeiffer, Professorin für Arbeits- und Industriesoziologie an der Universität Hohenheim, empirisch zeigen können: 'Rund 70 Prozent der Berufstätigen können in ihrem Arbeitsumfeld mit fachlicher Komplexität und Unwägbarkeiten umgehen. Sie bewältigen schon heute vielfach Wandel und bringen das hierfür nötige Erfahrungswissen ein.' Diese Aussage treffe sowohl auf Berufe mit akademischer Bildung als auch auf Berufe mit dualer Aus- und Weiterbildung zu. 'Die Unternehmen sind daher gut beraten, die Beschäftigten schon sehr früh bei der Reise in die Industrie 4.0 einzubinden', sagt Pfeiffer. Mehr Mut zum Experimentieren und zur Kommunikation wünscht sich die Soziologin daher von Führungskräften und Unternehmensleitungen, und sie empfiehlt: 'Treten Sie nicht nur mit durchdachten, fertig verabschiedeten Strategien an die Belegschaft heran!' Auch bei der Weiterbildung rät Pfeiffer zu mehr Offenheit. Weiterbildung orientiere sich heute extrem eng am betrieblichen Bedarf. 'Die Arbeitnehmer sollten durchaus stärker einfordern, was sie an Qualifikationen aufgrund der Digitalisierung brauchen', so Pfeiffer. Und da sich vieles durch die Industrie 4.0 verändern könne, seien für die Beschäftigten Zusatzqualifikationen wichtig, die sich belegen ließen. Den Arbeitnehmern empfiehlt die Forscherin, offensiver auf ihre Vorgesetzten zuzugehen, den Diskurs zu führen. 'Nicht nur im institutionalisierten Rahmen, sondern auch im Alltag.'